Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
isbn:
Der Obermelitt stößt anführend in die Trompete, und die andern Instrumente folgen. Ein Galopp prasselt durch den Saal. Keiner der Burschen rührt sich, um ja nichts von dem Folgenden zu verlieren. Der Schuster ergreift Marie und schießt wie ein Pfeil dahin.
Das muß man sagen, er kann's wie keiner! Jetzt jagt er links um den Saal, dann wieder rechts wie ein Roß, mit scharf klappernden Hackschritten; nun wirbelt er in der Mitte auf einem Fleck; dann gängelt er mit wiegendem Oberleib das Mädchen vorwärts, darauf zurück, jetzt eilt er wippend umher; bald sprengt er wie ein Reiter; bald dreht er mit ausgebreiteten Armen wie eine Windmühle; er trippelt wie eine Bachstelze, kollert hin wie ein Puter und scharrt tänzelnd wie ein Hahn. Die Melitten schielen über die Notenblätter auf ihn hin und erregen sich an seinem Feuer. Der Takt wird schneller, wilder. Endlich wütet jedes Instrument in wilder Leidenschaft. Im Taumel der Raserei bricht das Stück jäh ab.
Der Schuster stampft auf und bleibt eine Weile erschöpft stehen. Die Burschen brechen in einen Jubel aus: »Hoch, Schuster! He, Musik, hoch! Hoch de Marie!« Die Melitten blasen einen Tusch.
In diesem Lärm führt Klose das Mädchen zurück. Seine Augen schimmern, er drückt ihr heiß die Hand, und in Verzückung flüstert er ihr zu: »Mariela, Mariela, ach Gott, Mariela!« Das Mädchen verstand seine Worte nicht, aber den Druck seiner fiebernden Hände, riß sich los und lief die paar Schritte zu ihrem Sitz, allein und schnell.
Der Schuster folgte ihr mit einem langen Schritt und hatte schon die Rechte erhoben, sie sich neckend wieder einzufangen, als der alte Förster sich nach ihm umwandte und mißbilligend sprach: »Schuster-Guste, wissen Se, so was is nich Tanz, das is Mord.«
Das riß den Schuster aus seinem Rausch; er fuhr mit seiner rechten Hand weiter in die Höhe und kraute sich in den Haaren seiner Schlafe, während er aus Verlegenheit eine tiefe Verbeugung machte und ging. Der Graue lächelte geringschätzig, dann beugte er sich zu Marie und fragte sie laut: »Aber den nächsten Tanz tanz' mir wieder. Solche alte Schuhe kann man nich lange riechen.«
Im Wegschreiten hörte der Schuster diesen Spott, und mit dem Zorn des Rivalen trat er zum Tisch des Klumpen, wo man ihn froh umringte. »Laßt och sein! Aber 's is noch nich alle, nu fängt's erscht an«, sagte er, sich zum Klumpen durcharbeitend.
Es folgte eine lange Auseinandersetzung, in der der Schuster mit Aufbietung aller Redegewandtheit und seinem Vorrat an krausen Gesten den Klumpen endlich überzeugte. Der Lahme zog in einem Moment, da die Aufmerksamkeit der meisten Burschen sich woanders hin richtete, den Geldbeutel aus der Tasche, grub unentschlossen darin umher und reichte dem Schuster etwas, das dieser aber nach einem prüfenden Blick abwies. Schmerzbewegt legte der Lahme noch etwas hinzu, und der Schuster stand auf und bestieg triumphierend das Chor der Melitten. Nach einer kurzen Verhandlung mit deren Oberhaupte erdröhnte ein Trompetenstoß, und der Obermelitt verkündigte: »Eine halbe Stunde Freitanz für de Steindorfer!« Dann trat eine lange Pause ein.
Diese Außergewöhnlichkeit versetzte selbst die Männer an den Tischen in hohe Aufregung, die jungen Burschen aber waren glücklich in ihrem Übermut. Der Klumpen erschien ihnen wie ein Heros. Der achtete aber auf kein Lob, auf keinen staunenden Ausruf, sondern saß steif da, mit aufgestemmten Ellenbogen, und starrte stumm mit grimmig verkniffenem Gesichte in den Lärm. Der Schimmer seiner kleinen Augen war böse, wie Verachtung.
Der Graue stierte ab und zu düster ins Leere und zwang sich dann zu krampfhafter Lustigkeit mit Marie.
Als die Melitten endlich ihre Instrumente wieder erfaßten und der Schuster entschlossen auf Marie zuschritt, schrie der rote Klenner: »Geh und hol' dir den Besen!« Die Musik verschlang das wiehernde Gelächter des ganzen Saales. Der Graue ward bleich vor Wut, biß die Zähne zusammen, rauchte, daß die Funken flogen, und trank hastig und viel.
Bei jedem Tanz wiederholte sich der gleiche Spott. Endlich konnte sich der Graue nicht mehr halten und schrie in den verstummten Saal: »Hoch lebe das Paschen, Holzstehlen und Raubschützen! Das brengt noch was ei!«
Die Sache nahm eine Wendung, wie sie dem Schuster nicht paßte. Er überlegte, was zu tun sei, um alles zu dem Ende zu führen, das er seinem Freunde versprochen hatte. Aber da brach der Wortkampf noch erbitterter los. Aus der Ecke erschallte es: »Ei Tannerau geht alles fechten bis of a Scholzen. Der bleit drheeme und flickt de Bettelsäcke.«
Der Fremde fragte schreiend den Förster: »He, Sie missen's am besten wissen, dahier melkt alles de grine Kuhe!« Der Förster, der die Worte ganz genau gehört hatte, gab sich den Anschein, als habe er die Anrede nicht auf sich bezogen, nahm einen tiefen Schluck aus dem Glase, unterbrach sein Trinken plötzlich und fragte ihn dann, wie belustigt: »Meinten Sie mich, junger Mann?«
»Nu freilich, 's hat doch weiter keen Förster nie hier ei'm Saale.« Das sagte er patzig; aber nur weil er sich durch eine freundliche Antwort lächerlich zu machen glaubte.
»Wo haben Sie Ihr Taschentuch?« fragte der Förster in amtlicher Art, ohne sich seinen Ärger anmerken zu lassen. Der Graue wurde verwirrt, riß sein Schnupftuch heraus und schüttelte es dicht vor des Försters Nase: »Da! Haha, das hab' ich noch nie gewußt, daß dahier een Taschentuch a so was Seltnes is.«
»Ich dacht', Sie hätten keins«, erwiderte der Förster jetzt mit schneidendem Sarkasmus. »Denn Ihrer Nase sieht man's nicht an, und bei der Gelegenheit können Sie sich auch hinter den Ohren abtrocknen.« Und als der Fremde zu einer Grobheit ausholte, kam über den alten Grünrock die lange zurückgehaltene Wut. Seine Halsadern schwollen daumendick an.
»Halten Sie's Maul«, schrie er und sprang auf, »wissen Sie, wer ich bin? Ich bin der Königliche Förster Knölle aus Steindorf, und wo der is, da hat's nischt von Holzstehlen und Raubschützen ...«
Auf einen Wink des Gastwirts blies die Musik einen Tusch, während welchem die beiden Männer auf einander einschrien. Dann ging die Fanfare in einen Tanz über.
Der Schuster trat heran und bat Marie um einen Tanz. Als sich das Mädchen erhob, riß der Graue den Kopf herum und maß sie einen Augenblick mit zornfunkelnden Augen, um sich dann zurückzuwenden, wer hinter seinem Stuhle stehe. Er kannte den Schuster, schrie: »Immer los!« und versetzte dem Mädchen unter dem Ausruf: »So ein Mensch wär's wert, daß ich mich ... so 'ne Darre!« einen so heftigen Stoß in die Seite, daß sie einige Schritte taumelte und dann in zähem Fall hinschlug.
Die Musik verstummte wie mit einem empörten Aufschrei. Ein Augenblick starrer Beklemmung folgte der Roheit. Alles sah schweigend auf das Unbegreifliche.
Ein Schrei, ähnlich dem, mit welchem ein wild gewordener Stier die Ketten seines Standes sprengt, zerriß die Stille. Dumpf fiel ein Tisch zur Erde, Gläser zerschellten am Boden, und mit holperndem Schritt eilte der Lahme vor das Chor. An dem kleinen Tisch hielt er an. Sein Gesicht war aschfahl; seine Augen standen wie tot im Weiß, nur ihr Zittern verriet Leben. Durch den halbgeöffneten Mund stieß rauschender Atem. Zorn schüttelte die ganze knochige Gestalt. Der Fremde bemühte sich zu lächeln, wurde aber bleich bis hinauf in die feuchten Haare. Ein Stutzen. Ein sekundenlanges Sichmessen. Nun sauste wie ein riesiger Stein des Lahmen Faust auf den Kopf des Grauen.
Lautlos, blutüberströmt, brach er zusammen. »Das is vom Bettelmann!« »Und das is vom Holzdiebe!«
Mit diesem zweiten rauhen Ruf packte der Klumpen den Ohnmächtigen und warf ihn in mächtigem Schwünge auf die Hausflur.
Und СКАЧАТЬ