Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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      »Immer tun Sie sich!« brauste Stief auf und erhob sich, den Stuhl mit der Hand zurückschleudernd. »Ich Hab' schon andre gefressen, wie Sie sind, das merken Sie sich. Lassen Sie's och gut sein, der Staatsanwalt wird Ihn die Läuse schon aus'm Magen klauben.«

      Er ließ seinen stöbernden Blick rund um die Stube laufen, strich, zur Erde sehend, seinen schwarzen Schnurrbart und kommandierte dann:

      »Nu woll mr mal nachsehn!«

      Dienstbeflissen sprang der Lahme hinzu und öffnete die Tür. Im Hinausschreiten herrschte Stief ihn an:

      »Machen Sie keene Dänste! Wo haben Se die Steine hingeschafft?«

      Exner versicherte zum hundertsten Male, daß er ihm darauf keine Antwort geben könne, weil er mit den Grenzsteinen nichts zu schaffen gehabt habe, und bat ihn, sich doch die Mühe zu nehmen, sein ganzes Haus und alles, was drum und dran hänge, zu untersuchen, damit endlich der ärgerliche Verdacht von ihm genommen werde.

      Stief ließ sich nicht irremachen, und wenn er sich auch von der Haussuchung nichts versprach, so hatte er doch Gelegenheit, den Hartgesottenen nach allen Regeln der Kunst zu bearbeiten, weich zu machen, und hoffte dies oder das zu finden, das seiner festgefahrenen Kombination einen neuen Weg wies. Er stieg treppauf und treppab, schnurrte mit klapperndem Mundwerk überall umher, setzte ihm mit immer stärkeren Drohungen hart zu, klopfte ihm endlich in einem dunklen Winkel auf die Achsel und flüstere ihm herzlich ins Ohr, nun könne er es ihm sagen, sie seien unter vier Augen, er habe auch ein Gemüt und werde zu schweigen verstehen. Als sie im Schuppen an dem Stoß Reisig standen, kam dem Lahmen wirklich der Gedanke, ob es nicht besser sei, dem Wachtmeister zur Auffindung der gestohlenen Grenzsteine zu verhelfen, denn er hatte eine unbestimmte Hoffnung, dadurch den Gang der Untersuchung auf einen toten Weg zu leiten, Und begann tatsächlich, Bündel um Bündel herabzuwerfen.

      »Was machen S'n da?« fragte barsch der Behelmte.

      »Sie sollen sehn, ob de Steene dahinter sein«, antwortete Exner und warf Stief ein andres Bündel vor die Füße. »Sie – Sie – Astloch, haha! Stief sucht nach seiner Nase, verstehn Se mich?« rief der Wachtmeister verächtlich und kroch durchs Türchen ins Freie.

      Exner folgte ihm, und da er wahrnahm, daß die Untersuchung zu Ende sei, sagte er:

      »'s tut mr recht leed, Herr Wachmeester, daß Se weger solcher alberner Lügerei durch den tiefen Schnee herkommen mußten. Wenn's Ihn un 's hätt Ihn och nischt getan!«

      »Verflucht, halten Se's Maul! Ein Königlich preußischer Schandarm macht sich überhaupt keen Schaden nich, verstehn Se mich!«

      »Nee, nee, sein Se och nich böse, Herr Wachmeester. Ma is halt a tummer eefacher Mann und weeß nich, was herrsch is. Ma redt halt vo der Leber runter – adje, Herr Wachmeester, adje!«

      Er hatte ihn bis zum Brunnenhäuschen begleitet, machte abermals eine ungeschickte Verbeugung und wollte ins Haus.

      Plötzlich spuckte Stief aus und schrie:

      »Pfui Teifel! was is das für ein Gestank in Ihrem Hofe. Wie in einer Leichenhalle!«

      »Das is das Wasser, Herr Wachmeester, ja. Sehn Se, da hat ma siebzig Ellen gegraben, das scheene Geld hamfelweise ei de Erde geschmissen, un nu hat das Wasser een Geschmack, daß Mensch und Vieh krank drvo wird. A so geht's eem armen Manne. Wollen Se amal kosten? 's is nich zum Trinken!«

      Stief sah ihm unverwandt ins Auge. Der Lahme fühlte, wie sich ein Häutchen über seine Augäpfel schob, und hob die Hand, um es fortzuwischen. »Komm' Se mal her zu mir!« befahl ihm Stief mit unheilschwangerer Stimme.

      Nach einem kurzen Zögern gehorchte der Lahme; aber nun war es ihm, als hüpfe das Brunnenhauschen auf und nieder, und den Wachtmeister sah er wie erlöschen.

      »Ja, ja«, sprach er dennoch und ging auf den grauen Punkt vor ihm los.

      Gott sei Dank! Er hatte es getroffen. Drei Schritte vor der blankknöpfigen Brust war alles wie sonst, und mit gut geheuchelter Einfalt sah er Stief an.

      »Wissen Se was?« fragte dieser drohend und zeigte auf den Brunnen: »Wissen Se was? – Ich wer ...«

      Er unterbrach sich aber, griff rasch in die Tasche und schrie:

      »Die Hände her!«

      Der Lahme warf einen Blick auf den nahen Wald und sah, wie die Baume auf ihn zuzumarschieren begannen, die Erde donnerte unter ihnen, und Rauschen erfüllte die ganze Luft. Er erkannte, daß kein Entrinnen möglich sei, und streckte mit irrem Lächeln seine Arme aus.

      Stief aber hatte sich plötzlich eines anderen besonnen, versenkte die Handschellen wieder in seine Hosentaschen, sah auf die Uhr, pfiff, blinzelte Exner an und mit den Worten:

      »Ach was, da is gar «ich dran zu tippen«, machte er kehrt und ging davon.

      Er hatte die Absicht gehabt, den Lahmen zu verhaften, weil es ihm unabweislich sicher schien, die Leiche des Schusters liege im Brunnen. Im nächsten Augenblick war aber durch den Gedanken an eine Blamage, wenn eine Katze, ein Hund oder gar nichts da unten im Loche gefunden würde, seine sensenscharfe Sicherheit verschwunden, und er machte sich mit dem Vorsatz auf, erst die Veranlassung des pestilenzartigen Gestankes zu erforschen und dann mit zwingender Berechtigung zu tun, wozu ihm seine Hand juckte. Zudem war es elf, sein Magen leer und seine Kehle von dem vielen Sprechen rindetrocken. Mit eiligen, langen Schritten steuerte er der Schenke zu. Sein Säbel schlug an die Schäfte der langen Stiefel. Allmählich verlor sich das klirrende Klatschen in der Weite.

      Der Lahme wagte nicht, sich zu rühren. Der weggeschaufelte Schnee kauerte wie eine Schar lauernder weißer Katzen um ihn, die bei jedem Schlag des Säbels aufsprangen, wild durcheinanderquirlten und sich wieder hinhockten. Wie die Schritte mit dem Geklirr immer undeutlicher wurden, beruhigte sich der Schnee, und als es ganz still war, lagen die tausend Weißen Schaufelbrocken regungslos um ihn und glotzten zu ihm hinauf wie die Totengesichter bis an den Hals eingegrabener Menschen.

      Exner hatte eine Zeitlang die Gewißheit, daß sie alle anfangen müßten zu schreien, wenn er nur den Versuch mache, sich zu rühren.

      Endlich wagte er sich umzudrehen und gewahrte Marie am Fenster stehen, das verfallene Gesicht an die Scheibe gedrückt, so, als sei sie längst gestorben, von einem Unbekannten aufgehoben und gegen das Licht gelehnt worden. Er wußte, sie sei vor dem Schließeisen des Wachtmeisters so erschrocken, und um ihr zu zeigen, daß das Erheben und Hinstrecken seiner Hände vorhin keinen andern Grund als den einer schrullenhaften Gewohnheit von ihm gehabt habe, hob er die Hände abermals gegen den Brunnen und besah sie sich genau, als wisse er gar nicht, daß sein Weib ihm zusehe. Dann begann er mit der Rechten den Schwengel zu bewegen und streckte die Linke unter das Ausflußrohr, damit es den Anschein habe, er wasche sich die Hände. Es kam kein Wasser. Er pumpte mit zwei Händen. Die Röhre blieb trocken. Nun riß er den Schwengel in wilder Hast auf und nieder. Das Brunnenhäuschen schütterte, die Kolbenstange ächzte auf und ab. Das Wasser blieb aus. Darum stellte er sich nach ein paar heftigen Schwüngen mit dem Schwengel dicht an das Häuschen und wusch sich die Hände in der Luft, trat zur Seite, schlug sie sich trocken, ging in die Stube, faßte Marie um den Leib und setzte sie auf die Bank an den Tisch.

      Marie sagte kein Wort, sondern sah in der Richtung ihres Gesichtes gradeaus.

      Dem Klumpen war es gar nicht mehr zweifelhaft, daß auch sie wisse, alles sei aus.

      Nachdem СКАЧАТЬ