Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen - Hermann Stehr страница 81

Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

isbn:

СКАЧАТЬ er.

      »Schwör' mir beim Lichte un bei dr Sonne, daß du nich schuld bist, wenn dr Schuster ei'm Born liegt, schwör' mir's beim Himmel und allen Heiligen...«

      »Mit allen sechsen, wenn de willst.«

      Er unterbrach sie und hob bereitwilligst die Hand.

      Aber sie zog seinen Arm nieder und fuhr fort:

      »Und daß der Herr uns alle trifft, wenn's nich wahr is, und verflucht, zerreißt un ei alle Winde treibt die Menschen, das Haus, das Holz samt den Steinen!«

      Den Schluß sprach sie mit psalmodierender Stimme, feierlich getragen. Dann setzte sie mit einem tiefen Atemzuge aus und sah ihm forschend ins Gesicht.

      Keine Fiber rührte sich darin; es war mürrisch wie ein Astknorren.

      »Nach, soll ich eße?« fragte er endlich.

      Marie rührte sich nicht; sie stierte ins Licht, und langsam rannen Tränen über ihre blassen Wangen.

      Dann sagte sie tonlos:

      »Laß – laß sein – nee, nee – lieber nich –« und verwandte den Blick nicht von der Flamme.

      Der Lahme setzte sich schweigend, und auch sie kehrte an ihren Platz am Fenster zurück, wo sie hockte, wie zusammengedrückt, mit demselben Blick ins Leere.

      Plötzlich erhob sie sich leise und ganz langsam, wie Träumende im Bett sich aufrichten in banger, beängstigender Mitternacht, und mit suchendem Schritt, als gehe sie durch dichte Finsternis, bewegte sie sich zu ihrem Manne hin, hielt vor ihm und streichelte ein paarmal seinen Scheitel. Schweigend, und ihre eiskalten Hände bebten dabei.

      Darauf begab sie sich wieder an die andere Seite des Tisches, saß da, hatte die Hände gefaltet und bewegte lautlos die Lippen, bis sie in eine schmerzensstarre Haltung verfiel und mit ihrem blassen Gesicht einer jener Statuen leidender Büßerinnen glich, die uns in dem Dämmer katholischer Kirchen das Herz mit so dumpfem Weh beladen.

      »Karla«, sprach sie schüchtern.

      Der Lahme hob den plumpen Kopf.

      »Laß mich meine Heil'ge Mutter und de Engala hulln. Karla, gell och, du hast nischt dawider?«

      Ihre Stimme hatte einen Klang rührender Liebe.

      Exner fuhr unwirsch in die Höhe, weil »bei der ganzen Geschichte wieder nischt als Weibergefimper« herausgekommen war, tat einige lange Schritte in der Stube hin und antwortete dann gleichgültig: »Jees ja, freilich. Weger mir, immerzu«, und verließ eilig das Zimmer. Nach einigen Minuten stand die Muttergottes mit ihren zwei Engeln wieder auf dem Eckbrett über dem Tisch und sah mit starren Punktaugen nieder in den Raum, in dessen Dunkel das kleine Licht an tausend verschmachtenden Glühfäden hing.

      Gegen acht Uhr, nach dem Abendbrot, suchten beide das Bett auf.

      Marie versank bald in Schlaf und träumte von blühenden Lichtbergen, aus deren Gebüsch geflügelte Kinder niederflatterten.

      Der Lahme lag lange mit offenen Augen da und ließ den Tag an sich vorüberziehen, stieß endlich einen verächtlichen Laut aus, wickelte sich ins Bett und schlief auch ein.

      Draußen aber spielte der Nachtwind mit dem Atem des Todes.

      17

       Inhaltsverzeichnis

      Doch ehe der Lahme mit der Gewinnung alter Grenzsteine und dem Verschütten des Brunnens beginnen konnte, fingen die Steindorfer auf eigene Faust ein Ermittlungsverfahren gegen ihn an. Späher umlauerten Tag und Nacht sein Gehöft. Pischkewill um Pischkewill, wie man die Schmähbriefe hier nennt, klebte an seiner Tür, dem Brunnenhäuschen oder flatterte, von ungesehener Hand geworfen, vor seine Fenster. Die zur Schule gehenden Kinder standen schreiend auf der Mauer, wiesen erregt nach seinem Hause und liefen, wenn er sich sehen ließ, mit dem Rufe: »A kimmt, a kimmt!« eiligst davon. Und als er sich aufraffte, dem Gerücht die Stirn zu bieten, mit einem derben Stock bewaffnet durchs Dorf schritt, im Gasthaus saß, Passanten unter nichtigem Vorwand auf dem Wege zu einem Gespräch preßte, da mußte er die Wahrnehmung machen, daß er von den Meinungen und Absichten der Leute nichts erfahren konnte. Man stahl sich von ihm, um aus gesicherter Weite eine Drohung nach ihm hinzuschreien, auszuspeien oder ihm die Faust zu zeigen. Störrisch zog er sich in das Netz zurück, das ihre feige Emsigkeit um ihn gesponnen hatte, und lag auf der Lauer, wie er listigerweise doch noch zur Ausführung seines Planes kommen könnte. Allein es gelang ihm nichts, als in einer finstern Nacht einige Grenzsteine von der fernen Gemarkung Petzdorfs unter großen Schwierigkeiten herbeizuschaffen und im Schuppen unter den Reisigbündeln zu verbergen.

      Dabei mußte er ängstlich sein Weib hüten, damit sie mit niemand zusammenkomme. Er besorgte alle Einkäufe selbst und war immer auf der Jagd nach den vermaledeiten Pischkewillen.

      Marie klagte nie und verdächtigte ihn mit keinem Worte. Nur vor seinen plumpen Zärtlichkeiten, mit denen er sie nun häufig verfolgte, floh sie entsetzt. Sonst sah sie mit einer starren Milde auf ihn hin. Sie ging mit langen, festen Schritten umher, ihr Gesicht trug einen gespannten Ernst. Mit harten, überwindenden Bewegungen, wie ein Mensch in großer Kälte arbeitet, rührte sie sich bei ihrem Tagewerk. Schlug der Wind irgendwo eine Tür zu, oder klang ihres Mannes Schritt unvermutet von dem Hofe her, so fuhr sie zusammen, lief mit erbleichendem Gesicht ans Fenster und spähte lange den Weg hinauf, um dann stumm und versunken, gleich einer Verschollenen, weiterzuschaffen.

      Nur die Ampel vor der Heiligen Mutter auf dem Eckbrett brannte ohne Unterbrechung, selbst am hellen Tage, und in gar mancher Nacht, wenn der Lahme, durch ein schreckhaftes Gesicht aus unruhigem Schlaf gerissen, nach ihrem Lager griff, fand er das Bett kalt und leer und hörte durch die Tür ihr monotones, leises Gebet.

      Aber sie vermochte nicht den rollenden Stein der Vergeltung aufzuhalten.

      Infolge einer anonymen Denunziation stellte sich eines Morgens der Wachtmeister Stief aus Walsdorf auf dem einsamen Höfchen am Freibusch ein, um den Klumpen über das Verschwinden der Grenzsteine und des Schusters zu verhören und das Haus samt seiner näheren Umgebung einer peinlichen Untersuchung zu unterwerfen.

      Exner war ehrerbietig, freundlich, spielte den Gebückten, aus gekränkter Ehre Kummervollen, wurde brutal, tat tölpelhaft, sprach Lügen mit unbefangener, blöder Miene, redete Wahrheiten mit jener unsicheren Stimme und jenen ausweichenden Blicken, welche die Notlüge charakterisieren, überlistete den Wachtmeister vollständig, der, je aussichtsloser sich das Verhör gestaltete, immer mißvergnügter wurde und zuletzt nur noch auf dieser und jener Nebensächlichkeit herumritt, um den Lahmen gehörig zu stäupen.

      Marie lief es heiß und kalt über den Rücken, als sie ihren Mann in solch glatter Verachtung der Wahrheit mit dem Hüter des Gesetzes umspringen sah. Mehreremal öffnete sie den Mund zum erlösenden Schrei; aber Exners Auge zwang sie, ihre Aussagen auf der Linie seines Zeugnisses zu machen.

      Endlich traf der Wachtmeister Stief Anstalten, sich von seinem Sitze am Tisch zu erheben, klappte das Taschenbuch zu, und indem er das ausgedehnte Gummiband bedächtig und sorgsam darüberlegte, sagte er:

      »Das is eine ausgemacht lausige Geschichte, verstehn Sie mich, Freundchen, und ich kann Ihn bloß so viel sagen, da wird Ihn schon noch ein Patzen Dreck uf die Krempe fallen.«

      Der СКАЧАТЬ