Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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»Warum wirst'n bleech?«
»Weil ich lach.«
»Un du brauchst doch nich mit den Augen a so zu finkeln!«
Exner maß sein Weib mit glühenden Blicken, sein Atem begann zornig zu rauschen; dann zerriß Wut die Maske seiner vorsichtigen Mäßigung. Stoßweise, grollend, immer lauter schrie er:
»Mei Auge finkelt. Mei Hand wird lose, un' gehst du nich glei, da liegt se dir eim Gesichte. Du! Was willst du denn vo mir? Du hast mich schon genung geschindt. Nu soll ich noch fürs Bornwasser könn! Da geh und frag lieber deine Tocke. Die is ja gescheide genung.«
Niedergeschlagen ging Marie davon.
Aber auch den Lahmen hatte dieser Ausbruch nicht aufgerichtet.
Er verfiel in eine heißhungrige Arbeitslust, hackte Holz, drosch allein in der Scheuer, daß alles bebte, grub Abzugsgräben auf dem gefrorenen Felde, spaltete Steine. Ja, er tat völlig Zweckloses. So schob er mit langen Stangen den Schnee von dem Dache, besserte den Weg, obwohl der Schnee schon fußhoch lag, nur, um gegen sein Schicksal zu ringen. Einen geistigen Kampf, ein seelisches Auseinandersetzen gab es für ihn nicht. Er glaubte seine Untat zersägen, mit dem Pürdel zerschlagen, mit dem Beile töten zu können.
Aber die Bilder seiner Furcht wichen nicht von ihm, und am Ende der Woche fühlte er sich verlorener als am Anfange.
16
Indes so der Lahme auf enger Scholle gegen sein Geschick kämpfte, spann sich in Steindorf und nach und nach in der Umgegend ein Netz von Vermutungen.
Das Verschwinden des Klose-Schusters reizte die Neugier der Leute am meisten, die, durch die Kälte in engen Wohnungen zusammengepfercht, gemeinsam an der Entwirrung des Rätsels arbeiten konnten.
Es bildeten sich die verschiedensten, widersprechenden Gerüchte: er sei im Walde erfroren, er sitze wegen Landstreichens im Gefängnisse. Diese Meinungen tauchten anfangs auf und waren einfach und natürlich. Aber sie vermochten das Interesse nicht dauernd zu fesseln, und da sich nichts Neues ereignen wollte, so begann man, das Ereignis immer verwickelter zu erklären. In irgendeinem Dorfe war irgend was von irgend jemand gestohlen worden, ohne daß man dem Dieb auf die Spur gekommen wäre. Damit brachte man den Schuster in Verbindung und meinte, er habe sich auf Nimmerwiedersehen mit dem Raube über alle Berge gemacht. Bald war man auch dieser Erklärung überdrüssig und gestaltete ein dramatisches Gerücht. Leise, daß es niemand erfahre, erzählten sich alle, der Lahme halte den Schuster gefangen, nachdem er ihn halbtotgeschlagen, denn er sei beim Ausgraben der Grenzsteine von ihm ertappt worden. Ein Mann vom Eschberge wollte in der Frühdämmerung, da er nach seiner entfernten Arbeitsstelle ging, gesehen haben, wie Klose von dem Lahmen am Genick über das Feld geschleift worden sei. Er habe, hinter der Mauer stehend, alles genau gesehen, sei aber aus Angst vor dem Klumpen eilig davongegangen.
Die Abenteuerlichkeit dieser Version zog alle an, und jeder fand Gelegenheit, in ihren weiten Maschen noch eine oder die andere Variante anzubringen. Als das Gerücht einigemal die Runde durch alle Stuben gemacht hatte, war es zu einem Roman angewachsen, an dem niemand mehr zu zweifeln wagte.
Jeder erinnerte sich plötzlich einer Grobheit und Roheit des Lahmen; alle fühlten sich bedroht und beunruhigt, das mißhandelte Rechtsbewußtsein forderte Aufklärung.
So stellte sich vierzehn Tage nach dem Verschwinden Kloses seine Schwester Pauline, Paule genannt, auf dem Höfchen am Freibusche ein, um nach ihrem Bruder zu fragen. Sie traf Marie allein in der Stube.
Dem Mädchen hatte die Kalte arg zugesetzt, und ihr Körper bebte unter der ärmlichen Bekleidung. Die heikle Mission, welche sie unternommen hatte, um zu sühnen, was sie durch ihren Fehltritt am Bruder gesündigt, verstärkte die Schauer, welche von Zeit zu Zeit ihren Leib schüttelten. Nur das abgehärmte Gesicht, das in der ersten Jugend wohl einmal nicht unschön gewesen sein mochte, war leicht gerötet.
Zögernd trat sie ein, grüßte und schlug die Augen nieder.
Marie nötigte sie, auf der Bank Platz zu nehmen, und ließ sich selbst auf einem Stuhl ihr gegenüber nieder.
Da der Besuch, welcher Marie ganz unbekannt war, keine Miene machte, zu sprechen, sondern seine großen Augen neugierig und ängstlich durch den Raum gehen ließ, fragte das junge Weib:
»Na, was bringen Sie denn Scheenes, Jungferla?«
Paule wurde verwirrt, senkte die Augen und antwortete dann feindselig:
»Sie kenn' mich wohl; aber Se tun natürlich au, als wenn's nich wahr wär.«
»Un was sollte denn nich wahr sein?«
»Ich bin de Paule.«
»Ja, warum sollte denn das nich wahr sein? Wenn Sie's sagen, da wird's wohl stimmen.«
»Ach, Sie versteh« mich nich. Vo mei'm Bruder...« Sie brach ab und sah Marie aufmerksam an.
»Ihr Bruder... ja, wer is'n das?«
»Da sieht ma's, daß alls wahr is! Mein Bruder kenn' Se nich, Gustan, a Schuster, der de da aus und ein gegangen is? – Ma sieht's. Aber verlassen Se sich of mich, ich geh nich ehnder, bis ich a nich gesehn hab'!«
Sie nahm die blaue Schürze herauf und hielt den Zipfel vor den Mund.
»Ja, aso!... Ihr Bruder is der Klose-Schuster... hm, hm...«
Marie wußte nicht, wie es kam, daß sie unsicher wurde. Aus den großen Augen vor ihr, die eben noch feucht gewesen waren und nun so entschlossen zu leuchten begannen, da sie stotternd abgebrochen hatte, sprach der feste Wille, ein Rätsel zu lösen, das auch sie nun schon seit Tagen verfolgte. Das Verschwinden des Schusters kam ihr plötzlich auch geheimnisvoll vor, daß sie sich darüber wunderte, wie sie bisher hatte so gleichgültig bleiben können.
Das ging in ihr vor, indem sie einige Sekunden zögerte. Dann setzte sie gewandt ihre Entgegnung fort:
»Mein Gott, wer wundert sich groß, wenn Ihr Bruder fort is! Der is doch bale da, bale dort; er war am, um a zwanzigsten vergangenen Monat bei uns, hat mit zu Mittag gegessen, is nausgegangen, und dann hab' ich'n nich meh gesehn.«
Paule sprang auf, und indem sie an den Tisch trat, schleuderte sie mit bebender Stimme Marie den Verdacht ins Gesicht, den Steindorf und die ganze Umgegend hegten.
»Ha'ch«, beendete sie, »Ihrem Manne is alls zuzutraun! Dem is egal, ob der eene Katze oder een Mensch halbtotschlägt.«
Da erscholl Räuspern aus rauher Männerkehle.
Erschrocken kehrten sich die Frauen um.
In der Tür stand der Lahme. Ein Krampf ging durch seinen Körper. Die Arme hingen straff am Leibe herab, als trage er schwere Gewichte an seinen Fäusten, die fest geschlossen waren, daß die Knöchel weiß schimmerten. Sein Gesicht war fahl, die Augen lagen tief in den Höhlen, um seine schmalen Lippen stand ein regungsloses Lächeln, mehr eine starre Verzerrung.
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