Название: Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band)
Автор: Rosa Luxemburg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075833211
isbn:
Als die Freihandelsära anhub, wurde Ostasien erst durch die Chinakriege erschlossen, in Ägypten stellte das europäische Kapital die ersten Schritte. In den 80er Jahren setzt parallel mit dem Schutzzoll die Expanionspolitik mit zunehmender Energie ein: Die Okkupation Ägyptens durch England, die deutschen Kolonialeroberungen in Afrika, die französische Okkupation von Tunis und die Expedition nach Tonking, die Vorstöße Italiens in Assab und Massaua, der abessinische Krieg und die Bildung Eritreas, die englischen Eroberungen in Südafrika-, alle diese Schritte folgten sich in einer ununterbrochenen Kette die 80er Jahre hindurch. Der Konflikt zwischen Italien und Frankreich wegen der Interessensphäre in Tunis war das charakteristische Vorspiel zu dem franko-italienischen Zollkrieg sieben Jahre später, der als drastischer Epilog die freihändlerische Interessenharmonie auf dem europäischen Kontinent abgeschlossen hat. Die Monopolisierung der nichtkapitalistischen Expansionsgebiete im Innern der alten kapitalistischen Staaten wie draußen in den überseeischen Ländern wurde zur Losung des Kapitals, während der Freihandel, die Politik der "offenen Tür" zur spezifischen Form der Schutzlosigkeit nichtkapitalistischer Länder gegenüber dem internationalen Kapital und des Gleichgewichts dieses konkurrierenden Kapitals geworden ist, zum Vorstadium ihrer partiellen oder gänzlichen Okkupation als Kolonien oder Interessenssphären. Wenn England allein bisher dem Freihandel treu geblieben ist, so hängt das in erster Linie damit zusammen, daß es als ältestes Kolonialteich in seinem gewaltigen Besitz an nichtkapitalistischen Gebieten von Anfang an eine Operationsbasis fand, die seiner Kapitalakkumulation bis in die jüngste Zeit fast schrankenlose Aussichten bot und es tatsächlich außerhalb der Konkurrenz anderer kapitalistischen Länder stellte. Daher der allgemeine Drang der kapitalistischen Länder, sich voneinander durch Schutzzölle abzusperren, obwohl sie zugleich füreinander in immer höherem Maße Warenabnehmer, aufeinander bei der Erneuerung ihrer sachlichen Reproduktionsbedingungen immer mehr angewiesen sind und obwohl die Schutzzölle heute, vom Standpunkte der technischen Entwicklung der Produktivkräfte, völlig entbehrlich geworden sind, ja vielfach umgekehrt zur künstlichen Konservierung veralteter Produktionsweisen führen. Der innere Widerspruch der internationalen Schutzzollpolitik ist, gleich dem widerspruchsvollen Charakter des internationalen Anleihesystems, bloß ein Reflex des geschichtlichen Widerspruchs, in den die Interessen der Akkumulation, d.h. der Realisierung und Kapitalisierung des Mehrwerts, der Expansion, zu den reinen Standpunkten des Warenaustausches geraten sind.
Letzteres findet namentlich darin seinen handgreiflichen Ausdruck, daß das moderne Hochschutzzollsystem - entsprechend der kolonialen Expansion und den verschärften Gegensätzen innerhalb des kapitalistischen Milieus - wesentlich auch als Grundlage der verstärkten Militärrüstungen inauguriert wurde. In Deutschland wie in Frankreich, Italien und Rußland wurde die Umkehr zum Schutzzoll Hand in Hand mit Heeresvergrößerungen und in deren Dienste durchgeführt, als Basis des gleichzeitig begonnenen Systems des europäischen Wettrüstens erst zu Lande und dann auch zu Wasser. Der europäische Freihandel, dem das kontinentale Militärsystem mit dem Schwerpunkt im Landheer entsprach, hat dem Schutzzoll als der Basis und Ergänzung des imperialistischen Militärsystems, bei dem der Schwerpunkt immer mehr in der Flotte liegt, den Platz geräumt.
Die kapitalistische Akkumulation hat somit als Ganzes, als konkreter geschichtlicher Prozeß, zwei verschiedene Seiten. Die eine vollzieht sich in der Produktionsstätte des Mehrwerts - in der Fabrik, im Bergwerk, auf dem landwirtschaftlichen Gut - und auf dem Warenmarkt. Die Akkumulation ist, von dieser Seite allein betrachtet, ein rein ökonomischer Prozeß, dessen wichtigste Phase zwischen dem Kapitalisten und dem Lohnarbeiter sich abspielt, der sich aber in beiden Phasen: im Fabrikraum wie auf dem Markt, ausschließlich in den Schranken des Warenaustausches, des Austausches von Äquivalenten bewegt. Friede, Eigentum und Gleichheit herrschen hier als Form, und es bedurfte der scharfen Dialektik einer wissenschaftlichen Analyse, um zu enthüllen, wie bei der Akkumulation Eigentumsrecht in Aneignung fremden Eigentums, Warenaustausch in Ausbeutung, Gleichheit in Klassenherrschaft umschlagen.
Die andere Seite der Kapitalakkumulation vollzieht sich zwischen dem Kapital und nichtkapitalistischen Produktionsformen. Ihr Schauplatz ist die Weltbühne. Hier herrschen als Methoden Kolonialpolitik, internationales Anleihesystem, Politik der Interessensphären, Kriege. Hier treten ganz unverhüllt und offen Gewalt, Betrug, Bedrückung, Plünderung zutage, und es kostet Mühe, unter diesem Wust der politischen Gewaltakte und Kraftproben die strengen Gesetze des ökonomischen Prozesses aufzufinden.
Die bürgerlich-liberale Theorie faßt nur die eine Seite: die Domäne des "friedlichen Wettbewerbs", der technischen Wunderwerke und des reinen Warenhandels, ins Auge, um die andere Seite, das Gebiet der geräuschvollen Gewaltstreiche des Kapitals, als mehr oder minder zufällige Äußerungen der "auswärtigen Politik" von der ökonomischen Domäne des Kapitals zu trennen.
In Wirklichkeit ist die politische Gewalt auch hier nur das Vehikel des ökonomischen Prozesses, die beiden Seiten der Kapitalakkumulation sind durch die Reproduktionsbedingungen des Kapitals selbst organisch miteinander verknüpft, erst zusammen ergeben sie die geschichtliche Laufbahn des Kapitals. Dieses kommt nicht bloß "von Kopf bis Zeh, aus allen Poren blut- und schmutztriefend" zur Welt, sondern es setzt sich auch so Schritt für Schritt in der Welt durch und bereitet so, unter immer heftigeren konvulsivischen Zuckungen, seinen eigenen Untergang vor.
Zweiunddreißigstes Kapitel.
Der Militarismus auf dem Gebiet der Kapitalakkumulation
Der Militarismus übt in der Geschichte des Kapitals eine ganz bestimmte Funktion aus. Er begleitet die Schritte der Akkumulation in allen ihren geschichtlichen Phasen. In der Periode der sogenannten "primitiven Akkumulation", d.h. in den Anfängen des europäischen Kapitals, spielt der Militarismus die entscheidende Rolle bei der Eroberung der Neuen Welt und der Gewürzländer Indiens, später bei der Eroberung der modernen Kolonien, Zerstörung der sozialen Verbände der primitiven Gesellschaften und Aneignung ihrer Produktionsmittel, bei der Erzwingung des Warenhandels in Ländern, deren soziale Struktur der Warenwirtschaft hinderlich ist, bei der gewaltsamen Proletarisierung der Eingeborenen und der Erzwingung der Lohnarbeit in den Kolonien, bei der Bildung und Ausdehnung von Interessensphären des europäischen Kapitals in außereuropäischen Gebieten, bei der Erzwingung von Eisenbahnkonzessionen in rückständigen Ländern und bei der Vollstreckung der Forderungsrechte des europäischen Kapitals aus internationalen Anleihen, endlich als Mittel des Konkurrenzkampfes der kapitalistischen Länder untereinander um Gebiete nichtkapitalistischer Kultur.
Dazu kommt noch eine andere wichtige Funktion. Der Militarismus erscheint auch rein ökonomisch für das Kapital als ein Mittel ersten Ranges zur Realisierung des Mehrwerts, d.h. als ein Gebiet der Akkumulation. Bei der Untersuchung der Frage, wer als Abnehmer der Produktenmasse in Betracht käme, in der der kapitalisierte Mehrwert steckt, haben wir mehrfach den Hinweis auf den Staat und seine Organe als Konsumenten abgelehnt. Wir haben sie als Vertreter abgeleiteter Einkommenquellen in dieselbe Kategorie der Nutznießer des Mehrwerts (oder zum Teil des Arbeitslohns) eingereiht, der auch die Vertreter liberaler Berufe sowie allerlei Schmarotzerexistenzen der heutigen Gesellschaft ("König, Pfaff, Professor, Hure, Kriegsknecht") angehören. Diese Erledigung der Frage ist aber erschöpfend nur unter zwei Voraussetzungen: einmal, wenn wir, im Sinne des Marxschen Schemas der Reproduktion, annehmen, daß der Staat keine anderen Steuerquellen besitzt als den kapitalistischen Mehrwert und den kapitalistischen Arbeitslohn 262 ; und zweitens, wenn wir den Staat mit seinen Organen nur als Konsumenten ins Auge fassen. Handelt es sich nämlich um persönliche Konsumtion der Staatsbeamten (so auch des "Kriegsknechts"), so bedeutet das - sofern sie aus Arbeitermitteln bestritten wird - partielle Übertragung der Konsumtion von der Arbeiterklasse auf den Anhang der Kapitalistenklasse.
Nehmen wir für einen Augenblick an, der gesamte den Arbeitern abgepreßte Betrag an indirekten СКАЧАТЬ