Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
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Название: Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band)

Автор: Rosa Luxemburg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075833211

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СКАЧАТЬ Krieges der größte Teil des Auftrags nach England. Alle 10 Kilometer sollte den Nil entlang eine dieser Fabriken errichtet werden, als Mittelpunkt eines Distrikts von 10 Quadratkilometern, der das Zuckerrohr zu liefern hatte. Jede Fabrik benötigte täglich zum vollen Betrieb 2.000 Tonnen Zuckerrohr. Während hundert alte Dampfpflüge aus der Baumwollperiode zerbrochen umherlagen, wurden hundert neue für Zuckerrohrbau bestellt. Fellachen wurden zu Tausenden auf die Plantagen getrieben, während andere Tausende an dem Bau des Ibrahimiyehkanals fronten. Stock und Nilpferdpeitsche sausten in voller Tätigkeit. Bald entstand die Transportfrage: Um die Rohrmassen nach den Fabriken zu schaffen, mußten schleunigst ein Netz von Eisenbahnen um jede Fabrik, transportable Feldbahnen, fliegende Drahtseile, Straßenlokomotiven herbeigeschafft werden. Auch diese enormen Bestellungen fielen dem englischen Kapital zu. 1872 wurde die erste Riesenfabrik eröffnet. Viertausend Kamele besorgten provisorisch den Transport. Aber die Lieferung der erforderlichen Menge Rohr für den Betrieb erwies sich als bare Unmöglichkeit. Das Arbeitspersonal war völlig ungeeignet, der Fronfellah konnte mit der Karbatsche nicht plötzlich in einen modernen Industriearbeiter verwandelt werden. Das Unternehmen brach zusammen, viele bestellte Maschinen wurden gar nicht aufgestellt. Mit der Zuckerspekulation schließt 1873 die Periode der gewaltigen Kapitalunternehmungen Ägyptens.

      Wer lieferte das Kapital zu diesen Unternehmungen? Die internationalen Anleihen. Said Pascha nahm ein Jahr vor seinem Tode (1863) die erste Anleihe auf, die nominell 66 Millionen Mark, tatsächlich, nach Abzug von Provisionen, Diskont usw., 50 Millionen Mark in bar eintrug. Er vermachte auf Ismail diese Schuld und den Suezvertrag, der Ägypten schließlich eine Last von 340 Millionen Mark aufbürdete. 1864 kam die erste Anleihe Ismails zustande, die nominell 114 Millionen zu 7 Prozent, in bar 9 Millionen zu 81/4 Prozent betrug. Diese Anleihe wurde in einem Jahr verbraucht, wobei allerdings 67 Millionen als Abfindungssumme an die Suezgesellschaft abgingen, der Rest wohl meist durch die Baumwollepisode verschlungen war. 1865 erfolgte durch die Anglo-Ägyptische Bank das erste sogenannte Daira-Anlehen, bei dem der Privatgrundbesitz des Khediven als Pfand diente; es betrug nominell 68 Millionen zu 9 Prozent, in Wirklichkeit 50 Millionen zu 12 Prozent. 1866 wurde durch Frühling und Göschen eine neue Anleihe von nominell 60 Millionen, in bar 52 Millionen aufgenommen, 1867 eine neue durch die Ottomanische Bank von nominell 40, in Wirklichkeit 34 Millionen. Die schwebende Schuld betrug um jene Zeit 600 Millionen. Zur Konsolidierung eines Teils derselben wurde 1868 eine große Anleihe durch das Bankhaus Oppenheim und Neffen aufgenommen von nominell 238 Millionen zu 7 Prozent, in Wirklichkeit kriegte Ismail nur 142 Millionen zu 131/2 Prozent in die Hand. Damit konnten aber das prunkvolle Fest der Eröffnung des Suezkanals vor den versammelten Spitzen dar europäischen Hof-, Finanz und Halbwelt und die dabei entfaltete wahnwitzige Verschwendung bestritten sowie ein neuer Backschisch von 20 Millionen dem türkischen Oberherrn, dem Sultan, in die Hand gedrückt werden. 1870 folgte die Anleihe durch die Firma Bischoffsheim u. Goldschmidt im Betrage von nominell 142 Millionen zu 7

      Prozent, in Wirklichkeit 100 Millionen zu 13 Prozent. Sie diente dazu, die Kosten der Zuckerepisode zu decken. 1872 und 1873 folgten zwei Anleihen durch Oppenheim, eine kleine von 80 Millionen zu 14 Prozent und eine große von nominell 640 Millionen zu 8 Prozent, die aber, da die von den europäischen Bankhäusern aufgekauften Wechsel zu Einzahlungen benutzt wurden, in Wirklichkeit nur 220 Millionen in bar und die Reduktion der schwebenden Schuld auf die Hälfte einbrachte.

      Auf den ersten Blick stellen diese Kapitaloperationen den Gipfel des Wahnwitzes dar. Eine Anleihe jagte die andere, die Zinsen alter Anleihen wurden mit neuen Anleihen gedeckt, und riesige Industriebestellungen bei dem englischen und französischen Industriekapital wurden mit englischem und französischem geborgtem Kapital bezahlt.

      In Wirklichkeit machte das europäische Kapital, unter allgemeinem Kopfschütteln und Stöhnen Europas über die tolle Wirtschaft Ismails, beispiellose, märchenhafte Geschäfte in Ägypten, Geschäfte, die dem Kapital in seiner weltgeschichtlichen Laufbahn nur einmal als eine phantastische, modernisierte Auflage der biblischen fetten ägyptischen Kühe gelingen sollten. Vor allem bedeutete jede Anleihe eine wucherische Operation, bei der ein Fünftel bis ein Drittel und darüber hinaus der angeblich geliehenen Summe an den Fingern der europäischen Bankiers kleben blieb. Die wucherischen Zinsen mußten aber so oder anders schließlich bezahlt werden. Wo flossen die Mittel dazu her? Sie mußten in Ägypten selbst ihre Quelle haben, und diese Quelle war der ägyptische Fellah, die Bauernwirtschaft. Diese lieferte in letzter Linie alle wichtigsten Elemente der grandiosen Kapitalunternehmungen. Sie lieferte den Grund und Boden, da die in kürzester Zeit zu Riesendimensionen angewachsenen sogenannten Privatbesitzungen des Khediven, die die Grundlage der Bewässerungspläne, der Baumwoll- wie der Zuckerspekulation bildeten, durch Raub und Erpressung aus zahllosen Dörfern zusammengeschlagen wurden. Die Bauernwirtschaft lieferte auch die Arbeitskraft, und zwar umsonst, wobei die Erhaltung dieser Arbeitskraft während ihrer Ausbeutung ihre eigene Sorge war. Die Fronarbeit der Fellachen war die Grundlage der technischen Wunder, die europäische Ingenieure und europäische Maschinen in Bewässerungsanlagen, Verkehrsmitteln, in Landbau und Industrie Ägyptens schufen. Am Nilstauwerk bei Kaliub wie am Suezkanal, beim Eisenbahnbau wie bei der Errichtung der Dämme, auf den Baumwollplantagen wie in den Zuckerfabriken arbeiteten unübersehbare Scharen von Fronbauern, sie wurden nach Bedarf von einer Arbeit zur anderen geworfen und maßlos ausgebeutet. Mußte sich auch auf Schritt und ritt die technische Schranke der fronenden Arbeitskraft in ihrer Verwendbarkeit für moderne Kapitalzwecke zeigen, so war dies auf der anderen Seite reichlich wettgemacht durch das unbegrenzte Kommando über Masse, Dauer der Ausbeutung, Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskraft, das hier dem Kapital in die Hand gegeben war.

      Die Bauernwirtschaft lieferte aber nicht nur Grund und Boden und Arbeitskraft, sondern auch Geld. Dazu diente das Steuersystem, das unter der Einwirkung der Kapitalswirtschaft dem Fellah Daumenschrauben anlegte. Die Grundsteuer auf bäuerliche Ländereien, die immer wieder erhöht wurde, betrug Ende der 60er Jahre 55 M pro Hektar, während der Großgrundbesitz 18 M pro Hektar, die königliche Familie aber von ihren enormen Privatländereien gar nichts zahlte. Dazu kamen immer neue spezielle Abgaben, so zur Erhaltung der Bewässerungsanlagen, die fast ausschließlich den vizeköniglichen Besitzungen zugute kamen, 2,50 M pro Hektar. Für jeden Dattelbaum mußte der Fellah 1,35 M, für jede Lehmhütte, die er bewohnte, 75 Pf zahlen Ferner kam die Kopfsteuer für jeden Mann über zehn Jahre im Betrage von 6,50 M hinzu. In Summa entrichteten die Fellachen unter Mehemed Ali 50 Millionen, unter Said 100 Millionen, unter Ismail 163 Millionen Mark.

      Jetzt war der Fellah bis auf den letzten Blutstropfen ausgesogen. Der ägyptische Staat hatte seine Funktion als Saugapparat in den Händen des europäischen Kapitals vollendet und ward überflüssig. Der Khedive Ismail wurde verabschiedet. Das Kapital konnte die Liquidation antreten.