Название: Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band)
Автор: Rosa Luxemburg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075833211
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Hier muß auf ein Mißverständnis eingegangen werden, das die Anlage von Kapitalien in fremden Ländern und die Nachfrage aus diesen Ländern betrifft. Die Ausfuhr englischen Kapitals nach Amerika spielte schon zu Beginn der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts eine enorme Rolle und hat die erste echte Industrie- und Handelskrise Englands im Jahre 1825 in hohem Maße verschuldet. Seit 1824 wurde die Londoner Börse von südamerikanischen Wertpapieren überschwemmt. 1824-1825 haben die neugebildeten Staaten von Süd- und Zentralamerika für mehr als 20 Millionen Pfund Sterling Staatsanleihen in London aufgenommen. Außerdem wurden hier enorme Mengen südamerikanischer Industrieaktien und dergleichen angebracht. Der plötzliche Aufschwung und die Eröffnung der südamerikanischen Märkte haben ihrerseits eine starke Erhöhung der Ausfuhr englischer Waren nach den südamerikanischen und zentralamerikanischen Staaten hervorgerufen. Die Ausfuhr britischer Waren nach jenen Ländern betrug 1821 2,9 Millionen Pfund Sterling, 1825 6,4 Millionen Pfund Sterling.
Den wichtigsten Gegenstand dieser Ausfuhr bildeten Baumwollgewebe. Unter dem Anstoß der starken Nachfrage wurde die englische Baumwollproduktion rasch erweitert, viele neue Fabriken gegründet. Die in England verarbeitete Rohbaumwolle belief sich 1821 auf 129 Millionen Pfund Sterling, 1825 auf 167 Millionen Pfund Sterling.
So waren alle Elemente der Krise vorbereitet. Tugan-Baranowski wirft nun die Frage auf: "Woher haben aber die südamerikanischen Länder die Mittel genommen, um im Jahre 1825 zweimal soviel Waren zu kaufen als im Jahre 1821? Diese Mittel sind von den Engländern selbst geliefert worden. Die Anleihen, die auf der Londoner Börse aufgenommen worden sind, dienten zur Bezahlung für die eingeführten Waren. Die englischen Fabrikanten wurden durch die von ihnen selbst geschaffene Nachfrage getäuscht und mußten sich bald durch eigene Erfahrung überzeugen lassen, wie unbegründet ihre übertriebenen Hoffnungen waren."244
Hier wird die Tatsache, daß die südamerikanische Nachfrage nach englischen Waren durch englisches Kapital hervorgerufen worden war, als eine "Täuschung", ein ungesundes, abnormes ökonomisches Verhältnis aufgefaßt. Tugan übernimmt hier unbesehen Ansichten von einem Theoretiker, mit dem er sonst nichts gemein haben will. Die Auffassung, daß die englische Krise des Jahres 1825 durch die "seltsame" Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem englischen Kapital und der südamerikanischen Nachfrage zu erklären wäre, war zur Zeit jener Krise selbst aufgetaucht, und kein anderer als Sismondi stellte bereits dieselbe Frage wie Tugan-Baranowski und beschrieb in der zweiten Auflage seiner "Neuen Grundsätze" die Vorgänge mit aller Genauigkeit:
"Die Eröffnung des ungeheuren Marktes, den das spanische Amerika den Produkten der Industrie darbot, scheint mir am wesentlichsten auf die Wiedererstarkung der englischen Manufakturen gewirkt zu haben. Die Regierung Englands war derselben Ansicht, und eine bis dahin unbekannte Tatkraft ist in den 7 Jahren seit der Krisis vom Jahre 1818 geübt worden, um den englischen Handel in die entlegensten Gebiete Mexikos, Columbias, Brasiliens, Rio de la Platas, Chiles und Perus zu tragen. Ehe das Ministerium sich schlüssig gemacht hatte, diese neuen Staaten anzuerkennen, hatte es schon Vorsorge getroffen, den englischen Handel durch Schiffsstationen, die dauernd mit Linienschiffen besetzt waren, zu schützen, deren Befehlshaber mehr diplomatische als militärische Befugnisse hatten. Es hat dem Geschrei der Heiligen Allianz getrotzt und die neuen Republiken anerkannt in demselben Augenblick, als ganz Europa ihre Vernichtung beschloß. Aber wie groß auch die Absatzquellen waren, die das freie Amerika darbot, sie hätten doch nicht zugereicht, um alle Waren, die England über die Bedürfnisse des Verbrauchs produziert hatte, aufzunehmen, wenn die Anleihen der neuen Republiken nicht plötzlich ohne Maß ihre Mittel, englische Waren zu kaufen, vermehrt hätten. Jeder Staat Amerikas entlieh von den Engländern eine Summe, um seine Regierung zu befestigen, und obgleich dies ein Kapital war, verausgabte er sie unmittelbar in demselben Jahre wie ein Einkommen, d.h., er verbrauchte sie gänzlich, um englische Waren für öffentliche Rechnung zu kaufen oder die zu bezahlen, die für Rechnung von Privatleuten abgesandt worden waren. Zahlreiche Gesellschaften wurden zu gleicher Zeit gegründet mit ungeheueren Kapitalien, um alle amerikanischen Minen auszubeuten, aber alles Geld, das sie ausgegeben haben, wurde zugleich in England Einnahme, um die Maschinen zu bezahlen, die sie unmittelbar gebrauchten, oder die Waren, die nach den Orten gesandt waren, an denen die Maschinen arbeiten sollten. Solange dieser seltsame Handel angedauert hat, in dem die Engländer von den Amerikanern nur verlangten, daß sie mit dem englischen Kapital englische Waren kauften, schien der Gang der englischen Manufakturen glänzend zu sein. Nicht mehr das Einkommen, sondern das englische Kapital hat den Verbrauch bewirkt, die Engländer, die ihre eigenen Waren, die sie nach Amerika schickten, selbst kauften und bezahlten, haben sich nur das Vergnügen entzogen, sie selbst zu genießen."245 Sismondi zieht daraus den ihm eigenen Schluß, daß nur das Einkommen, d.h. die persönliche Konsumtion, die wirkliche Schranke für den kapitalistischen Absatz bilde, und benutzt auch dieses Beispiel, um ein übriges Mal vor der Akkumulation zu warnen.
In Wirklichkeit ist der Vorgang, der der Krise des Jahres 1825 voraufgegangen war, typisch geblieben für die Aufschwungsperiode und Expansion des Kapitals bis auf den heutigen Tag, und das "seltsame" Verhältnis bildet eine der wichtigsten Grundlagen der Kapitalakkumulation. Speziell in der Geschichte des englischen Kapitals wiederholt sich das Verhältnis regelmäßig vor jeder Krise, wie Tugan-Baranowski dies selbst durch folgende Zahlen und Tatsachen belegt. Die unmittelbare Ursache der Krise von 1836 war die Überfüllung der Märkte in den Vereinigten Staaten mit englischen Waren. Aber auch hier wurden diese Waren mit englischem Geld bezahlt. 1834 übertraf die Wareneinfuhr der Vereinigten Staaten ihre Ausfuhr um 6 Millionen Dollar, zugleich aber übertraf die Einfuhr der Edelmetalle nach den Vereinigten Staaten die Ausfuhr fast um 16 Millionen Dollar. Noch im Krisenjahr selbst, 1836, belief sich der Überschuß der Wareneinfuhr auf 52 Millionen Dollar, und doch betrug der Überschuß der Einfuhr an Edelmetall noch 9 Millionen Dollar. Dieser Geldstrom kam, so wie der Warenstrom auch, in der Hauptsache aus England, wo Eisenbahnaktien der Vereinigten Staaten massenhaft gekauft wurden. 1835-1836 wurden in den Vereinigten Staaten 61 neue Banken mit 52 Millionen Dollar Kapital - vorwiegend englischen Ursprungs - gegründet. Also bezahlten die Engländer auch diesmal ihre Ausfuhr selbst. Genauso wurde der beispiellose industrielle Aufschwung im Norden der Vereinigten Staaten Ende der 50er Jahre, der in seinem Schlußergebnis zum Bürgerkrieg führte, mit englischem Kapital bestritten. Dieses Kapital schuf wieder in den Vereinigten Staaten den erweiterten Markt für die englische Industrie.
Und nicht nur das englische, auch das übrige europäische Kapital beteiligte sich nach Kräften an dem "seltsamen Handel"; nach einer Äußerung Schäffles waren in den 5 Jahren 1849-1854 mindestens eine Milliarde Gulden an den verschiedenen europäischen Börsen in amerikanischen Wertpapieren angelegt. Die gleichzeitig hervorgerufene Belebung der Weltindustrie mündete auch in den Weltkrach 1857. In den 60er Jahren beeilt sich das englische Kapital, außer in den Vereinigten Staaten dasselbe Verhältnis in Asien zu schaffen. Es fließt massenhaft nach Kleinasien СКАЧАТЬ