Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

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СКАЧАТЬ um nicht fortgespült zu werden. Aber ich war stolz auf meinen Posten und empfand, obgleich ich von Wasser triefte und schrecklich fror, doch eine hohe Befriedigung. Einmal kam der Steuermann nach vom und steckte mir einen Priem in den Mund, der unter den obwaltenden Umständen köstlich mundete.

      »Steuermann«, redete ich ihn an und mußte lächeln, weil ich daran dachte, wie ich ihm die Frage schon früher einmal vorgelegt hatte, »Steuermann, ist das ein Sturm?«

      »Nein«, entgegnete er diesmal ernst, »das ist ein Orkan.«

      Nach und nach nahm die Gewalt des Sturmes ab, und es trat eine Windstärke ein, die der Kapitän mit dem freudigen Ruf »Frische Brise, heia!!« begrüßte. Er hatte sich ausgerechnet, daß wir unter günstigen Umständen nächsten Sonntag in Liverpool eintreffen könnten. Welche Freude!

      Er erklärte mir auch mit loyaler Miene, daß er mich vielleicht als Leichtmatrosen behalten würde. Ich dachte nicht daran, das anzunehmen, schwieg aber.

      Famoser Wind! Die Segel standen steif.

      Also, man wollte mich an Bord behalten. Ich wußte nichts, was mir unsympathischer gewesen wäre. Dagegen war ich sehr gespannt, ob man mir in England meine volle Heuer auszahlen oder, wie angekündigt, ein Strafgeld für meinen Belizer Reißaus abziehen würde. Ich wollte mir doch an Land eine Menge Geschenke für die Angehörigen und für mich eine Ziehharmonika, ein neues Scheidemesser, eine Pfeife, Tabak und hunderterlei anderes kaufen. Außerdem besaß ich weder ein Paar Landstiefel noch eine andere Kopfbedeckung als eine wollene Zipfelmütze mit blauer Troddel.

      Wieder nahm der Sturm zu, und der nächste Tag brachte hohe Böen mit sich. Das Vormarssegel war am Saum schon ganz zerfetzt. Es konnte jeden Augenblick zum Teufel gehen. In der Speisekoje, das heißt in der leeren Koje, die zur Aufbewahrung unseres Eßgeschirres und des imaginären Proviants diente, ging es schauderhaft zu. Dort wogten schmutzige Teller und Schüsseln, zwei- und einzinkige Gabeln, ein Salzfaß, eine leere Essigflasche und ein umgefallener Farbtopf in einer Soße von Margarine, Seewasser und weißer Ölfarbe durcheinander.

      Die Mahlzeiten nahmen wir nur noch auf dem Fußboden ein, und auch da beeilten wir uns, das Essen so schnell wie möglich hinunterzuwürgen, weil wir bei dem Schaukeln des Schiffes kaum unsere Schüsseln balancieren konnten. Viel Hunger, sehr viel Hunger und wenig Essen, ganz wenig Essen. Kaffee existierte nur noch dunkel in der Erinnerung. Man setzte uns Zichorienwasser vor, das sehr bitter schmeckte. Keinen Zucker mehr, kein Frischbrot, keine Kartoffeln, keinen Speck, keinen Essig. Es war viel zu wenig Proviant an Bord genommen. Der Leichtsinn und der Geiz, die uns so hungern ließen, füllten den Geldsäckel des Kapitäns, und doch hielt dieser es nicht für nötig, uns betreffs der täglich neuen Einschränkungen ein entschuldigendes Wort zu sagen. Wir wußten alle, daß er damit gegen die gesetzlichen Vorschriften der Seemannsordnung verstieß. Schon wurden im Logis Äußerungen der Empörung laut. Auch anderes war unvorschriftsmäßig auf der »Elli«. So besaßen wir weder Korkjacken noch Beile an Bord, und die Rettungsboote waren kielaufwärts auf Deck angebracht, statt umgekehrt. Schwere Arbeit und der daraus resultierende Schlaf, der uns trotz der starken Schiffsbewegung nicht entging, brachten uns immer wieder von revolutionären Gedanken ab.

      Da der Sturm tagelang anhielt, ging die See sehr hoch und spielte mit der »Elli« wie mit einer Nußschale.

      In meiner Koje zerbrach eine Anzahl sehr schöner Muscheln, die ich in Belize für meinen Bruder erworben.

      Am 11. September schossen wir mit 10 Meilen Geschwindigkeit dahin. Als ich den Ausguckposten antrat, mußte ich mich mit einem Tau an den Mast festbinden lassen, um nicht von dem überdampfenden Wasser weggespült zu werden. Zum Unglück hatte ich noch meine Ölhose vergessen, so daß ich im Nu durchnäßt war und sehr fror.

      Die steife Brise brachte uns ein gutes Stück vorwärts. Wir schimpften nur darüber, daß der Steuermann nicht die Courage besaß, mehr Segel zu setzen. Doch kam uns in dieser Beziehung der Zufall zu Hilfe. Wir sichteten eine eiserne Bark, die beim Näherkommen die deutsche Flagge hißte. Nachdem wir einige Signale mit dem Schiff gewechselt hatten, entspann sich unverabredet, wie das bei Fahrzeugen mit gleichem Kurs auf hoher See häufig geschieht, ein Wettfahren. Wir beobachteten, daß die Bark Bramsegel setzte. Sofort ließ der Steuermann ebenfalls Bramsegel setzen. Darauf hißte der andere sein Großsegel. Wir taten das gleiche. Da die Eisenbark jedoch größer war und mehr Segel hatte, überholte sie uns und kam gegen Abend außer Sicht.

      Ich studierte mitunter in der Bibliothek, die der Koch besaß und die aus einem Taschenatlas und einer deutschen Rechtschreibung bestand; beides für mich recht nützliche Bücher. Auch die Politik kam bei uns zu ihrem Recht. August hielt mitunter lange Vorträge auf diesem Gebiet. »Bismarck«, sagte er, »wollte zwei Parteien, die Reichen und die Armen. Er selbst stand natürlich auf Seiten der Reichen.«

      Wir rechneten damit, uns in zwei bis drei Tagen in Liverpool zu amüsieren. Ich hoffte, dort schnell eine Stellung auf einem Fischerboot oder sonstwo zu erlangen.

      »Du sagst wohl auch: Gott sei Dank! wenn die Reise fertig ist?« wandte sich der Steuermann an mich.

      »Ja«, erwiderte ich offen.

      »Willst du nicht nächste Reise wieder mit?«

      Aha! dachte ich. Also daher pfeift der Wind.

      »Nein, Kapitän will mich gar nicht behalten.«

      »O ja, warum nicht?« Steuermann ging. –

      Der Sturm nahm noch immer zu. Große Brecher fegten über Deck. Am Sonntag herrschte dicker Nebel, so daß ich mich zum Ausguck mit einem Nebelhorn bewaffnen mußte, ein richtiges Nachtwächterhorn, dessen klägliche Stimme mich in Gedanken auf die Leipziger Messe versetzte. Die ganze Back war unausgesetzt unter Wasser. Wir fuhren bei dem Winde, und das Schiff lag stark über. Ich hatte schauderhafte Zahnschmerzen.

      Es war sehr interessant, was ich sah und hörte auf dieser Reise, und ich war voll von neuen Bildern, aber die Bitterkeit, mit der ich meiner drückenden Stellung gedachte, der tiefe Haß, den ich gegen die empfand, die mein Leben dort lenkten, wie sie wollten, verdunkelten alle anderen Gefühle und Gedanken. Ich hätte gern mancherlei, was ich beobachtete, ausführlich niedergeschrieben, aber ich war meistens zu niedergeschlagen und zu ermüdet. Besonders wenn ich auf Wache stand, in den stillen, ungestörten Nachtstunden, verfiel ich in endlose Grübeleien.

      »Viele Dampfer, viel Hunger, und der Steuermann schlägt mir eine blaue Nase«, trug ich am Sonntag in mein Tagebuch ein. Wir signalisierten mit einem Dampfer und erkundigten uns, wo wir uns befänden.

      Am Montag, dem 16. September um zwölf Uhr, kam Land in Sicht. Am nächsten Abend konnten wir in Liverpool sein. Feuertürme leuchteten in der Nacht. Europa, hurra! Ich verschlang den Streifen Land am Horizont mit glücklichen Blicken.

      »Der Bengel ist so neugierig«, sagte August grimmig. Wir trafen nun die zur Landung erforderlichen Vorbereitungen. Anker und Ketten wurden klargemacht, Taue und Lampen bereitgehalten und so weiter.

      Steuermann war auf einmal auffallend freundlich. Die Angst vor Rache. Ich war jedoch um so kühler zu ihm. August gab mir stundenlange Ermahnungen, wie ich mich in England verhalten sollte. Besonders warnte er mich vor den Halsabschneidern. Damit bezeichnete er die deutschen Schneider und Schuster, die in Menge die ankommenden Schiffe bestürmen.

      Bei guter Brise wahrscheinlich schon heute abend an Land! Hurra! Hurra! Hurra! und nochmals Hurra! Hurra! Hurra!

      Wenn's auch viel Arbeit gab, Anker werfen und wieder heben, und wieder werfen und wieder heben, – es winkte ja Land, es winkte nach langer Zeit wieder einmal СКАЧАТЬ