Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ lachte aus vollem Halse, setzte sich zu den beiden an den Tisch, und nach einer Weile begann man, ohne Namen zu nennen, allerhand Scherzreden, die sich offenbar auf den Klumpen bezogen. Der zog sein mürrischstes Gesicht, und als das nichts half, ergriff er das Glas, trank einen langen Schluck und hieb es dann auf den Tisch, daß das Bier umherspritzte. Das machte die Übermütigen stutzig. Unter leichtem Wortgeplänkel zogen sie sich von dem Lahmen zurück und widmeten dem Bier, dem Tanz und den Mädchen wieder ihr ausschließliches Interesse. Der Klumpen atmete erleichtert auf und befühlte seinen Hals.

      »Verdammtes Zeug, so ein Kragen!« knurrte er mißvergnügt. »Is'n der Schlips noch drane?« »Freilich«, antwortete der Schuster, »wie's sein muß. Wenn se dich sieht, du siehst just aus.«

      »Du sollst mr davo nich reden!« »Nu, deswegen sein mr doch hergekommen.«

      »'s Maul sollste dadriber halten, wenn's jemand hört.«

      Dann starrte er trübe vor sich hin. Er fühlte sich unbehaglich unter den vielen kinderfrohen Menschen und fragte sich, wozu das eigentlich alles sei.

      »Du mußt a wing uftaun«, begann der Schuster wieder an ihm zu schulmeistern, »lustig sein, trinken, da und dort hin reden, dich umtun. Sonst ...«, er machte eine wegwerfende Handbewegung. Dann setzte er sich näher zu seinem mürrischen Ohr. »Ich weeß Bescheid. Wie ein Jude muß eener reden. Aso hans die Mädel gerne.«

      Der Lahme erlag dem qualvollen Gefühl, von allen ausgeschlossen zu sein, und erhob nach einer Weile sein Gesicht, um irgendeine hämische Bemerkung zu machen, ließ aber kalt den Kopf sinken.

      Der Schuster hatte ihn zum Besuch des Cäciliaballes beredet, weil er sich erst den nötigen gesellschaftlichen Schliff holen müsse, ehe er daran denken könne, mit Marie anzufangen. In Wahrheit aber lag dem armen Schuster das meiste daran, auf des Lahmen Kosten mal ordentlich zu tanzen, zu trinken und zu rauchen. So stieß er wieder mit ihm an.

      Der Klumpen schluckte Verwünschungen über den »Saufsack« in sich und verfiel, ohne das Glas zu berühren, noch tiefer in seinen Kummer.

      Der Schuster winkte einem Markeur, und als dieser nicht hörte, erhob er sich mit dem leeren Trinkgefäß und wanderte, bald an diesem, bald an jenem Tisch seine Späße anbringend, zum Schenkhaus, ließ sich das Seidel füllen, leerte es hastig, begehrte noch ein zweites und begab sich dann trällernd wieder an seinen Platz.

      »Nach«, stieß er plötzlich den Klumpen an die Seite, »da sieh, wie der, der mit dem grauen Anzüge, mit der Marie redt, und wie se lacht! Sieh drsch an, a so wird's gemacht.«

      Der Lahme schielte unter seinen gesenkten Brauen nach dem kleinen Tische hin und musterte den Fremden lange und scharf.

      »Ein Zappelmann is das«, erwiderte er dann in grimmiger Verachtung, »was der kann, kann ich schon lange. Mit eener Hand hau' ich dr den zusammen wie een jungen Hund. Dadruf kannst du dich verlassen.« Er trank und stieß einen rauhen Laut des Hohnes aus, den Schuster von der Seite ansehend. Dieser saß schweigend da, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, und blies lange Rauchwolken von sich. Er war plötzlich wie verwandelt und starrte verloren auf Marie. Sein Gesicht trug dabei einen tiefen Zug des Leidens.

      »Schuster«, raunte der Lahme, weil er eine unbestimmte Empfindung hatte, dieses auffällige Betragen könne ihn bloßstellen; aber der Schuster rührte sich nicht. »Schuster«, wiederholte er und trieb, da sein Freund noch nicht hörte, die Faust in seinen Oberschenkel. »Du sollst nich in eem Biegen of se sehn!«

      Schuster-Guste fuhr herum und lächelte glücklich wie abwesend. Plötzlich verfinsterte sich sein Gesicht:

      »Laß mr de Vögel fliegen, ma kriegt se doch nie«, sagte er und schüttelte die schwere Stimmung von sich ab. »Trink, trink, Karle, trink, sag ich dr! Nee, nee, da hab' och gar keene Bange, ich bin ein armes, unglickliches Luder.« Der Klumpen glaubte, der Schuster sei betrunken, weil er so wirr redete, und fuhr grob auf: »Guste, ich seh's, wo's hinwill, 's Beste is, ich geh heem!«

      In demselben Augenblick trat der Kellner an den Tisch und sah den Klumpen groß an.

      »Na, was willst du?« purrte er dem jungen Menschen ins Gesicht. Der Kellner lächelte. »Putt, putt sollste machen«, erwiderte er und bewegte Daumen und Zeigefinger der rechten Hand auf dem Tisch, als zähle er Geld. In demselben Augenblicke wurde er von hinten gestoßen, daß er halb über den Tisch flog. Die Burschen kehrten vom Tanz zurück und suchten erregt ihre Plätze. Die meisten hatten zornige Gesichter.

      »Die Zähne im Halse ahinter muß ma dem Esel schlagen!« schrie ein kleiner Mensch mit gelbem Gesicht und schwarzen, straffen Haaren.

      »Ja, ja, wenn er aus Zucker wär, spräch ich: alla faß, Tone, friß a«, höhnte der lange Klenner.

      »Och, du lamscher Labander, hat er dich nich auch gerannt, he? und du hast drsch eingesteckt, da höhner du andre«, gab giftig der Gelbe zurück. Der Schuster fuhr schlichtend dazwischen: »Laßt das Gezanke! Was hat's denn? Wer stößt denn?«

      Und nun erzählte man ihm von dem Grauen, wie er sich frech benommen, daß er beim Tanzen jeden anrenne, »lappsches Zeug« rede und in einem fort mit Marie tanze, als habe er sie gepachtet. Kein andrer komme an das Mädchen, und sie gehöre doch nun mal nach Steindorf. Es sei eine Schande für alle, sich von einem Fremden so etwas bieten zu lassen.

      Aber da trat Scholz Joseph, ein Knecht des Freirichters, auf die Seite des Grauen: »Was geht uns die Schlesche an, die herrsche Prise, wegen dem Mensche rihr ich keen Finger.«

      »Hiels Maul«, fiel ihm Klenner ins Wort, »das verstehste nich, weil du kee Ehrgefühl hast. Ein Affe biste.«

      Schuster-Guste nahm die allgemeine Erregung in seine Hand.

      »Seid ihr alle einverstanden, da laßt mich machen. Ich hab nich umsonst in Berlin uf dr Chausseestraße jearbeet, ick weeß, wat een Panoptikus is. Laßt mich machen, ich weer'm den Kohl versalzen ohne Prigel, daß er abzieht wie een begoßner Pudel.«

      »Ich bin der Meinung, daß man dem Zappelmann einfach die Ohren runterreißt.« Damit mischte sich der Lahme in den Disput.

      Allein die meisten waren der Ansicht, den Schuster machen zu lassen, und sollte es schlimm gehen, so sei draußen vor der Tür noch immer Zeit zum Hauen.

      Übermütig lachend, in der angenehmen Erwartung eines tollen Streiches, standen alle auf und traten zum Tanz an.

      Die beiden blieben allein am Tisch zurück, der Lahme und der Schuster. »Und ich?« fragte der Klumpen, als der Tanz in vollem Gange war. »Du?« antwortete der Schuster, »verlaß dich of mich, nie lange dauert's, und die Marie sitzt zwischen mir und dir.«

      Der Lahme erbleichte in frohem Schreck, bewegte aber ungläubig den großen Kopf. »Aber Trinken muß ma, da derf ma eene Mark nich ansehn. Knausern geht da nich.« »Hab' ich nich ...?« »Ja, ja, freilich haste bezahlt, aso meen ich's ja och nich. Aber jetze fängt's erscht orndtlich an. Und dann wirstes sehen, daß ein Glücke fir dich war, daß mr heute sein hergegangen. Das hab' ich mir freilich nich träumen lassen, daß de Marie wird selber da sein.«

      Beide blickten wie auf ein Zeichen nach dem kleinen Tische vor dem Chor der Melitten hin und sahen, wie der Fremde Marie an der Hand dahinführte, weil eben eine Tour beendet war.

      »Paß uff, so machen s'es in Berlin.« Der Schuster ergriff heftig das Glas, leerte es, atmete schwer aus, stieß die andern beiseite und schritt quer durch den Saal direkt auf den kleinen Tisch СКАЧАТЬ