Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

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СКАЧАТЬ tausend Jahre.«

      »Kann sie stehen?«

      Magnus lief manchmal plötzlich davon. Es wurden die dümmsten Fragen gestellt. Es fielen auch immer wieder dieselben Witze und Bemerkungen. »Ein netter Aal!« Auch immer wieder dieselben Antrage: Ich sollte doch einmal den Salamander in den Schwanz zwicken oder dem Pelikan eine Feder ausrupfen. Der hatte ja fast keine mehr.

      Zum Schluß der allerletzten Vorstellung abends pflegte Herr Malferteiner noch dem Publikum für den freundlichen und zahlreichen Besuch der Ausstellung zu danken. Auch wenn er gelegentlich nur zu einem Zuschauer oder zu zwei Zuschauern sprach. Er dankte dann »im Namen der Direktion«. Hinterher gab's für uns noch mühevolle Arbeit bis weit über Mitternacht.

      Einmal erlebte ich, daß die eine Riesenschlange gefuttert wurde. Sie verschlang hintereinander ganz langsam fünf lebende, aber sich fügende Opfer. Drei Hühner, ein Kaninchen und ein ganz junges Ferkel. Nur das Ferkel gab Tone von sich, quiekte jämmerlich. Damit sollte die Schlange für die nächsten vier Wochen gespeist sein. Aber am nächsten Tage erkrankte sie und gab die fünf Tiere tot und schleimbedeckt wieder von sich.

      Die Riesenschlange war der Clou und der Schluß der Vorstellung, die etwa fünfundzwanzig Minuten dauerte. Vorher führten Alex und Bruno eine Felsenschlange, eine Rieseneidechse, eine Abgottschlange und einen mit Sägespänen panierten Riesensalamander vor. Ich stand derweilen neben dem Kasten der Python tigris und dem dürren Pelikan Peter, der nie überfüttert wurde, damit er recht gierig nach den ihm zugeworfenen Schellfischbrocken schnappte. Dabei fiel er zwar meistens um, so alt und gebrechlich war er, aber das war der Moment, wo das Publikum in lautes Lachen ausbrach. Vielleicht aus Hunger zwickte er mich oft in die Beine.

      In der Mitte des grell beleuchteten Zeltes sah man in einem seichten Bassin ein paar Krokodile.

      Wieviel Arbeit war um solch Theater! Ich hatte Dienst von sechs Uhr morgens bis zwei Uhr nachts. Dann erhielt ich fünfzig Pfennige Lohn und schlief mit den anderen männlichen Angestellten in einem Wagen auf Strohsäcken. Meine Wolldecke wies helle Flecke auf, von der Boa constrictor.

      Das Aufstehen fiel schwer. Ich mußte in einer fahrbaren Tonne Wasser von weit herholen. Draußen war's eklig kalt. Ich mußte unter einem rostigen Wasserkessel Feuer anmachen. Um neun Uhr sollte es kochen. Das Wasser im Krokodilbassin wurde damit auf 20 Grad gebracht. Die Überzüge von den Kisten mußten abgeschnallt werden. Wir trieben die Krokodile mit Rohrstockhieben und Fußtritten ins Wasser. Der durch Wärmflaschen geheizte Kasten, worin sämtliche Schlangen übernachteten, wurde geöffnet und die einzelnen Tiere in Sonderbehälter verteilt. Draußen nagelten wir Blechschilder an, die gräßliche Ungeheuer im Kampfe mit wilden Völkerstämmen zeigten oder Inschriften trugen wie »Eintritt heute nur 10 Pfennige«. Und so weiter. Viel Arbeit mit dem üblichen Geschimpfe und mit Schikanen.

      Der Chef setzte sich an die Kasse. Der heisere Rekommandeur erschien, kämmte sich die Haare und lockte auftretend die Dombesucher herein: »Das Neueste der Neuzeit, die Riesenschlange!« Dann schlug Herr Malferteiner mit einem Holzklöppel gewaltig an einen Eisenteller, ein letztes Zeichen, daß die Vorstellung nun unwiderruflich begann.

      Im allgemeinen freuten wir uns, wenn ein Zuschauer eine Frage an uns richtete. Es war dann möglich, auf eine Zigarre oder auf ein Trinkgeld hinüberzuleiten oder einen derben Witz öffentlich anzubringen. Kleine, nette Scherze begaben sich. Manchmal war das Leben dort behaglich. Ich kam während und nach der Arbeit mit den Angestellten der anderen Schaubuden und Lustbarkeiten zusammen. Leute vom Dampfkarussell, vom Hippodrom und vom »Theater der Aufsehen Erregenden«. Mit Tilde von der Schießbude erneuerte ich eine ältere Bekanntschaft. Peter, der Pelikan, war mein treuer Freund.

      Malferteiner wohnte mit Frau und Kindern in einem zweiten Wagen. Sein Dienstmädchen Mathilde brachte uns zu den Mahlzeiten die derbe Kost. Tagsüber befanden wir uns in einem Strudel von Musik aus vielen Drehorgeln. Nachts kamen die Domartisten in einer kleinen Kneipe zusammen, wo es recht heiter und bunt herging. Dort tranken wir Pfefferminzschnaps, rauchten Pfeife und klönten.

      Wenn ich bei dieser Lebensweise auch leider nicht dazu kam, mich nebenher nach einem Schiff umzusehen, so tröstete es mich doch, daß ich wenigstens nicht mehr meinem Vater zur Last fiel.

      Aber nicht lange blieb ich in der Bude. Herr Kerner benachrichtigte mich, daß er ein Schiff für mich hätte. Ich möchte gleich mit Sack und Pack zu ihm kommen.

      »Hurra! Habe Chance!« depeschierte ich glücklich an meinen Vater. Und dann kündigte ich Malferteiner und zog mit meinem Gepäck davon.

      Doch die Schiffsnachricht war nur eine Erfindung von Kerner. Er hatte erfahren, daß ich in einer Schlangenbude arbeitete und meinte, das wurde meinen Vater sehr peinlich berühren. Deshalb hatte er mich mit falschem Alarm dort weggelockt. Enttäuscht und zornig war ich. Nun mußte ich wieder ein Dementi nach Köln senden, wo Papa derzeit seine alljährlich größte Einnahme dadurch verdiente, daß er eine Tapetenfabrik als Farbenkenner beriet Zu Malferteiner mochte ich nicht mehr zurück, weil ich bei meinem Abschied ziemlich hochnäsig aufgetreten war. So zog ich nun zu dem Heuerbas Persson und begab mich wieder auf die Stellungssuche, nahm auch die alten Beziehungen zu De Freitas und anderen wichtigen Herren auf. Zufällig lief die »Potosi« gerade an diesem Tage ein. Ich ging sofort an Bord der stolzen Fünfmastbark. Aber es ergab sich hier nichts und anderwärts nichts. Vater sandte mir Geld, schrieb aber ziemlich betrübt, daß ihm das auf die Dauer sehr schwer fallen wurde. Er hatte für meine Geschwister viel Ausgaben. Wolfgang studierte in Freiberg i.S. Bergfach, war Korpsstudent und mit einer Stadtratstochter verlobt. Meine Schwester war Schauspielerin geworden und erlebte an einer Provinzbuhne hübsche, künstlerische Erfolge, aber auch die üblichen Enttäuschungen.

      Persson wurde mir zu teuer. Ich zog wieder zu Krahl, wo ich meine Miete schuldig bleiben konnte, wenn ich für Frau Krahl gelegentlich Messer putzte oder Holz hackte. Es herrschte dort noch dasselbe wüste Schiffsjungenleben wie bisher. Man schlug und beschimpfte sich. Ein Rachsüchtiger warf sogar eine Gewehrpatrone in den Ofen. Bei der Explosion ging dieser und ging eine halbe Wand in Trümmer. Man suchte nach neuen Quellen zu Anborgereien und versetzte Kleider und Wasche. Abends ersäuften wir die Ängste des Tages in Schnaps und Bier in der Seidlerschen Wirtschaft. Da ging das bißchen Geld von daheim im Nu dahin Ich verheimlichte meine Notlage. Ich belog meine Eltern. Das taten die meisten von uns. Mantel, Schuhe, alles hatte ich versetzt. Sogar meinen Ebenholzstock von Onkel Martin. Meine fadenscheinige Wasche wusch und flickte ich selber Ich fror ohne Mantel, und da meine Schuhe entzwei waren, getraute ich mich nicht mehr in die vornehmen Kontors von Reedern und Kaufherren. Die kleinen Heuerbase hörten mich gar nicht mehr an. Mit Schrecken sah ich meine Logisschulden bei Krahl anwachsen. Deswegen gab ich dieses Boardinghouse auf und ging nur noch morgens hin, um nach Post zu fragen. Nachts trieb ich mich dann mit dem Sohn des schlesischen Dienstmannes herum, der auch so heruntergekommen war. Es gab Tage, da wir nicht mehr als eine Semmel zu zweit zu verzehren hatten. Wir schämten uns, Seidlers Großmut noch länger in Anspruch zu nehmen. Wir nächteten in Hauswinkeln oder auf den Bänken in der Wartehalle auf einem Hafenponton. Stetig in der Furcht, von Polizisten überrascht zu werden. Mit diesem Freund teilte ich das Eßbare eines Weihnachtspaketes, das mein Vater viel zu frühzeitig abgesandt hatte. So war von diesen Fressereien und dem beigelegten Bargeld zu Weihnachten nichts mehr übrig. Ich wanderte am Heiligen Abend hungernd und frierend durch die Straßen der reichen Stadtviertel. Mein Gedenken war bei den Eltern. Ich wußte um jede Stunde, was da zu Hause vorging. Jetzt aßen sie den italienischen Salat, jetzt sang Mutter am Flügel das schöne Lied »Ich will dich nicht vergessen, wenn alles dich vergißt«. Ich wußte auch, daß Vater vor der Bescherung durch die Straßen gewandert war, um arme Kinder zu beschenken. Und während ich durch die erleuchteten Fenster der Hamburger Patrizier Lichterbäume sah und Weihnachtslieder vernahm, hegte ich so etwas wie eine leise Hoffnung, daß man mich beobachten könnte und daß plötzlich jemand aus einem dieser Häuser herauseilen und zu СКАЧАТЬ