Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
isbn:
Er erhob sich und schritt unverzüglich zu deren Ausführung.
Im Schuppen warf er den Reisigstoß vollends auseinander, trug die vier gestohlenen Grenzsteine heraus und zerschlug sie mit dem eisernen Pürdel in kleine Stücke. Diese lud er in einen Kastenkarren und fuhr sie an den Brunnen. Dort ließ er sie stehen, hob eine Feuerleiter vom Dach, holte die andere hinter dem Hause herbei und band beide mit Stricken aneinander.
Darauf trat er ins Haus, zog sich um und ging ins Dorf, kalt und steinern, wie ein harter Mann in unaufschiebbarem Geschäft einherschreitet.
Er fand den alten Freiwald bei seiner Winterarbeit, der Fabrikation von Wirtschaftsgeräten. Als der Klumpen in die kleine Stube eintrat, erhob sich der Greis betreten, rückte die große Brille auf seine Stirn hinauf und bot ihm einen Stuhl an. Kurz, ohne Umschweife trug Exner ihm seine Bestellung auf: der alte Brunnenbauer solle morgen früh einmal zusehn, was es für eine Bewandtnis mit seinem Born habe. Seit Tagen sei das Wasser ausgeblieben. Er, Exner, könnte ja den Brunnenbauer aus Petzdorf holen, aber Freiwald habe nun mal den Born getrieben und werde darum die Sache gründlicher machen als irgendein anderer. Die Feuerleitern seien aneinandergebunden, alles liege parat, er selbst könne nicht zugegen sein, weil er Termin habe.
Freiwald machte diese und jene Einwendungen. Der Lahme beschrankte sich darauf, seinen Auftrag zu wiederholen, gab dem Alten freundlich die Hand und ging. Auf dem Dorfwege wußte er plötzlich nicht mehr, was beginnen; es ging immerfort etwas wie ein sumsender Wind durch seinen Leib, und der Laut seiner Schritte schien von den Bergen umher auf ihn herabzufallen. Er nahm die Mütze ab, damit das Pochen von den Höhen her aufhöre. Das Kollern in der Luft über ihm dauerte an. So entschloß er sich, auf den Eschberg zu steigen. Das macht jeder, wenn ihm so was passiert. An der Wegscheide, wo ein Steig links jach emporklomm, der andere am Rande hin sich nach dem Fuchsloche abzweigte, hatte er seinen Vorsatz schon wieder vergessen und schritt seinem Vaterhause zu. Auf halbem Wege, unter den Erlen eines Tümpels, stand plötzlich sein Bruder Joseph vor ihm. Er trug einen halben Sack Brotgetreide auf der Schulter und wollte zur Mühle.
Nach der Begrüßung fragte der Jüngere:
»Nu, Karla«, wohin willst'n du?«
Der Lahme war versucht, seines Bruders weiche, hohe Stimme spöttisch nachzuäffen, unterdrückte aber den Drang und antwortete:
»Zu dir. Du wirst wohl wissen, wie's mit meiner steht, und da ich morgen in de Stadt zum Termin muß...«
»Ja'ch, wie weit is'n, wie stets'n mit'm Freirichter?«
Ohne auf seine Unterbrechung zu achten, fuhr der Lahme fort:
»Da möcht ich Marie nich alleene lassen, denn ma weeß immer nich, was mit'r wird, 's is schon zu nahe.«
»Nu denk, 's wird nich gut gehn, jedoch aber ...«
»Jedoch aber«, fiel der Klumpen ein und stieß ein häßliches Lachen aus. »Was denn, ›jedoch aber‹! Ha ich amal ›jedoch aber‹ gesagt, wenn de Zinse nich zum Punkte kam?«
»Nu, Karla, siehch och, mir han selber een kranke Kuhe, un drnach muß ich eigentlich morgen nach Rolling. Endlich is doch aso weit.«
»Ich bin kee Leiermann, un was geht mich deine Rollinger Geschichte an!«
»Du brauchst doch nich schon wieder wilde zu wern.«
»Nach, was is dir lieber, du gibst mir zu Johanni de tausend Taler, oder de Kathe kommt morgen un bleibt bei dr Marie.«
»Aber, Karla, wir sein doch Brüder. Muß mr denn immer Prügel reden.«
»Brüder! Ich kenn' dich! Dir war's am liebsten, ich hinge morgen schon am Galgen.«
Nach diesem Aufbegehren begann der sumsende Wind den Leib des Lahmen wieder auszuhöhlen. Eine nicht zu bemeisternde Angst bemächtigte sich seiner.
Mit erlöschender Stimme bat er:
»Joseph, um Himmels, Maria Christi willen! Tu mr den eenzigen Gefallen und schick mr de Kathe morgen. Du weeßt nischt, gar nischt, und ich kann dir nichts sagen.«
Dann wurde es grau um ihn, er hörte und sah nichts mehr.
Als er wieder aufschaute, saß er mutterseelenallein auf einem Stein und hielt einen Ballen Schnee in der Hand, den er mit steifen Fingern knetete. Ein leiser Wind blies da und dort Schleierchen aus der Schneedecke, die wie stumme Vögel eine Strecke hinflogen und sich dann wieder niederließen. Es war ein eiliges Huschen rund um ihn.
»Kommt och, immer kommt«, murmelte er drohend auf das Spiel des Schnees hin, »immer kommt!«
Nachdem er das dreimal gesagt hatte, fiel es ihm ein, sich seinem Bruder gegenüber verraten zu haben. Nun blieb ihm weiter nichts mehr übrig, als sofort zu fliehen. Durch den Wald eilte er nach Hause, warf sich auf die Radwer, fuhr sie ins Feld und überschaufelte sie mit Schnee. Dann band er die Feuerleitern auseinander. Den letzten Knoten konnte er nicht lösen, ließ alles liegen, lief auf die obere Stube, steckte das Sparkassenbuch in die Rocktasche und ging dann noch einmal auf den Heuboden, um zu sehen, wie lange er mit dem Futter reichen werde. Das Mondlicht hing durch die Dachluke, und bei dem Winde war es, als werde ein weißes Tuch von draußen hereingeblasen. In dem ungewissen Schein bückte er sich und griff in dem Heu umher. Je langer er in den raschelnden Halmen wühlte, desto unfaßbarer wurde es ihm, alles zu verlassen: die Kühe, die Schweine, das Haus, den Acker, das Geld. Nur dieses ärmliche Buch rettete er von allem. Er, der ganz Steindorf unterjochen wollte, den Freirichter gängeln, er, der alle zusammenhauen konnte wie ein Taschenmesser, wenn er wollte! Wie ein Hund sollte er über die Straße laufen, gehetzt, verarmt.
In Wut raffte er mit beiden Händen das Heu auf und warf es gegen den Mondschein. »Hunde!« schrie er, »Brut!«, furchtbare Verwünschungen und schleuderte das Heu immer nach der Dachluke hin. Der Schweiß strömte über sein Gesicht, seine Stimme ward heiser, aber er hörte nicht auf.
Immer bückte er sich und warf Bürden hinter sich. »Mei Geld! mei Geld! mei Haus! mei Acker!« Er röchelte nur mehr.
Plötzlich fühlte er, wie der Fußboden sich hob, Knistern lief durch die Schindeln, Trommeln hämmerten in den Wänden unter ihm. Alles begann zu kreisen, brausend drehte es ihn, er erhielt einen Schlag gegen den Kopf. Alles um ihn stand in spritzendem Feuer. Dann brach er zusammen.
Gepolter und Kuhgebrüll trieben ihn zeitig früh aus der Betäubung, in der er die ganze Nacht gelegen hatte.
Er setzte sich auf, um einen klaren Gedanken zu fassen. Zuletzt hatte er es beisammen, was unabweislich war.
Er wollte nach Landeck, das Geld auf der Sparkasse erheben und dann über die böhmische Grenze entweichen.
Stumpf, trotzig, erhob er sich, bahnte sich einen Weg durch das Heu und stieg hinunter in die Stube.
Sie war eiskalt. Das graue Licht der ersten Frühe hing darin. Niemand war zu sehen, die Betten in der Schlafkammer unberührt.
Endlich entdeckte er sein Weib vor dem Tisch liegend, zusammengeringelt wie ein Tier.
Er rüttelte an ihr.
Sie СКАЧАТЬ