Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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Sie hatte eben das Licht angezündet, als ihr Mann in die Stube trat.
»Guten Amd, Marie!« Er warf Beil, Stricke und Säge in die Ecke. Dann entledigte er sich der Jacke und schlug sie aus, daß die Tropfen in der Stube umhersprühten.
»'s regnet wohl?« fragte Marie.
»Geh och naus, da wirste's sehn. Ich bin bale durch. Das weecht ordntlich ei!« antwortete er unter behaglichem Ächzen, hob sich auf die Zehen und hing die Arbeitsjacke an die Ofenstange. Dann setzte er sich an den Tisch und stützte den Kopf in die Hand.
»Was machen de Kühe, fressen se gut; git'n de Schecke de Milch besser?« fragte er und richtete das Gesicht nach Marie hin, die am Ofen beschäftigt war, stand schwerfällig auf, zündete sich eine Laterne an und ging in den Stall.
Nach langer Zeit kam er wieder und sagte strahlend: »Mögen se teuer sein; aber se siehn da, glatt wie de Schnecken, munter um de Hörner, wie Fische berührsam. Un de Schweinla, wie Wiesala flink sein se!« Es klang innig.
Helle Freude schimmerte noch in seiner Stimme, als er nach dem Essen sprach: »Das Buschgehn is wohl nich scheen, das kannst mir glauben.«
»Warum bleist de nich daheeme? Du hast's ja nich gar aso nötig«, erwiderte sein Weib.
»Aber 's bringt eem doch 'n Behmen Geld nebenbei, Un was wollte ich eigentlich hier, wie mich auf Bänken und Stuhlen rumstetschen! Zwölf Mark de Woche bringt's doch, wenn ma sich au schinden muß. – Zur Saatzeit hört's sowieso auf, da hat's of'm Felde zu tun, daß ee's nie weeß, wo ee'm der Kopp steht. Wie stand denn dr Hafer beim Freirichter fate?«
Marie dachte an die drohenden Worte ihres früheren Brotherrn, an seine Streitsucht, und im Bestreben, die Möglichkeit eines Mißverhältnisses zwischen ihm und ihrem Manne vorbauend zu bekämpfen, antwortete sie eifrig: »Gut wie ein Filz im Anfange und wie's scheenste Korn zur Ernte. Überhaupt, verdirb dir's mit dem nich. Das is ein Bauer, wie er im Buche steht.«
Da sprang der Lahme auf und holperte durch die Stube. Dann blieb er stehen und lachte höhnisch auf sie nieder: »'s halt ein Mann, wie eben jeder is.«
»Nu nee!«
»Kee Haar anders wie ich un alle, 's geht halt vorne rein und hinten raus, das is. War er mir denn een Sack vll lassen?« fragte er nach langem Schweigen.
»Du mußt halt a mal zufragen«, erwiderte Marie ein wenig gereizt. Nachdem sie eine halbe Stunde stumm nebeneinander gesessen hatten, nickte der Lahme mit dem Kopfe, und sie gingen schlafen.
Am andern Morgen, vor Tagesanbruch, stolperte er schon wieder über die Schwelle, den grobleinenen Brotsack an der Seite, das Arbeitsgerät über der Schulter, den Knotenstock in der Hand.
Der gleiche Kreislauf der Tage hatte begonnen; arbeiten, arbeiten, arbeiten. Davon denken; mit allen Kräften ihm dienen; darüber sprechen; aus der Stube in den Stall; von dem Brunnen ins Haus; auf dem Boden schaffen; fegen und klopfen; nie sitzen, nie rasten, noch Stäubchen jagen, um Kleinigkeiten sich sorgen; nie über die Mauer sehn: ein enger, eiliger, öder Tanz, daß die Träume verschwanden, die Seele versank, das Herz betäubt wurde, die Augen nur sahen, was sie sahen, die Ohren am Laute der Dinge stumpf wurden. Die Sonne ging auf: ihr schien sie nicht; der Tag erlosch und war vergessen.
Es war geschehen, wonach sie verlangt hatte.
Sie war eingeschlafen im Taumel der Mühe.
Und während sie ruhte, war die Erde aufgewacht, aufgewacht zu dem jahrtausend jungen Traume, dem Frühling. Mit lauem, leisem Regen hatte sie sich die schmutzigen Schneeschrunden aus dem Gesichte gewaschen; in heimlichen Mondnächten die letzten Schleier abgestreift; ihre Brüste mit verjüngendem Tau benetzt, bis eines Morgens ihre Schöne ganz erfüllt war. Da stieß sie Lerchenwirbel von dampfenden Ackerschollen zum Himmel; rüttelte aus jungem Baumgrün glückbestürzte Gesänge und führte ihre Töchterchen, die kleinen Wellen, zu Tal. Die trippelten über die Steine mit hochaufgeschürzten Schaumröckchen und sangen ihr ewiges Wanderlied dazu, so innig, so verhalten aus tiefer Brust, daß Schneeglöckchen aufwachten und Primeln und Märzenbecher den eilenden Wassern nachsahen mit süßen Gesichtern.
In der Sonne aber schwammen die ersten Schmetterlinge, daß die Luft noch stiller wurde von ihren bunten Flügeln.
Der Lahme und Marie standen eines Abends in mildem Winde vor dem Hause und ließen die Augen über ihre Felder schweifen, um sich über deren Bestellung zu bereden. Es war ein langer, schmaler Streifen, zweihundert Mannesschritte breit und tausend lang, etwa zwanzig Morgen groß, leicht geneigt wie alle Felder Steindorfs, die auf dem Abhänge liegen, der sich nach Südosten in die kleine Ebne senkt, an deren Anfang die zerstreuten Häuser Petzdorfs sich angesiedelt haben.
Die untere Lang- und die nördliche Schmalseite des gedehnten Vierecks waren von dem Walde des Freirichters begrenzt, die anderen Seiten wurden von einem Wall unregelmäßig übereinandergeworfener Rodesteine, einer Mauer, eingefaßt; durch eine Luke mündete der Zufuhrweg. An der Mauer der westlichen Langseite standen die Wirtschaftsgebäude so, daß der Ankömmling sie zur linken Hand hatte, und wenn er neugierig war, konnte er vor seinem Eintritt durch die Tür bequem zwischen Mauer und Hinterwand des Hauses an die kleinen Fenster der Schlafkammer schleichen, um verstohlen hineinzusehen.
Die Besitzung war früher Unland gewesen, das der verstorbene Freirichter in Geldverlegenheit dem Vater Einers unter einer Bedingung verkauft hatte, die, wie der jetzige Wende behauptete, es noch heutigestags möglich machen würde, den ganzen Handel umzustoßen. In Wahrheit aber hatte der alte Wende nur sich und seinen Nachkommen das Vorkaufsrecht gesichert.
»Jees Maria, wie sah das vor zwanzig Jahren aus«, begann der Klumpen, dessen Augen mit Behagen auf der grünen Wintersaat ruhten, »dort oben sieht ma noch a paar Steene of'm Wiesla am Busche. Also un noch schlimmer sah alles aus. Brocken, wie gesät un da un dorte een Wezel Steen, groß wie ein Backofen. Dazwischen Grasbüschel, kleen wie hingespeit. Nee, das war keene gute Arbt! Aber wir mußten dran, dr Vater hat keem was geschenkt. Ei den Steen' steckt Schweeß und viel Jahre Arbt, un heute – is die Mauer auch schon übrig. Nach, aber es hat sich gelohnt; 's sein gute Äckerchen, ein wenig leichte. Hält ma se gut eim Dünger, da bringen se's schon. Bloß das Niederstücke, wo ich Futter drauf säen will, das is doch ein wenig gar zu seichte, un ich weeß nich, ob ich nich besser tu, ich rode es bale noch a mal um!«
»Das wirste ja beim Ackern sehn«, meinte Marie.
Am andern Morgen begann die Bestellung des Ackers. Dünger wurde angefahren und gebreitet, dann zog der Pflug tiefe Furchen in dem Boden, der in der Sonne rauchte und überall den Duft von Fruchtbarkeit und Segen verbreitete.
Lerchen lagen auf klingender Schwinge hoch in der Luft, und hinter der blinkenden Pflugschar schritten gravitätische Krähen. Aus dem nahen Walde sang es, als sei jede seiner unzähligen Nadeln ein tönendes Schnäbelchen geworden. In allen Weiten erschollen Peitschengeknall, laute Lockrufe und frohes Singen.
»'s wimmelt überall, Gabeln blitzen un Pflüge finkeln; aso gar auf'm Eschberge haben se eingespannt«, sagte Marie, die ihrem Manne folgte und den Dünger in die frische Furche harkte.
»Nuch, es is auch de höchste Zeit, ei acht Tagen is Florian«, erwiderte der Angeredete unwirsch, weil er »das Gemare« bei der Arbeit nicht leiden konnte, wandte die Kühe, kippte den Pflug und schritt bedachtsam wieder zurück.
Bald war der letzte Eggenstreich СКАЧАТЬ