Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ freute, so fühlte er doch eine Gedrücktheit ihr gegenüber. Durch die Härte war sie seinem gewaltsamen Wesen verständlicher, näher gewesen; die geduldige Milde machte sie ihm unbegreiflich.

      Aber wenn er sie anblickte, erstarkte doch seine rauhe Seele. Denn dieses in sich verschlagene Mädchen, blasser und seiner als sonst, lockte mit ihren tiefen, stillen Augen gegen seinen Willen Worte aus seinem Munde, die er noch niemand gestanden hatte als der eigenen heimlichsten Stunde. Ihre ungewöhnliche Schönheit riß ihn über das Maß seiner Vorsätze hinaus, daß er ohne Scheu vor ihren Augen die Balken seiner gewalttätigen Pläne auseinanderfügte.

      Immer nahm er sich vor, nicht zu sprechen; immer unterlag er, und nie genoß er die Sicherheit des Mitteilsamen, wenn er wieder von seiner Zukunft geredet hatte, denn nie gelang es ihm, die Glut in ihren Augen zu entzünden, die seine Seele erfüllte. Ein bitteres Lächeln, ein verlorenes Starren ins Weite, ein duldsamer Laut war alles, womit sie die Gebrochenheit an dem verriet, was der Lahme ersehnte.

      Aber einmal wurden ihr des Klumpen Machtgelüste unerträglich.

      »Karle, was willste denn?« fragte sie schneidend, »is draußen drinne?«

      »Was denn drinne?« erwiderte er in leidenschaftlicher Roheit. »Freilich drinne! Alles will ich drinne haben. Achte müssen a mal of meiner Tenne dreschen; ein Hof wie der Freirichter; Kühe, Reihe um Reihe; Pferde wie de Bohlen, ich wer's euch schon... Das alles is ehe noch draußen; aber es soll mir drinne sein, da verlaß dich of mich.«

      »Das denkste! Wer macht denn alles, he?«

      »Ich, wer soll's denn machen?«

      Das redeten sie im Anfange des Dezember, eines Sonntagnachmittags, miteinander, während sie auf einem einsamen Feldwege vor dem Wald des Rollenberges hin und her gingen. Es war trübe und feucht, ohne Schnee. Ein blasser Nebel stieg aus fernen Flußtälern und schwebte in der Höhe dahin. Hin und wieder, ganz in der Weite, tauchte das Schneegebirge auf, nur wie hingehaucht in ein milchweißes Licht, als dämmerten die Gestade jenes trostlosen Landes herüber, in dem nach katholischem Glauben die armen Seelen auf ihre Seligkeit warten müssen.

      Marie blickte hinaus mit Augen, wie ein Mensch wohl sieht, der mit dem Stock Hieroglyphen in den Sand schreibt, die niemand deuten kann, kaum sein eigenes gefangenes Leben.

      »Siehst du den Kirchturm da drüben?« fragte sie wie im Traum.

      »Nee!« antwortete er mit absichtlicher Plumpheit.

      »...und Bardorf dorte und Wirrwitz mit dem weißen Schlosse und Leschkowitz mit der Kirche und dem Pfar... weeßte, Leschkowitz?«

      »Ach Marie«, antwortete er nach langem Hinsehn, »laß dich – Ja, das siehste? – Laß dich nich auslachen, das is doch nischt wie Gewölke.«

      »Und doch is alles da, das große Bauern-Bardorf und Herrn-Wirrwitz und Leschkowitz mitsamt dem scheen Pfarr. Verstehste das? – Gefressen hab' ich das alles in mir und wieder ausgebrochen ein mich. Deswegen is bei mir drinne, aber wie ein Traum, der nie, nie war – weil – er war. Red' nie mehr davon, Karle, red' nie mehr von dem wie vorhin und ofte! Wir wern uns zwee Kühe kaufen und Schweine, meinetwegen auch een Ochsen, und halten, was wir haben. Das is alles. Nee, nee!«

      Sie bewegte den Kopf, als schüttle sie endgültig etwas ab. Trotz der müden Worte trug ihr Gesicht den Ausdruck sicherer Überlegenheit. Sie ging aufrechter als sonst weiter und achtete lange des Klumpen nicht, der mit schwelender Seele neben ihr holperte, sie von Zeit zu Zeit verstohlen ansah und immer bitter in sich hineinredete: »Herrsche Prise, wart och!«

      Endlich wandte das Mädchen das Auge auf ihn und sah, daß er ein bleiches, verwittertes Gesicht habe, gleich einem verwaschenen Stein. Sie hatten sich im Gehen gewendet, und Steindorf lag vor ihrer Stirn drunten in seiner flachen Mulde und blies aus kleinen Essen blasse Rauchfäden in das leere Geäst der Obstbäume.

      »Ja, dort is 's Fuchsloch?« fragte Marie, um das peinliche Schweigen zu brechen, und wies nach rechts. Der Klumpen nickte schweigend. »Aber ma sieht ja 's Höfel nie?«

      »Weil dr Hübel drfür is und de Bäume«, erwiderte er endlich dumpf.

      »Ich dächte«, sagte Marie nach einigem Sinnen, »es war' Zeit, daß ich a mal dein Bruder und de Schwester kenn'lernte.«

      »Ja...ch!« Der Klumpen riß den Kopf herum und sah sie betroffen an.

      »Sefflan und die Kathe – die beeden?... hm.«

      »Is dir das etwan nie recht?« fragte Marie, die nichts von der Feindschaft gegen die Geschwister wußte.

      »Nee, nee!« erwiderte er unter höhnischem Lachen, »nachdem ich das vo dir gehört hab', is freilich auch dazu Zeit ... setze...«

      Plötzlich begann der Lahme zu laufen, daß die Steine unter seinem Klumpfuß flogen. An einer Wegscheide wartete er auf sie.

      Sein Gesicht war gespannt und bebte von verhaltenem Zucken.

      »Na«, fragte die Herangekommene, »was hat's denn?«

      Er sah eine Weile über ihren Scheitel ins Leere. Der Ausdruck seiner Miene war schmerzvoll. »Marie«, bat er stotternd, »... siehch och ... du weeßt gar nich, was die ... wenn ich...« Dann stockten seine Worte.

      Unter leidenschaftlichen Atemzügen wartete er eine Weile und lief unvermutet wieder davon, einen tief eingefahrenen Weg zwischen hohen Mauern, dann die saure Wiese querend, und Marie folgte ihm, langsam und ruhig. An dem kleinen Hügel, der das Fuchsloch von Steindorf scheidet, an der Kreuzung der schnürschmalen Steige, hielt er wieder, und als das Mädchen vor ihm stand, sagte er nach einigen kämpfenden Atemzügen mit mühsamer Beherrschung: »Da sein mr nu! Siehch, Marie, das is der Weg eis Dorf, und da geht's nuf zu den beeden. Dorte bin ich, und dorte bin ich nich! – Jetze mach's, wie de willst.«

      Ohne zu antworten, schritt sie an ihm vorüber, dem kleinen Gehöft zu. Sprachlos vor Staunen sah ihr der Klumpen einen Augenblick nach. Dann schrie er: »Marie!« Es klang wie der Ruf des Brunsthirsches, den ein Stärkerer vom Mutterwild abgeschlagen hat.

      Das Mädchen wandte sich um und sagte mit Überwindung: »Nu ha ich das Gemäre satt. Was soll denn das sein?! Jetze komm, oder ich geh of der Stelle heem, und dann...« Ohne Zögern, wie geknebelt, folgte ihr der Ungefüge.

      Joseph und Kathe empfingen Marie mit der Gleichgültigkeit, in die Bauersleute ihre Unsicherheit zu kleiden gewohnt sind. Die einfache Freundlichkeit und natürliche Klugheit der zukünftigen Schwägerin verwandelte die abwartende Haltung der beiden guten Menschen schnell in offenes Vertrauen.

      Man ging in dem Gebäude umher, durchschritt den Hof, musterte den Viehbestand und warf einen Blick in die gefüllte Scheuer. Überall bemerkte Marie, daß rüstige Hände in frohem Fleiß, Ordnung und Sauberkeit walteten, und hielt mit verständigem Lobe nicht zurück. Zuletzt saß man um den Tisch vor dem Kaffee und plauderte, als sei Marie nie eine Fremde gewesen.

      Der Klumpen war einsilbig und verdrossen. In seinen Augen lag ein lauerndes Zwielicht, und hin und wieder entstellte ein hämischer Zug sein blasses Gesicht.

      Als die Uhr auf neun rückte, erhob sich Marie zum Heimweg. Der Lahme folgte ihr mit der Schweigsamkeit eines mißtrauischen Wächters.

      An der Hoftür fiel Kathe dem Mädchen um den Hals, küßte sie und sagte verschämt: »Marie, nimm mir's nich übel, ich bin dr manchmal gar ein böse Ding. СКАЧАТЬ