Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

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СКАЧАТЬ Ich zeigte nach der Richtung, die mir August gewiesen. »Etwa drei Striche vom Mast.« Er sah aber auch nichts, und das tröstete mich.

      Auch zu anderen seemännischen Tätigkeiten wurde ich jetzt mehr und mehr herangezogen. Ich lernte die Bezeichnungen der vielen Tauenden und Segel kennen, und beim Fest- oder Losmachen der Segel wurde ich auf die höchste Rahe geschickt, um dort das Roylsegel allein zu bedienen. Ich übte mich ferner in den verschiedenen Arten des Steuerns vor dem Winde, bei dem Winde, raumen Wind und so weiter. Da ich mich aber häufig sehr ungeschickt anstellte, erhielt ich noch häufiger Schläge.

      In den Freistunden durchlas ich die Briefe meiner Angehörigen, wusch oder flickte meine Wäsche und fand jetzt auch mehr Zeit, wenn auch immer weniger Papier, für mein Tagebuch.

      Obwohl wir bereits eine Woche von Amerika entfernt waren, fingen wir doch noch täglich Skorpione. Häufig fielen sie von der Decke herunter. Eine Bö, die uns eines Tages überraschte, fegte den Schornstein von der Kombüse, und das heiße Rohr fiel mir auf den Hals. Ich trug eine schmerzende Brandwunde davon. »Von Wunden ganz bedeckt« – das war mein steter Zustand, und alle meine Taschentücher bis auf zwei oder drei waren schon als Verbandstoff draufgegangen.

      Unser Menü wies jetzt täglich amerikanisches Büchsenfleisch auf. Ich aß das gern, aber es war kraft-und saftlos und lag wie Blei im Magen. August erzählte, daß man den Saft des Fleisches zu Fleischextrakt verwende und die in Büchsen verpackten Überreste daher fast keinen Nährwert mehr hätten. Trotzdem trug ich lange Zeit in mein Tagebuch die Notiz ein: »Heute an boiled beef überfressen.«

      Harte Bohnen in Essig, ein wenig Salzspeck, rohe Mehlklöße oder Brotsuppe – weiter gab es nichts mehr, und das wenige war kaum hinunterzuwürgen.

      Steuermann, der ein paar Tage krank gewesen, hatte mir gerechterweise verboten, mich auf Ausguck an Deck zu setzen. Dagegen erlaubte er mir, nachts meine Pfeife zu rauchen. Wenn ich auf seiner Wache nachts am Ruder stand, unterhielt er sich zuweilen mit mir. Gewöhnlich renommierte er dann mit seinen Kenntnissen und seinem Vermögen.

      Matrose Paul wurde von August der »Schlangenmensch« genannt, weil er sehr gelenkig war. Hermann, das Gegenteil dazu, wurde »Stiefbeen« oder »Lieschen« betitelt, während Gustav den Namen »Leu« trug.

      Eines Tages bemerkte ich, daß wir den 7. August schrieben. Das war mein Geburtstag. Er verging natürlich wie jeder andere Tag. Ich notierte mir aber den Verlauf ausführlich und gebe die Stelle hier wieder.

      Ich habe von 12 bis 4 Uhr morgens Wache, davon zunächst zwei Stunden Ausguck. Es regnet stark, und ich muß daher sehr scharf ausspähen. Im Ölzeug steckend, smöke ich meine »Getreue«. Steuermann gesellt sich zu mir, um sich etwas Feuer für seine Pfeife zu holen und ein wenig zu schwatzen.

      Die nächsten zwei Stunden bringe ich mit einem Wachtkollegen teils im Halbschlaf an Deck dösend, teils an der Schiffspumpe zu. Dann zieht die andere Wache auf, und ich schlafe köstlich in meiner Koje.

      Um halb acht weckt mich der übliche Ruf:

      »Rise, rise, schaffen, schaffe!!!«

      Zum Frühstück. Es gibt Pfannkuchen, aus Wasser und Mehl zubereitet, und dazu Sirup, eine Kost, mit der ich unter den obwaltenden Umständen ganz zufrieden wäre, wenn sie zum Sattessen reichte. Außer diesem serviert man heißen Kaffee, oder, wie Jahn sagt, »Hurrawasser«.

      Vom tiefen Schlaf in der engen Koje bin ich noch ganz in Schweiß gebadet. Ich werde eine Stunde ans Ruder geschickt.

      Wegen der Halswunde kann ich noch immer nicht den Kopf drehen. Wir liegen »bei« dem Winde, und da er von mäßiger Stärke ist, habe ich Muße, den Alten zu beobachten, der schon seit einer Stunde mit gekreuzten Beinen auf dem Achterdeck sitzt und seinen Papageien »Deutschland, Deutschland über alles« vorsingt, wobei er mit zwei eisernen Gegenständen auf dem Bauer trommelt. Schließlich erhebt er sich, kindlich lächelnd, um den Ameisenbär mit Kokosnuß zu füttern. Das Tier frißt aber keine Kokosnuß, sondern nur Stiefel, Decken und andere verbotene Nahrung. Es ist überhaupt ein ungezogenes und verschlagenes, aber höchst drolliges Tier. Neulich sah ich vom Ruder aus, wie es in der Kajüte sich heimlich an die Butterdose schlich. Der Bär ist ziemlich bissig. Napoleon versteht es, sich ihm mit freundlichem Zureden zu nähern, um ihn dann plötzlich mit geschicktem Griff so am Genick zu packen, daß er nicht um sich beißen kann.

      Fünf Minuten vor zwölf höre ich Gustav die andere Wache wecken.

      Rise Quartier

      Ist Seemanns Manier,

      Dem Rudersmann tut verlangen,

      Das Ruder zu verfangen.

      Acht Glasen! Willy kommt schlaftrunken nach achtern geschlichen, um mich abzulösen. »Ost-Nord-Ost, ein Viertel Ost«, sage ich, ihm das Rad übergebend.

      »Ost-Nord-Ost, ein Viertel Ost«, wiederholt er noch wie im Traum.

      Mittag. Es gibt Pudding mit greulichen, verrotteten Backpflaumen und pro Mann drei Kartoffeln »zum Überbordwerfen«.

      Dann muß ich das Geschirr aufwaschen oder vielmehr trocken abwischen.

      Alle schimpfen wieder auf den Koch. »Ist das ein Geburtstagsessen«, knurre ich. Jahn fragt: »Wer hat denn Geburtstag?«

      »Ich.«

      »Allright! Dann mußt du etwas ausgeben. Du kaufst Butter und Kognak beim Alten.«

      Ich will mich nicht weigern, obgleich ich weiß, daß der Kapitän nach der Belizer Rumaffäre keinen Schnaps mehr gibt. So gehe ich also in die Kajüte:

      »Kapitän, würden Sie vielleicht so freundlich sein, mir ein paar Zigarren oder eine Flasche Kognak zu verkaufen? Ich habe heute Geburtstag, und da möchte ich gern was ausgeben.«

      »Du hast gar nicht Geburtstag, Nasenkönig, du lügst«, entgegnet der Alte mit Pathos.

      »Ganz gewiß! Ich habe heute Geburtstag.«

      Kleine Pause.

      »Ich habe keine Zigarren, und Schnaps darf ich euch auf See nicht verkaufen. Ihr besauft euch sonst wieder.«

      Die Matrosen lachen mich aus, als ich diese Antwort verkünde. Ich verbringe meine Freizeit bis sechs Uhr damit, daß ich meine Seestiefel mit Talg einbalsamiere und mein Scheidemesser schleife. Zu Hause, das weiß ich, werden sie heute meiner herzlich gedenken.

      Zum Abendbrot, das beide Wachen gemeinsam einnehmen, wird uns der Rest von Pudding vorgesetzt, den der Koch mit Margarine aufgebraten hat.

      Dann ruft uns ein Kommando an die Pumpe. Etwa zwanzig Minuten lang drehen wir das Rad herum. Es ist wieder viel Wasser im Schiffsraum.

      Um acht Uhr geht die Wache zur Koje. Ich hoffe, bis um zehn Uhr etwas Ruhe zu haben, täusche mich aber darin. Zuerst stört mich Jahn mit spöttischem Geschwätz, und dann setzt plötzlich eine derbe Bö mit Hagel ein. Ohne Ölzeug müssen wir heraus, um die Bramsegel festzumachen. Wir frieren in unseren nassen Sachen. Jeder erhält einen Eierbecher voll Kognak. Ohhh!!

      Am Horizont ziehen schwarze, drohende Wolken auf. Wir erwarten Sturm. Es schlägt zehn Glasen. Ich friere wie ein Schneider, muß aber in den nassen Kleidern noch zwei Stunden auf Ausguck. Das Schiff jumpt stark. Schon spritzen hohe Seen über Deck. Ich trample mit den Füßen, um mich zu СКАЧАТЬ