Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band). Joachim Ringelnatz
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Название: Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027203697

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СКАЧАТЬ sehr geschickt und solid ausführte.

      Vom 17. an flaute der Wind ab. – Es war in letzter Zeit häufig vorgekommen, daß Zucker und Brot auf nicht aufgeklärte Weise abhanden kam, und jede Wache hatte die andere deshalb verdächtigt. Diese Nahrungsmittel wurden daher jetzt den Wachen besonders zugeteilt.

      Mein äußerer Mensch war recht heruntergekommen. Zum Waschen fehlte es abwechselnd oder gleichzeitig an Wasser, Zeit und Lust. Das Kernersche Zeug taugte wirklich nichts und ging an allen Stellen entzwei.

      Ich sah wie ein Bummler aus. Dagegen hielt ich jetzt meine Koje höchst sauber. Ich hatte verschiedene Borde und Taschen zur Aufbewahrung meiner Habseligkeiten darin angebracht, und es machte mir Freude, den kleinen Bretterverschlag, den einzigen Raum, über den ich allein verfügte, in guter Ordnung zu erhalten.

      Eines Tages, als ich dem Steuermann bei irgendeiner Arbeit in der Kajüte behilflich war, rief plötzlich Napoleon von oben durch das Skylight herunter: »Stürmann, Schwein has eaten the head of Krokodil. Come up and box him.« Wir lachten sehr, und es stellte sich heraus, daß der Ameisenbär dem Krokodil den Kopf abgebissen hatte. Steuermann schlich abends nach vom, um Jahn auf dem Ausguckposten zu kontrollieren, und traf ihn im tiefsten Schlummer. Anstatt ihn nun aufzuwecken und zur Rede zu stellen, versetzte er dem Schlafenden ein paar Faustschläge ins Gesicht, worauf er sich entfernte. Jahn hatte ihn jedoch noch erkannt. Seit dem Tage bestand zwischen den beiden eine bedenkliche Spannung. Napoleon und ich erhielten fast täglich vom Steuermann Schläge. Ich nahm mir vor, sowie erst wieder Land in Sicht käme, mir das nicht mehr gefallen zu lassen, aber allerdings bis dahin war es noch lange Zeit. Ach, ich konnte den Tag nicht erwarten, an dem ich das Schiff verlassen würde, ich sehnte mich unendlich nach Freiheit. Selbst im Schlaf empfand ich das Drückende meiner Lage, und häufig stand ich des Nachts auf, um meine quälenden Gedanken an Deck unterm freien Sternhimmel loszuwerden. Dann schüttelten diejenigen, die Wache hatten, die Köpfe vor Verwunderung darüber, daß jemand die wenigen Stunden Schlaf nicht ausnutzte.

      Die »Elli« mußte ein Leck haben, denn wir hatten immer viel Wasser im Schiff, so daß wir gezwungen waren, bei jedem Wachwechsel eine Viertelstunde lang zu pumpen.

      Auf unserem Küchenzettel standen Horsmakrelen, deren wir täglich eine Menge fingen. In der Art, wie Koch sie in Margarine briet, wurden sie uns jedoch bald zuwider. Wenn ich am Ruder stand, geschah es oft, daß der Alte sich neben mich stellte und in seiner halb gutmütig-naiven, halb ironischen Art Fragen an mich richtete oder über meine Nichtsnutzigkeit predigte. Dabei pflegte er immer wieder mein Tagebuch zu zitieren.

      Wir hatten unter der Back einmal gründlich aufgeräumt.

      Wir setzten das ausgeräumte Logis unter Wasser und feierten mit Schrubbern, Besen, Soda, Seife, Sand, Lappen und Bürsten eine wahre Scheuerorgie. Auf meiner Freiwache am Abend hielt mich August durch spannende Schilderungen von Kronwaljagden noch lange wach. Es war schade und unverständlich, daß der erfahrene Seefahrer, der doch wirklich genug Interessantes erlebt hatte, noch so viel dazulog. Immerhin fand ich unter dem Wust fabelhaften Seemannsgarns noch manches, was mir wissenswert erschien.

      Am 25. war wieder ein Geburtstag. Willy war diesmal der Glückliche. Wir verdankten ihm jeder eine süßliche Belizer Zigarre sowie Schnaps. Der Schnaps verfehlte seine Wirkung nicht. Ich wurde sehr aufgeräumt, und August deklamierte zuletzt unaufhörlich folgende Ballade unbekannten Verfassers:

      Aus einem Kaffeehaus

      Warf man ein Mädchen raus,

      Sie hat 'ne Filzlaus.

      Da kam ein Offizier,

      Der zog den Degen raus

      Und stach der Filzlaus

      Die Augen aus.

      Starke Brise setzte plötzlich ein und fegte hohe Seen über Deck. Bö über Bö. Der Royl und das Bramsegel wurden zerfetzt. Wir mußten Reservesegel anschlagen. Der Segelmacher saß mit grimmigem Gesicht auf dem Achterdeck, flickte Löcher zu und fluchte über die damned Schweinearbeit. Schließlich wich der Sturm einem länger anhaltenden Wolkenbruch. Diesem wieder folgte ein mäßiger, aber sehr veränderlicher Wind, der uns fortwährend zu Segelmanövern an Deck rief. Napoleon wurde wie alle anderen zum Hissen und Brassen herangezogen, stellte sich aber so ungeschickt an, daß ich selbst darüber mehrmals mit ihm in Streit geriet. Dann kam der Steuermann hinzu und verdrosch uns alle beide. Der Nebel drang durchs Ölzeug bis auf die Haut. Die Seestiefel drückten. Es war höchst ungemütlich. Ich sann darüber nach, wie ich es bei dem wenigen Geld, das ich in Liverpool zu erwarten hatte, ermöglichen könnte, nach Deutschland zu fahren. Vielleicht würde es mir glücken, gegen seemännische Dienstleistungen auf einem nach Hamburg gehenden Dampfer freie Überfahrt zu finden.

      Die älteren Matrosen meinten, das Schiff liefe so schlecht, weil es ungeschickt beladen sei. Jedenfalls war es Zeit, daß wir bald einen Hafen erreichten. Kartoffeln gab es nicht mehr. Das Brot, das der Koch herstellte, war klumpig, naß und unverdaulich. Das Fleisch roch, der Biskuit war verrottet und die Mehlklöße roh und ungenießbar. Tee, Essig, Speck, Bohnen, Erbsen oder Graupen, etwas anderes hatten wir nicht zum Leben. Damit sollten wir noch einen Monat auskommen.

      So manches Mal, wenn ich in der Zeit des Nachts auf Posten stand, litt ich schwer unter dem Gedanken, daß ich unter diesen rohen Menschen bei so harten Verhältnissen nicht einen einzigen Menschen um mich hatte, dem ich mich anvertrauen, dem gegenüber ich mich einmal so richtig aussprechen konnte.

      12. Kapitel: Hurra, Europa!

       Inhaltsverzeichnis

      Am 1. September schlug mich der Steuermann mit einem eisernen Instrument auf den Kopf und trat mich mehrmals in den Leib. Er behauptete, ich hätte, als ich Hartbrot aus dem Zwischendeck holte, den Deckel nicht wieder über das Faß gedeckt. Die Katzen wären hineingeklettert und hätten das Brot verunreinigt. Ich wußte, daß Napoleon das Brot geholt hatte. Im Gefühl meiner Unschuld wehrte ich mich diesmal verzweifelt gegen den Steuermann, während mir vor Wut die Tränen in die Augen stürzten. Außerdem drohte ich, den Steuermann in Liverpool beim deutschen Konsul zu verklagen.

      Als der rohe Mensch mich so aufgebracht sah, bereute er wohl sein ungerechtes Vorgehen, denn er sagte nach einiger Zeit zu mir: »Es tut mir leid, du hast das eigentlich so halb unschuldig gekriegt.« Dann, um das Geschehene wieder gutzumachen, nahm er sich Napoleon in ähnlicher Weise vor wie mich.

      Schwarze, drohende Wolken stiegen am Horizont auf. Weiße Gischtstreifen hoben sich von der dunklen Wasserfläche ab. In der unheimlich drückenden Schwüle bereiteten wir uns auf einen Orkan vor. Und er kam. So hoch hatte ich die See noch nie gesehen. Wasserberge wechselten mit Wassertälern. Eine einzige Welle verdeckte oft wie ein Riesenwall die Aussicht auf den Horizont.

      Von Gehen war nicht die Rede. Wir zogen uns oder krochen vorwärts. Die Masten schwankten so stark hinüber und herüber, daß ihre Rahen auf jeder Seite fast das Wasser berührten. Dabei ergab das Zusammenstoßen hängender oder locker stehender Gegenstände ein monotones Klirren, Klappern, Rasseln und Donnern. Das Schiff ächzte in allen Fugen. Aus dem verschlossenen Schiffsraum erscholl ein dumpfes Gepolter, das von den durcheinanderrollenden Holzklötzen herrührte.

      Heute waren alle Gesichter ernst. Keiner scherzte. Jeder verrichtete die ihm übertragene Arbeit mit stillem Eifer. Gegen Abend mochten wir wohl den Kurs geändert haben, denn wir hatten Sturm und See von der Seite, und das Schiff war stark nach Steuerbord geneigt.

      Ich hatte nachts Ausguck auf der Back. Unausgesetzt СКАЧАТЬ