Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ und genoß die Wandlung seiner Natur. Das Gefühl unbeschränkter Sicherheit kam immer stärker über ihn. Er stand unerreichbar über allen Menschen. Hatte seine Seele früher nur eine undeutliche und sehr verschrobene Ansicht über Gut und Böse gehabt, so war dieser Unterschied jetzt ganz ausgelöscht. Nicht, als ob der Lahme das gewußt hätte; es zeigte sich nur, wie er darüber nachsann, den Verfolgern zu entgehen, die ihn umringten, und deren Zahl täglich wachsen mußte. Ohne die geringste Scheu begann er jetzt über seine Lage nachzusinnen.

      Er hatte, wenn auch ohne die Hand zu rühren, den Säufer in den Brunnen getrieben. Anstatt sich darüber Vorwürfe zu machen, geriet er in einen Zorn über den Dämelack, der durch eine Ungeschicklichkeit ihn in eine solche Klemme gebracht hatte. Was mußte zunächst geschehen? Wie wär's, wenn er die Leiche herausholte und irgendwo im Walde verscharrte! – Das ging nicht. Seiner Frau konnte es kaum verborgen bleiben, wenn er in der Nacht herunterstiege, und dann die Gefahr für ihn. Ein Fremder? Nein, das hieße den Kopf bald in die Schlinge legen.

      Das beste war, die Sache drauf ankommen zu lassen. Er schlug sich alle Bedenken aus dem Kopfe. Was hatte er auch zu befürchten! Niemand konnte beweisen, er habe den Tod des Schusters verschuldet oder den Menschen getötet oder die Grenzsteine vernichtet. Aber indem er das sann, stieß er auf einen Umstand, der ihn doch besorgt machte! –

      Die Grenzsteine! – Wenn durch irgendeinen Zufall Klose im Brunnen gefunden würde, so mußte man auch die Grenzsteine dabei entdecken.

      Das war wirklich die einzige Gasse, auf welcher das Verderben ihn erreichen mußte.

      Er wühlte sich tiefer ins Stroh, nahm einen Halm zwischen die Zähne und grübelte, wie er dieser Gefahr entrinnen könne.

      Es kostete ihn anfangs Mühe, die Möglichkeiten scharf zu erwägen und auseinanderzuhalten, weil er die geistige Arbeit gar nicht gewöhnt war. Allein die unausgesetzten Qualen der letzten zwölf Tage hatten seinen Geist auf einen Punkt zusammengerissen und geschärft. Es zeigte sich, daß er gar nicht der beschränkte Klumpen war, für den ihn die Leute hielten. Durch sein frühes Unglück am Ausflug gehindert, in eintöniger Umgebung und seinem trotzigen Vorsätze verkümmert, war er geistig zurückgeblieben. Dafür hatte sich sein Wille übermächtig entwickelt. Mit dieser unbeugsamen Hartnäckigkeit bestand er nun auf seiner Rettung. Nach langen Stunden war der Plan dazu fertig.

      Er wollte Steine herbeischaffen und in den Brunnen schütten. Immer unter zwei Kastenkarren mußten ein oder zwei verwitterte Grenzsteine vermischt werden, die er auf einem fremden, entfernten Felde oder im königlichen Walde nächtlicherweise heraushob und ungesehen im Sack nach Hause trug. Damit wurde die Entdeckung der Leiche des Schusters, konnte er seine Frau zur Verschwiegenheit bringen, vereitelt. Stieg die Polizei, die bei der Aufregung der Umgegend dem Verschwinden des Schusters nachforschen mußte, dennoch in den Brunnen, nun, so fand man eben den Toten, und er konnte ruhig hundert Eide schwören, daß er sein Unglück nicht verschuldet habe. Gleichzeitig mußte das Vorhandensein so vieler Grenzsteine die Begebenheit des Grenzfrevels vollkommen verwirren. Und wenn er sich nicht gar zu tölpelhaft stellte, konnte er hoffen, wenn auch nicht ungerupft, noch einmal aus der ganzen Verwicklung herauszukommen. Befriedigt richtete sich Exner auf. Freilich würde seine Frau sich über die ganze Steinfahrerei wundern und mißtrauisch, wie sie schon einmal war, ihn mit allerhand Verdächtigungen quälen. Da wollte er ihr denn sagen, daß das teilweise Anfüllen des Brunnens mit großen und kleinen Steinen notwendig sei, um das Wasser von der schlammigen, faulen Sohle weiter zwischen dem Gestein heraufzutreiben, damit es auf diesem Wege seine erdigen Beimischungen absetze und den schlechten Geschmack verliere. Diese Erklärung konnte er auch der Polizei gegenüber gebrauchen.

      Nachdem er so mit sich ins reine gekommen war, lachte er befriedigt, rieb sich die Hände, zog den Kopf zwischen die massigen Schultern und trat durch das kleine Türchen in den Hof. Der Himmel glühte in einem schimmernden Blaugrün, in dem lange, ausgefranste, brennend rote Streifen lagen.

      »Verknucht, 's is ja Abend!«

      Noch hatte er seit dem Frühstück nichts gegessen.

      Er stellte sich, als habe er geschlafen. Seine Augen reibend, trat er in die Stube und verlangte unter Gähnen zu essen.

      Sein Weib saß am Tisch, ihr Gesicht der dämmrigen Stube zugewandt. An ihrer Stimme erkannte man, daß sie geweint habe; es war, als klebten die Worte aneinander.

      »Ja, du willst essen?« fragte sie in schmerzlichem Verwundern.

      Der Lahme ließ sich schwer auf die Bank fallen und antwortete gutgelaunt:

      »Nu'ch, ich ha doch keen hölzernen Magen. Wenn ich au geschlafen hab'; der Hunger is doch gekommen.«

      »Du hast geschlafen, du?«

      »Nu, darf ich denn nich?«

      »Ach dürfen schon, aber können!«

      »Können, ich dächt', daß ich's kann«, und der Klumpen begann laut zu schnarchen.

      »Karla, wenn ich nich of dr Stelle verrückt wern soll, hör uf zu schnarchen!« rief sie verzweifelt und begann zu schluchzen.

      »Ihr Weiber könnt eben nischt wie flerrn un Kinder kriegen.«

      »Soll ma da etwan noch tanzen? Draußen eim Borne liegt der Schuster. Un ich weeß nich, erschlag' mich of'm Flecke, du bist schuld.«

      Der Lahme saß eine Weile stumm da, den einen Ellenbogen auf den Tisch gestützt, und sah vor sich hin. Dann lachte er verächtlich hinaus.

      »Haha, mußt du denn au verrückt sein, wenn de Steindorfer Leute um a Verstand komm', durch de Banke alle miteinander?«

      Sie schüttelte den Kopf und weinte leise weiter.

      »Wenn der Schuster nundergefallen wär', da hätt' doch müssen der Born offestehn«, fuhr Exner zu reden fort; es klang, als fertige er eine müßige Belästigung ab. »Denn durch de Bretter kann er doch nun eemal nich fallen, Un warum ei aller Welt hätt' ich den Schuster, der mr nischt getan hat, ei den Born schmeißen sollen! Gefimper, nischt wie Weibergefimper!«

      Marie schüttelte wieder den Kopf.

      »Aber Karla, der Geruch, der Leichengeruch!«

      »Das is das schlechte, faulige Wasser, was de jetze vom Berge herzutritt, und der Lehm, of dem's steht. Hättste och geschmeckt, kaum wie dr Born fertig war, wie Freiwald de erschte Flasch' vll raufbrachte, genau wie Jauche. Der scheene Freiwald! Jetze is derselbe Geschmack. Ich wer halt müssen eenige Fuhren Steene neifahrn, daß's rufkömmt aus dem Morast, Und das glei, eh's harte und feste gefriert, Zentrum. Was? Meenste nich au Marie, das wär's beste.«

      Marie schwieg. Sie hatte den Kopf gesenkt und schien etwas zu überlegen.

      Dann fuhr sie auf, zündete am Ofen ein Licht an und trat an Exner dicht heran, daß sein Gesicht hell erleuchtet wurde.

      »Sieh mich an, ganz, mach de Augen weit uf!« sprach sie mit tiefernster vibrierender Stimme.

      Der Lahme blinzelte ins Licht und dann wieder auf sein Weib, aber er hielt den Blick dieser blauen, verzweifelten Augen nicht aus.

      Als das junge Weib das wahrnahm, begann ihr Arm zu zittern, daß sie den Leuchter auf den Tisch stellen mußte.

      »Steh uf vo dr Banke – und tritt her zu mir – vors Licht.«

      Ihre Stimme war leise, doch von einer seltsamen СКАЧАТЬ