Название: Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band)
Автор: Rosa Luxemburg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075833211
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Die englische Regierung befolgte die gerade entgegengesetzte Taktik. Sie trat lange Zeit als die Beschützerin der Eingeborenen auf, umschmeichelte namentlich die Häuptlinge, stützte ihre Autorität und suchte ihnen das Recht der Disposition über Ländereien zu oktroyieren. Ja, sie machte die Häuptlinge, soweit es ging, nach bewährter Methode zu Eigentümern des Stammlandes, obwohl dies dem Herkommen und den tatsächlichen sozialen Verhältnissen der Neger ins Gesicht schlug. Das Land war nämlich bei sämtlichen Stämmen Gemeineigentum, und selbst die grausamsten, despotischsten Herrscher, wie der Matabelehäuptling Lobengula, hatten nur das Recht und die Pflicht, jeder Familie eine Parzelle zum Anbau anzuweisen, die auch nur so lange im Besitze der Familie blieb, wie sie tatsächlich bearbeitet wurde. Der Endzweck der englischen Politik war klar: Sie bereitete von langer Hand den Landraub im großen Stil vor, wobei sie die Häuptlinge der Eingeborenen selbst zu ihren Werkzeugen machte. Vorerst beschränkte sie sich auf die "Pazifizierung" der Neger durch große militärische Aktionen. Neun blutige Kaffernkriege wurden bis 1879 durchgeführt, um den Widerstand der Bantus zu brechen.
Offen und mit aller Energie rückte das englische Kapital mit seinen eigentlichen Absichten erst heraus, als zwei wichtige Ereignisse: die Entdeckung der Diamantfelder Kimberleys 1867/70 und die Entdeckung der Goldminen Transvaals 1882/83 eine neue Epoche in der Geschichte Südafrikas eröffneten. Bald trat die Britisch-Südafrikanische Gesellschaft, d.h. Cecil Rhodes in Aktion. In der öffentlichen Meinung Englands vollzog sich ein rapider Umschwung. Die Gier nach den südafrikanischen Schätzen trieb die englische Regierung zu energischen Schritten an. Keine Kosten und keine Blutopfer schienen der englischen Bourgeoisie zu groß, um sich der Länder in Südafrika zu bemächtigen. Hierher ergoß sich plötzlich ein gewaltiger Strom der Einwanderung. Bis dahin war sie gering; die Vereinigten Staaten lenkten die europäische Emigration von Afrika ab. Seit den Entdeckungen der Diamant- und Goldfelder wuchs die Anzahl der Weißen in den südafrikanischen Kolonien sprunghaft: 1885-1895 waren 100.000 Engländer am Witwatersrand allein eingewandert. Die bescheidene Bauernwirtschaft wurde nun in den Hintergrund geschoben, der Bergbau rückte an die erste Stelle und mit ihm das Grubenkapital.
Die englische Regierung machte nun einen schroffen Frontwechsel in ihrer Politik. In den 50er Jahren hatte England durch den Sand-River-Vertrag und durch den Bloemfontein-Vertrag die Burenrepubliken anerkannt. Jetzt begann die politische Einkreisung der Bauernstaaten durch die Okkupation aller Gebiete um die winzigen Republiken herum, um ihnen jede Ausdehnung abzuschneiden, gleichzeitig wurden die lange beschützten und begönnerten Neger geschluckt. Schlag auf Schlag rückte das englische Kapital vor. 1868 nahm England das Basutoland - natürlich auf "wiederholtes Flehen" der Eingeborenen – unter seine Herrschaft.241 1871 wurden die Diamantfelder am Witwatersrand als "Westgriqualand" dem Oranjestaat entrissen und zur Kronkolonie gemacht, 1879 wurde das Zululand unterworfen, um später der Kolonie Natal einverleibt zu werden, 1885 wurde das Betschuanaland unterworfen und nachher der Kapkolonie angegliedert, 1888 unterwarf sich England die Matabele und das Maschonaland; 1889 bekam die Britisch-Südafrikanische Gesellschaft den Charter auf beide Gebiete - auch dies natürlich nur aus Gefälligkeit für die Eingeborenen und auf ihre inständigen Bitten 242, 1884 und 1887 wurde die St.-Lucia-Bai und die ganze Ostküste bis zum portugiesischen Besitz von England annektiert; 1894 nahm England das Tongaland in Besitz. Die Matabele und Maschona rafften sich noch zu einem Verzweiflungskampf auf, aber die Gesellschaft, mit Rhodes an der Spitze, erstickte den Aufstand erst im Blute, um dann das probate Mittel der Zivilisierung und Pazifizierung der Eingeborenen anzuwenden: zwei große Eisenbahnen wurden im aufrührerischen Gebiet gebaut.
Den Burenrepubliken wurde in dieser plötzlichen Umklammerung immer schwüler. Aber auch im Innern ging alles drunter und drüber. Der mächtige Strom der Einwanderung und die Wellen der neuen fieberhaften Kapitalswirtschaft drohten alsbald die Schranken der kleinen Bauernstaaten zu sprengen. Der Widerspruch zwischen der Bauernwirtschaft auf dem Felde wie im Staate und den Anforderungen und Bedürfnissen der Kapitalakkumulation war in der Tat ein schreiender. Auf Schritt und Tritt versagten die Republiken gegenüber den neuen Aufgaben. Unbeholfenheit und Primitivität der Administration, die ständige Kafferngefahr, die wohl von England nicht mit scheelen Blicken angesehen war, Korruption, die sich in den Volksrand eingeschlichen hatte und durch Bestechung den Willen der Großkapitalisten durchsetzte, das Fehlen der Sicherheitspolizei, um die zuchtlose Gesellschaft der Glücksritter im Zaume zu halten, Mangel an Wasserzufuhr und Verkehrsmitteln zur Versorgung einer plötzlich aufgeschossenen Kolonie von 100.000 Einwanderern, mangelnde Arbeitergesetze, um die Ausbeutung der Neger im Bergbau zu regeln und zu sichern, hohe Schutzzölle, die den Kapitalisten die Arbeitskraft verteuerten, hohe Frachten für Kohle - alles das fügte sich zu einem plötzlichen und betäubenden Bankrott der Bauernrepubliken zusammen.
In ihrer plumpen Borniertheit wehrten sie sich gegen die Schlamm- und Lavaflut des Kapitalismus, die sie verschlang, durch das denkbar primitivste Mittel, das nur im Arsenal der dickköpfigen und starren Bauern zu finden war: Sie schlossen die Masse der "Uitlander", die sie an Zahl weitaus übertraf und ihnen gegenüber das Kapital, die Macht, den Zug der Zeit vertrat, von jeglichen politischen Rechten aus. Aber das war nur ein schlechter Spaß, und die Zeiten waren ernst. Die Dividenden litten empfindlich unter der bäuerlich-republikanischen Mißwirtschaft und konnten sie nicht länger dulden. Das Grubenkapital revoltierte. Die Britisch-Südafrikanische Gesellschaft baute Eisenbahnen, warf Kaffern nieder, organisierte Aufstände der Uitlander, provozierte endlich den Burenkrieg. Die Stunde der Bauernwirtschaft hatte geschlagen. In den Vereinigten Staaten war der Krieg Ausgangspunkt der Umwälzung, in Südafrika war er ihr Abschluß. Das Ergebnis war dasselbe: der Sieg des Kapitals über die kleine Bauernwirtschaft, die ihrerseits auf den Trümmern der primitiven naturalwirtschaftlichen Organisation der Eingeborenen erstanden war. Der Widerstand der Burenrepubliken gegen England war ebenso aussichtslos wie der Widerstand des amerikanischen Farmers gegen die Kapitalsherrschaft in den Vereinigten Staaten. In der neuen Südafrikanischen Union, die, eine Verwirklichung des imperialistischen Programms Cecil Rhodes', an Stelle der kleinen Bauernrepubliken einen modernen Großstaat setzt, hat nunmehr das Kapital offiziell das Kommando übernommen. Der alte Gegensatz zwischen Engländern und Holländern ist in dem neuen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ertränkt worden:
Beide Nationen haben ihre rührende Verbrüderung in der Union mit der bürgerlichen und politischen Entrechtung von 5 Millionen farbiger Arbeiterbevölkerung durch eine Million weißer Ausbeuter besiegelt. Dabei sind nicht bloß die Neger der Burenrepubliken leer ausgegangen, sondern den Negern der Kapkolonie, die von der englischen Regierung ehemals politische Gleichberechtigung erhalten hatten, ihre Rechte zum Teil genommen worden. Und dieses edle Werk, das die imperialistische Politik der Konservativen durch einen schamlosen Gewaltstreich gekrönt hat, sollte gerade von der liberalen Partei vollendet werden - unter dem frenetischen Beifall "der liberalen Kretins Europas", die mit Stolz und Rührung in der völligen Selbstverwaltung und Freiheit, die England der Handvoll Weißer in Südafrika schenkte, den Beweis feierten, welche schöpferische Macht und Größe doch noch dem Liberalismus in England innewohne.
Der Ruin des selbständigen Handwerks durch die Konkurrenz des Kapitals ist ein Kapitel für sich, das weniger geräuschvoll, aber nicht minder qualvoll ist. Die kapitalistische Hausindustrie ist der dunkelste Abschnitt dieses Kapitels. Es erübrigt sich hier, auf diese Erscheinungen näher einzugehen.
Allgemeines Resultat des Kampfes СКАЧАТЬ