Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ war milder geworden, seit sie sich mit dem Lahmen versprochen hatte.

      Ihr Kampf gegen das Schicksal war kurz gewesen, mehr einem wahnwitzigen Gewaltakt gleichend, besinnungslos, unfaßbar. Ebenso jäh hatte sie die Entscheidung herbeigeführt, die sie Gott abgetrotzt hatte.

      Nun hatte er ihr den Frieden der Niederlage gegeben. Das Herz lag willenlos wie ein gefesselter Sklave in ihr und ertrug die Veränderung mit regungsloser Resignation. Wie ein gespenstisches Luftgebilde sah sie das veränderte Leben um sich. Alle Morgen stieg sie hinein wie in einen Spuk. Schweigsam wie sonst verrichtete sie die Arbeit, allein ihr Fleiß war entweder müde oder leidenschaftlich wie ein Delirium und fand plötzlich in einer Art Erstarrung ein Ende, aus der sie sich nur mit größter Anstrengung, jähzornig, aufreißen konnte.

      Einst bemerkte das die mitarbeitende Magd und sprach: »Marie, wenn du deinen Mann aso ansiehst, da wird'm, denk' ich, der Krön vergehn.«

      »Mann?« fragte sie messerscharf, »hm, Mann ... du, du ...«

      Sie verschluckte ein Schimpfwort, und ihr Auge flimmerte in Grimm. Bald aber setzte sie müde lächelnd hinzu:

      »Ach, aso meenst es? Nu nee, Exner is gar ein Guder. Was denkst dr denn vo mir! Sonst hätt' ich mir'n doch wohl nich genommen.«

      Dabei erbleichte sie und bückte sich schleunig auf ihre Arbeit nieder. Obwohl sie schwer an ihrem Schicksal trug, so hatte sie doch die Kargheit starker Naturen, das Unglück möglichst vor sich zu verheimlichen, den Stolz, jeden Mitwisser abzuweisen, und das Verhältnis zum Lahmen nicht als eine Folge überstürzter, brutaler Fügungen, sondern als eine Wahl freier Sympathie hinzustellen.

      Das ward ihr besonders schwer gegen den Schuster, dem sie jetzt merkwürdig oft begegnete. Er schien in diesem Herbst besonders gute Geschäfte zu machen, denn bald lief er mit Sohlenleder, das in ein buntes Taschentuch gewickelt war, bald mit einem Paar angerichteter Stiefel auf den Wegen dahin, und immer erspähte er ihr rotes Kopftuch auf dem Felde, schrie ihr einen scherzhaften Gruß aus der Ferne zu, um dann herbeizuschlendern, sich im Graben niederzulassen und mit ihr zu plaudern. Er half ihr das gesichelte Gras auf die Schultern heben oder entriß ihr den Karren.

      Obwohl sie ihn nicht im Zweifel ließ, daß ihr das nicht angenehm sei, drängte er seine Hilfe immer wieder auf und redete rastlos auf sie ein. Am liebsten sprach er von dem Cäciliaball, wie er da mit ihr getanzt, daß alles auf die Bänke gestiegen sei, wie er den Grauen zu Tode geärgert und sie es ihm nur zu danken habe, daß der Klumpen Courage bekommen habe. Er nannte diesen »seinen lieben, eenzigen Freund« und erzählte mit Behagen Züge seiner Tölpelhaftigkeit, Härte und seines lächerlichen Mißtrauens, daß die andern Mägde »vor Lachen ganz unsinnig« wurden.

      Dann aber entrüstete er sich über »die Gänse«, die ja nicht glauben sollten, er wolle sich lustig über ihn machen, »denn so een Kerle, wie der is, hat's weit und breit nich ei der Grafschaft«. Er sah Marie leiden und lachte bleich und qualvoll mit einer Freude, die etwas Grinsendes hatte. Seine Augen glommen, und wenn er ihr die Hand zum Abschied reichte, war sie welk, kalt und zitterte. Sie bekam jedesmal Beklemmungen, wenn sie den Schuster sah; aber trotz der Schmerzen, die es ihr verursachte, wenn er den Lahmen liebevoll bloßstellte, empfand sie bei dem verdeckten Schimpf gegen Exner doch eine Art Genugtuung, eine geheime Rache an ihrem Schicksal.

      Das mochte der Schuster instinktiv fühlen, und sein »Schabernack« wird immer offener, seine Besuche häufiger, sein Lächeln trunken, und oft ohne Veranlassung nahm er sie an den Armen und drückte sie leidenschaftlich.

      Endlich erkannte Marie, wohin das alles zielte, und wies ihm den Weg.

      »Du bist besoffen, Guste!« redete sie eines Tages kalt zwischen seine Spaße.

      »I hab' seit eener Woche noch keen gerochen, Marie. Überhaupt der Schnaps!« antwortete er in Bestürzung über ihr unbeweglich bitteres Gesicht.

      »Nee, nee, das meen ich au nie. Wo sollst du au a Schnaps hernehmen. Das Gebasiel an den Krappen langt doch kaum of trocknes Brot. Nee, ich ha gehärt, wenn sich a Schuster besaufen will, da riecht er ei den Kleistertopp. Das bringt ihn drnach vierzehn Tage um den Verstand und is billig.«

      Sie war blaß und sah Klose verächtlich von oben bis unten an.

      »Du willst mich höhnern, weil ich arm bin?« fragte er traurig und sprang im Graben auf.

      »Freilich will ich das!« erwiderte sie noch schneidender. »Sitzt er in allen Graben mit geflickten Hosen rum!«

      Mit diesem Ausruf wandte sie sich an die Mägde, die von der Arbeit aufgestanden waren.

      »Marie!!!« schrie der Schuster dazwischen, und Tränen rollten über seine Wangen. Als er fühlte, daß er weine, bückte er sich tief und kratzte sich aufs Geratewohl an seinen Hosen. Da er sich wieder erhob und, das Bündel fester unter den Arm drückend, sich zum Gehen anschickte, sah man es in seiner Brust stoßen, seine Wangen waren eingefallen und fahl. Plötzlich drehte er sich um und schüttelte eine Weile seine Faust in die Höhe nach Marie zu und machte Anstrengungen, zu sprechen. Lange brachten seine Lippen nichts als ein Blasen hervor. Endlich sagte er tonlos, stockend, ganz leise: »Ich bin ein unglücklicher Mensch!«

      Sein Gesicht aber sah aus, als schreie er aus Leibeskräften.

      Die Mägde lachten aus vollem Halse.

      Marie rief: »Hops, Schuster meck, meck!«, als er in fluchtartiger Eile den Weg hinlief.

      Weil die Worte des Bedauernswerten wie ein Stich in ihre Brust gefahren waren, gerade deswegen schrie sie ihm in übermütigem Hohne nach. Bald aber verfiel sie in Schweigen, die albernen Spaße der Mägde über Klose wurden ihr zuwider, unauffällig arbeitete sie sich abseits und hing einer Niedergeschlagenheit nach, die sie nicht verstand.

      In derselben Nacht erwachte sie und hörte plötzlich die gepreßte Stimme des Schusters durch die finstere Stille reden. Voll unbegreiflicher Trauer begann sie verhalten zu weinen.

      Von dem folgenden Morgen ab ward sie den Vorsatz, den Beleidigten zu versöhnen, lange nicht los. Aber ob sie auch unauffällig ausschaute, diesen und jenen nach ihm fragte: er schien verschwunden. Niemand wollte ihm begegnet sein; nur so viel erfuhr sie, daß das Licht in seiner Hütte wieder alle Nächte bis an den Morgen brenne, und die ganze Zeit gehe er auf und nieder, von Wand zu Wand, und lache plötzlich laut auf. Sie ward immer mißmutiger und von jeder Kleinigkeit verstimmt.

      Selbst gegen Wende empfand sie geheime Feindseligkeit, denn im Vorübergehen neckte er sie mit dem Lahmen, wegen der Blässe ihres Gesichtes oder als zukünftige Bäuerin, und immer glaubte sie auf seinem papierweißen, krankhaften Gesicht einen hämischen Zug zu bemerken. Einmal konnte sie nicht an sich halten und gab ihm eine spitze Antwort. Daraufhin blickte sie der Großbauer eine Weile erstaunt an, und dann meinte er gedehnt: Marie habe wohl auch schon abgefärbt. Aber er sei nicht sein Vater und werde wissen, die Hand auf seinem Acker zu halten. Er spielte auf den notgedrungenen Verkauf jenes Teiles seines Gutes an, der Exners Wirtschaft ausmachte.

      Ein andermal sagte er scherzweise, sie werde sich künftig von der Laus auf seinem Leibe nähren, und deutete damit an, wie unbequem ihm des Lahmen Anwesen mitten in seinem Eigentum sei.

      Wende fand in der Ehe, die die Folge eines Fehltrittes war, keinen Frieden. Deswegen rächte er sich an seinem Schicksal durch Nörgeleien und Reibereien, die er leidenschaftlich gern suchte und, wo es ging, zu Prozessen ausbaute.

      Marie heischte von dem Lahmen keine Aufklärung über die vieldeutigen Worte des Freirichters, sondern behielt sie bei sich. Denn ihre СКАЧАТЬ