Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ sprach der Kranke, als er des Klumpen ungleichen Schritt auf der Diele hörte. »Du bist lahm, aber ich bin schuld – ich alleene«, vollendete ei mit furchtsamer, ausgehender Stimme.

      Der Klumpen wurde bleich und blieb still.

      »Komm her, Karle«, tönte es wieder bittend.

      Er ging naher und schlug mit dem Klumpfuß hart auf. Davon fuhr der Sterbende wie von einem unvorhergesehenen Schlage zusammen und stöhnte, noch eindringlicher bittend: »Gib mr die Hand! – Bist de noch beese of mich?«

      »Nee.« Es klang trotzig, gehässig; er dehnte das Wort zwischen den Zähnen.

      »Du bist gestraft durch mich«, mit diesen Worten erholte sich der Kranke von einer Ermattung. »Du sollst auch 's Beste haben. – Bei Freirichters Pusche – de Wirtschaft – is deine. – Ich ha se dir – schon verschreiben lassen. – Bis fleißig wie immer und bet fir mich...« Da rasselte es in der Brust des Alten. Es war auf ewig vorbei mit ihm.

      Der Bruder wand die Hände. Die Weiber warfen sich weinend zur Erde. Der Lahme stand starr wie aus Stein da und lächelte.

      Das sollte wohl heißen: »Jetze fängt's an.«

      Und heute lächelte er wieder, da er sich spät in die Decke einwickelte. Er schloß die Augen, um besser sehen zu können. Licht und weich, wie in den fernen Tagen seiner freudevollen Kindheit, strich es über sein Herz. In stummer Seligkeit erbebte sein Inneres vor dieser wunderbaren Heimsuchung, und lächelnd sank er endlich in Schlaf.

      2

       Inhaltsverzeichnis

      Exners Denken lag im Blut; er tat, was er mußte. Langsam, mechanisch, widerstrebend, wie eine Zange erfaßte sein Geist einen Vorsatz und ließ ihn nie wieder los. Wenn so sein Wollen Instinkt geworden war, dann sah er nur vorwärts, und nicht eher gab es ein Ausschnaufen für ihn, ehe nicht die Erfüllung hinter ihm lag. Nach kurzer Ruhe war er am andern Morgen auf den Beinen. Seine Schwester ging eben mit dem Melkgerät und der Laterne über den Hof, als er der kleinen Ausgangstür zuschritt, den Kopf wie immer seitwärts und nach vorn hängend, ernst und verschlossen, ohne zu grüßen. Er schritt die Dorfstraße hinab und bestellte den alten Freiwald, einen guten, weisen Greis, mit dem er schon früher manches besprochen hatte, auf sein Anwesen am Freibusch, damit endlich mit dem lange geplanten Bau des Brunnens begonnen werde.

      Um sieben Uhr, eben da die Sonne einen roten Qualm, das Licht ihrer unmittelbaren Nähe, durch die schwarzen Baumkronen vor sich heraustrieb, langten die beiden auf der Arbeitsstelle an.

      Nach langer Beratung, die mit allerhand geheimnisvollen, sehr umständlichen Messungen seitens des alten Freiwald verbunden war, hieben zwei Rodehauen in den Rasen an der linken Ecke des Wohnhauses, nicht allzu weit von der Eingangstür. Nach dem dritten Schlage aber schüttelte der Alte den Kopf und wandte sich an den Klumpen: »Aber das is ja ein Born, wie 'n ein Bauer nich größer braucht.«

      Der Klumpen sah ihn eine Weile mißmutig an und antwortete dann mit schlecht verhehltem Ärger: »Ich denk halt, zu viel Wasser is besser als zu weng.« »Aber sieh och...« »Hack, Freiwald, hack du och!«

      So schüttelte er den unnützen Frager von sich ab und schlug dann mit Wucht seine Spitzhaue in den Boden.

      »Ein rauhes Geschmeiß is er schon«, dachte der Brunnenbauer bei sich und setzte auch die Arbeit wieder fort.

      Noch mehreremal versuchte er ein Gespräch mit dem Lahmen einzuleiten, um bei dieser Gelegenheit eine gemächliche Pause zu erlangen, aber sein Arbeitgeber war taub vor Fleiß. Nur hin und wieder richtete er sich auf und sah verstohlen auf sein Haus.

      Das ähnelte seinem Vaterhause. Nichts unterschied es in der Bauart von den andern Wirtschaftsgebäuden des Dorfes: Wohnung und Stallung unter einem Dache, der eine Teil aus vierkantig behauenen Balken, der andere aus Steinen. Eine schmale Flur, von der eine steile Stiege nach dem Boden, »der Bühne«, führte, schied beide Teile innen voneinander.

      Rechts von der Flur führte eine Tür in die Wohnstube; ein kleines Türchen links war der Eingang zur Stallung, über der der Heuboden, neben der ein kleiner Holzschuppen noch Platz unter dem gemeinsamen Dach gefunden hatte.

      Es war ein sauberes Häuschen mit seinen weiß getünchten Ballen und den braun gestrichenen Wechseln dazwischen. Aber es lag der gleiche Geist der Unwirtlichkeit und Freudlosigkeit darum. Anstatt seine Fenster nach der Straße zu kehren, um in behaglicher Neugier das spärliche Leben zu betrachten, das auf dem Wege zwischen Steindorf und Erlengrund sich entwickelte, starrten die kleinen Öffnungen in mürrischer Öde in den nahen Wald, der sich in Steinwurfsweite vor der nach Osten gekehrten Front des Hauses hinzog. Dazu erhob sich nach der Straße zu ein meterhoher Wall aus Rodesteinen, eine Mauer, wie die Steindorfer sagen, der jeden neugierigen Blick von oben abhielt und nur dem Dach eine Umschau gestattete.

      Aber so gefiel es dem Klumpen eben. Und jedesmal überkam ihn tiefe Heimsicherheit, wenn er, auf dem schmalen Zufahrtswege herabschreitend, durch die Lücke der Mauer in sein Reich trat. Schmunzelnd sah er dann die schmale, lange Feldflur auf und nieder.

      Hier nahm sein einsames Brüten Gestalt an, und in seinen Augen glomm es, um seine Lippen zuckte es. Die Besitzung war schuldenfrei, und tausend Taler hatte er noch ausstehen. War es da denn nicht möglich, daß die Grenzen hinausrückten und seine Kühe über die Mauer stiegen, um jenseits zu grasen, weil das Land hier auch sein geworden war?! Dann wuchs vor seinen sehenden Augen an Stelle des engen Hauses ein behäbiger Bauernhof mit Mauern umschlossen wie eine Stadt, einem Taubensöller neben dem riesigen Düngerhaufen und einem zweiflügeligen Tor als Einfahrt. Dann wird sich kein Mensch mehr trauen, ihm den häßlichen Spitznamen zu geben oder Späße über ihn zu machen.

      Doch zu niemand sprach er von seiner Sucht. Seine Geschwister, seine Mutter, selbst der Schuster waren Fremdlinge in der Welt seiner Seele. Er aber säugte sie mit all seinen stummen Stunden, daß sie endlich zu einem klaren, peitschenden Plan geworden war.

      Indessen war es zehn Uhr geworden. Sie standen schon bis an die Hüften in der Erde. Der Klumpen hieb die Haue in die Steine und richtete sich auf. Freiwald stellte die Tätigkeit auch sofort ein und sah ihn verwundert an.

      »Wird's Wasser haben?« fragte der Lahme. Der Alte fuhr mit dem Rücken seiner Hand über den Mund und schickte sich mit einem überlegenen Lächeln zu einer umständlichen Darlegung an:

      »Born is nicht Born«, begann er dann, »'s sein'r zweeerlee: Grundborne und Quetschborne. Der Grundborn is der richtige, der hat Seelenwasser, direkt aus der Erde ruf. Der Quetschborn is ja auch gut. Denn ei der Erde drunten, da is nischte tot, da is lebendig ei der Nacht, und Wasser gehn hin und her, 's fließt, macht Tümpel, allerhand. Bei eem Quetschborne geht's Wasser bloß durch; regnet's viel, hat's viel; is 's dirre, bleibt der Born leer.«

      »Nach und mei Born?« fragte der Klumpen ungeduldig dazwischen.

      »Das is eben«, setzte Freiwald unbeirrt seine langwierige Erklärung fort, »das is eben. Es is ein Quetschborn, der de 's Wasser vom Rollberge kriegt; aber wenn mr den gelben Steen, of dem mir jetzte sein, durchschlagen, kommt der weiße und zuletzt der blaue, auf dem steht das Seelenwasser. Siehste, Kl... Karle, Seelenwasser. Das is aso, deine Seele is das Inwendigste. Deswegen und weil das Grundwasser aus dem Allertiefsten kommt, dort wo, ma mecht fast sprechen ...«

      Das dauerte dem Lahmen doch zu lange. Er stieß des Alten schöne Weisheit gleichsam mit dem Fuße fort, indem er СКАЧАТЬ