Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ viel sehnsüchtige Gesichter, Knaben, kaum der Schulbank entronnen; »Halbschädel« nennen sie die Bauern. Sie werden von den Aus- und Eingehenden verächtlich beiseitegestoßen und lächeln dazu, halten sich aber durch heimliches Rauchen und Schnapstrinken für diese Ausgeschlossenheit schadlos.

      Kurz vor Anfang des Balles wird ein kleiner Tisch vor das Chor der Melitten gestellt, und ein junger Mensch nimmt an diesem überall sichtbaren Orte Platz. Der Fremde trägt einen modischen, grauen Anzug. Sein starker blonder Schnurrbart ist in kecke Spitzen gedreht, und die scharfen Augen mustern mit geringschätzigem Lächeln die Reihe der altfränkisch herausgeputzten Weiblein; den Mädchen nickt er mit vielsagendem Blinzeln zu. Dann erinnert er sich mit einem Zusammenfahren, daß er im Gasthaus sei und sofort trinken müsse. Da er keinen dienstbaren Geist erblickt, erhebt er sich, macht eine kleine Kniebeuge, um die Hose zu ordnen und geht dann mit Schritten, denen er durch ein Knicken der Beine Eleganz verleiht, nach der Mitte des Saales, alles aufs neue mit verletzendem Staunen musternd. Er ist seit vier Wochen von seiner dreijährigen Militärdienstzeit auf die einspännige Wirtschaft seines Vaters in dem vier Stunden entfernten Tannerau »mit den Knöpfen« zurückgekehrt und noch voller Nichtachtung des Zivilstandes und aller bürgerlichen Beschäftigungen, einer Nichtachtung, die er in die lächerliche Kopie eines Leutnants seiner Schwadron kleidet. Er geht in dem hellen Kreis der vier Decklampen mitten im Saal umher, zwei Finger der rechten Hand unter das festzugeknöpfte Jackett an der Brust, den Daumen der Linken in der Hosentasche eingehakt, und ist scheinbar in tiefe Gedanken versunken, aus denen er beim Vorübergehen der Personen mit einem zornigen Gesicht aufschrickt.

      In Wahrheit labt er sich an der aufgeregten Neugier der Gäste, die gerade bei den Mädchen und jungen Burschen sehr stark und mit einer leisen Scheu verknüpft ist. Aber, seien es nun die großen Stiefel mit den Wülsten überflüssigen Leders allein; sei es das schlürfende Ausschreiten, das immer mit einem starken Schlag der Absätze abschließt; sei es die ganze Haltung oder die Art, den Kopf mit vorsichtiger Behutsamkeit aus dem Körper zu strecken, genug, irgendeiner der jungen Leute hat durch den plumpen Betrug hindurch sein wahres Wesen erkannt und ruft: »Der Lindentritt vom Plane!«

      Das entfesselt ein tolles Gelächter. Der Graue macht eine leidenschaftliche Wendung nach dem Schenktisch hin, als habe er in seiner Güte nun doch lange genug auf die Bedienung gewartet, und schreit in den Lärm: »Kellner! verflucht, Kellnerr!! Eine Echte! 'n bissel anwärmen!!« Dann kehrt er gelassen an seinen kleinen Tisch, wendet dem Saal den Rücken und starrt auf die Melitten.

      »Kellnär! verflucht, Kellnäär!! firn Böhmen ne Flasche voll Wein, aber gut voll!!« ruft es nach einer Weile aus der Mitte der Burschen.

      Der Fremde reißt ruckartig den Kopf herum und verfärbt sich, ohne indes weiter auf das Gejohle, das diesem Spotte folgt, zu achten. Nach einer Weile bringt ihm ein Markeur helles Lagerbier und stellt es vorsichtig auf einen Fleck des Tisches, den er vorher mit dem Handtuch gesäubert hat. »Hm«, beginnt der Graue mit einem wütenden Blick auf das Getränk, »ich hätt' mirsch ja denken kennen, daß hier kein Echtes hat.« – »Was sind das fir Rotzleffel da hinten?« schreit er dann den Kellner an, daß es durch den Saal schallt. Der angeredete junge Mensch dreht das Handtuch krampfhaft und entfernt sich räuspernd, ohne zu antworten.

      An dem Tische der jungen Burschen stößt man geräuschvoll an: »Nach, 's Echte schmeckt gutt, a wing dinne is ja, und in der Gurgel kratzen tut's auch; aber 's schadt nischt, 's kost bloß de Hälfte!« Der Fremde wendet sich aus Rache an die Mädchen: »Heute woll mr aber mal schneidig tanzen!«

      Der Schenke ist schon in Erregung und beobachtet den Streit mit steigendem Zorn, weiß aber noch nicht, auf welche Seite er ihn entladen soll, und außerdem ist es ja auch erst Gerede.

      Plötzlich schweigen die Stichelreden, und alles schaut nach der Tür. Der alte Förster, ein spindeldürrer Witwer, in sehr engen, grünen Hosen und einem grauen Vollbart, der wie ein Kuchen auf seinem Uniformrock liegt, nötigt ein sich sperrendes Mädchen durch kräftiges Schieben an den Achseln in den Saal.

      »Immer rein, immer rein! solche kenn se heute dahier gut gebrauchen!« redet er gedämpft und schaut verliebt unter den Brillengläsern auf sie. »Das is recht, immer los, Herr Förster, recht, 's fengt glei an«, mischt sich der Schenke erfreut über den plötzlichen Umschlag der Stimmung in die Angelegenheit und vollendet mit einem Schmunzeln auf das Mädchen hin: »Ein Dingel, wie 'ne Kersche!«

      Die Köpfe der Gesellschaft fahren in die Höhe, erstaunt über den plötzlichen Abbruch der Feindseligkeiten. Als sie das Mädchen erblicken, zischelt es durcheinander: »Die schlesche Marie!«

      Die Burschen an den Tischen werden vergnügt, und Marie steht noch nahe am Ausgang allein, weil der Förster hinweggeeilt ist, seine Sachen unterzubringen, und weiß nicht, wo sie sich hinsetzen solle, oder ob sie nicht lieber wieder hinausgehe. Sie bereut es, dem Förster nachgegeben zu haben; aber sie fühlt sich von den Blicken, die auf sie gerichtet sind, zurückgehalten.

      Eben hat sie die Macht dieser neugierigen Augen über sich gebrochen und wendet sich unmerklich, um unbeachtet wieder hinauszuschlüpfen, da zählt der graubärtige Obermelitt schnarrend: »Eins, zwei, drei!« und die Musik setzt ein, die Töne eines veralteten Marsches fahren belebend unter die Gäste, Marie fühlt sich von hinten umfaßt und gewahrt, erschreckt herumfahrend, den alten Förster, der in feierlicher Umständlichkeit etwas durch die Nase redet und dabei ihren Körper ohne weiteres in seinen Armen zum Tanz zurechtrückt und sie dann durch den Saal zu drehen beginnt. Wie auf Verabredung beteiligt sich anfangs niemand am Tanze. Die Burschen sehen gespannt dem Paare von ihren Plätzen aus zu.

      Der Alte denkt, man achte sein wichtiges Staatsamt, und bemüht sich, eine möglichst imposante Figur zu machen, indem er in streng soldatischer Haltung durch den Saal trabt, hin und wieder zierlich mit den Beinen nach hinten ausschlagend. Der Graue verschlingt Marie mit den Augen. Die Musik schweigt, nur eine Klarinette gibt einen scharfen Seufzer zu. Die Burschen klatschen und schreien: »Bravo!«

      Der Grünrock, mitten im Saale neben Marie stehend, verneigt sich dankend und führt dann das Mädchen nach kurzem Überlegen an den kleinen Tisch des Grauen, mit einem herrischen »Gestatten« herantretend. Der Fremde fährt salutierend in die Höhe und stammelt mit verbindlichem Lächeln: »Ah, ja, ja!« verbeugt sich und rückt an die Kurzseite des Tisches. Dann schaut er schnurrbartstreichend im Saale umher, ob auch alle sein schneidiges Auftreten bemerkt haben.

      Aber nun wogt der entfesselte Tanz. Einige hüpfen wie Irrlichter durch die wirbelnden Wogen, tauchen kreisend auf und verschwinden wieder. Dieser schiebt sich langsam, steif wie ein wandernder Stamm hin; jener galoppiert im Laufschritt vor und zurück und reibt dabei seine Stirn an der der Tänzerin. Dieser setzt alles daran, ein Fragezeichen zu imitieren; jener hängt alle Augenblicke zappelnd zwischen Himmel und Erde. Der Baß knurrt, das Horn hustet heiser und unregelmäßig, die Klarinette gellt schrill wie jemand, dem ein Gewächs aus dem Leibe geschnitten wird, und wetteifert mit der Violine, die ein schmerzvolles Wimmern von sich gibt. Dazu wirbelt die Trommel, als schütte jemand zur Feier des Tages Lesesteine in ein Holzschaff. Die Melitten betreiben mit äußerster Anstrengung ihre Kunst. Der Wirt blickt bewundernd zu ihnen hin.

      Die Augen der Weiber bemühen sich, jedem Paare nachzueilen. Die Familienväter schlagen mit der Faust und dem Absatz den Takt, und die Halbschädel avancieren vor Staunen in den Saal. Die Stimmung ist im Fluß; jeder tut das seinige mit ganzer Seele. Als die Burschen nach einem Tanz auf ihre Plätze zurückkehren, staunen sie nicht wenig, auf der Bank den Klumpen und neben ihm Schuster-Guste, hinter dem Tisch sitzend, zu treffen. Sie haben jeder ein Glas Lagerbier vor sich stehen, und der Lahme hört dem Schuster zu, der heftig gestikulierend auf ihn einspricht.

      »Nu da schlägt's voll'ds fufzehn«, schreit der Witzbold unter ihnen, der rote Klenner, ein vierschrötiger Holzknecht mit kleinen, blinzelnden Augen unter wulstigen Brauen, »heute is alles meglich! Paßt uf, entweder kriegen Freirichters Pferde СКАЧАТЬ