Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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In rauhem, rücksichtslosem Fleiße trieb der Lahme so den Alten durch die Tage. Der ward immer verdrossener, da dieser viehische Eifer seiner Tätigkeit die ganze Seele nahm und nichts als leere Handgriffe übrigließ, die ihn ermüdeten und quälten. Mit Wut hieb er darum drauf zu, um so schnell als möglich in eine Tiefe zu kommen, wo das Tageslicht aufhörte und er nur allein arbeiten konnte. Und als er nun wieder in der dumpfen Nacht mit dem roten Lichtlein in der Laterne allein war, erwachten alle rätselhaften Betrachtungen und Geschichten, mit denen er seine gemächliche Geschäftigkeit zu begleiten gewohnt war. Er füllte den Korb mit dem losgeschlagenen Gestein, und auf ein Zeichen ward die Last von dem Lahmen an einem Seil, das über eine Welle lief, heraufgedreht. Nun trat auch wieder ein freundlicheres Verhältnis zwischen den beiden ein, wenn der Klumpen auch oft grob in das Loch hinunterschimpfte, da das Signal zum Emporwinden nach seiner Meinung oft zu lange ausblieb. Freiwald gab sich dann den Anschein, als höre er das in seiner Tiefe nicht, und der Klumpen gewöhnte sich, die langen Pausen mit seinen verheimlichten Träumen auszufüllen. Oft stand er still und lauschte auf das Pochen der Haue, das von Tag zu Tag schwächer zu hören war. Hin und wieder tönte auch das Husten des Alten herauf. Aber das Wasser blieb aus, obwohl schon zwei Feuerleitern hatten aneinandergebunden werden müssen.
Eines Tages übermannte den Klumpen der Zorn. Denn er hatte sich die Ausgaben zusammengerechnet und schrie hinunter:
»Bist'n bale of'm Plenter?« – »Wudelsack!« setzte er leiser hinzu. »He!« gurgelte er noch wütender, weil er keine Antwort erhielt, und wiederholte seine Frage unter Aufwendung einer solchen Lungenkraft, daß seine Stimme überschnappte.
»Ach was, Plenter!« murmelte es höhnisch herauf. Exmer hielt einen faustgroßen Stein in der Hand und warf ihn ärgerlich hinab, als er das hörte.
»Karle, laß die Tummheet! 's ging grade am Arm runter. Wenn de das noch amal machst, komme ich ruf und laß dr den Krempel liegen«, schrie Freiwald erbost.
»Hol dich der Teufel«, knurrte der Klumpen, hockte sich auf die Winde und begann abermals mühselig seine Ausgaben für den Born zusammenzuzählen. Es wurde nicht weniger, ob er die kleinen Posten voran und die großen ans Ende stellte oder es umgekehrt machte, und mißmutig blickte er umher. Der Frost hatte begonnen, eine schneelose, grimmige Kälte, in der das heraufgewundene, feuchte Gestein sogleich zusammenfror. Wenn och der Schnee noch bliebe, dachte der Lahme. Aber über dem Rollenberge standen schon seit gestern grauweiße schwere Wolken. Die Luft durfte sich nur erwärmen, dann ging das Schneetreiben los, und die Arbeit mußte bis zum Frühjahr ruhen.
Endlich, nach zwei Tagen, schrie es hohl aus dem Brunnen: »Wasser, Wasser!«
Die Leitern klapperten, und schweres Stampfen kam höher. Der Klumpen warf in glücklichem Schrecken weg, was er in der Hand hielt, stürzte an den Born und rief hinunter: »Bring Wasser mit! Wasser! Wasser!«
Nach einer Weile tauchte Freiwald auf und reichte ihm eine Flasche mit schmutzigem Wasser hin, bei deren Anblick der Lahme zurückprallte. Der Alte lachte: »Nu, nu, nimm se och schon! Zuerst is 's Wasser halt nie anders. Das setzt sich schon, wenn's ruhig wieder zu sich gekommen is. Nimm's und verlaß dich of mich, 's schmeckt reen!«
Der Lahme kostete. Das Wasser war dumpfig und lehmig. Aber über sein fahles Gesicht ging ein Schimmer, denn er schluckte den Trank seiner Zukunft.
»Wird's aushalten?« fragte er nachher, sich wieder verdüsternd.
»Auch nu, ma denkt doch«, antwortete der Greis zögernd und richtete nach kurzem Überlegen sein Auge ernst auf den Frager. »Ich für mich kann sagen: ja. Aber was nützt das. Ich hab'm rausgeholfen, und es kam, denn mei Hand is reen und mei Gemüte gut. Ob's aber dableibt, steht bei Gott und dir. Viel Glücke!«
In treuherziger Ergriffenheit streckte er dem Klumpen die Hand hin. Während sie fortgingen, begann sich die Luft mit seinen, weißen Stäubchen zu füllen, die wie winzige Nadeln stachen, wenn der heftige Wind sie gegen die Haut trieb. »Über Nacht wird's weiß werden«, sprach der Alte.
»Mir schmeißt's nischt mehr um«, erwiderte der Klumpen in verhaltener Freude. Danach trennten sie sich stumm voneinander.
3
Seit Neujahr diente auf dem Freirichtergute bei Herrn Wende eine neue Magd. Ihr Zuzug fiel in den Winter. Deswegen kam sie wenigen des Dorfes zu Gesicht.
Ihre Anwesenheit erregte vor allem die liebefähigen, jungen Burschen von Steindorf, und die Forschesten unter ihnen näherten sich ihr, um eine tagesübliche Liebschaft anzubandeln. Nach kurzer Zeit nannten sie das Mädchen eine »tumme Gans« und fluchten laut.
Zu Beginn des Frühjahrs wußte man noch nicht mehr, als daß sie Marie Alke heiße und aus Schlesien stamme. Man nahm ihr das herrische Wesen übel und nannte sie die »schlesche Marie«. Das war ein Schimpfname, denn der Grafschafter meint, alles, was aus Schlesien stamme, sei herzlos und grob.
Marie kümmerte sich nicht im mindesten um diese Treibereien. Sie behandelte das Mitgesinde als ihrer nicht ebenbürtig und sprach zu ihnen, wie aus einem anderen Stande heraus, mit einer zurückhaltenden Freundlichkeit, die ihr den Haß und die Verfolgung der Dienstboten eintrug. Die größten Grobheiten ließen sie anscheinend ruhig.
»Ihr seid ebenst noch awing siehr weit zuricke«, sagte sie achselzuckend und ging.
Als aber das feindselige Treiben der Mitdienenden gemeine Formen annahm, trat sie kurz entschlossen vor den Freirichter und erklärte, den Dienst verlassen zu müssen, wenn er ihr nicht Ruhe schaffe. Wende fuhr mit wütendem »Kreuzverflucht« unter sie. Seitdem wagte sich niemand mehr an sie heran, die, ohne aufzusehen, ihre Arbeit weiterverrichtete und in nichts einen Hohn merken ließ. Sie strengte sich nur noch mehr an und ließ sich von ihrem verdoppelten Fleiße nicht abhalten, obwohl ihr das Titel wie: »Herrnaas« oder »Schlange« einbrachte. Konsequent schloß sie sich von allen Vergnügungen aus, die ihre Mitmägde aufsuchten. Wenn diese nach Beendigung der Arbeit sich mit den Knechten laut lachend in der verrauchten Gesindestube balgten, saß sie an dem mächtigen Tisch und brachte sich beim Schein der kleinen Hängelampe ihre Kleider in Ordnung oder wusch Wäsche.
Nahmen Rede und Spaß dann abstoßend sinnliche Formen an, so verließ sie schweigend den halbdunklen Raum und legte sich zu Bett oder ging auf den Hügel hinter dem Hof, von wo aus man über das Tal hin die tiefe Einschluchtung des Warthapasses sehen konnte.
Stiegen an klaren Abenden aus dem seinen Dunste der Ferne die schattenhaften Umrisse ihrer Heimat auf, dann ward ihr großes, blaues Auge glänzend, und sie beugte sich nieder, brach eine Blume ab und steckte sie sich ins Haar, als müsse sie sich bei den Gedanken schmücken, die dann über sie kamen. Sie sah an solchen Abenden mehr als fernes Land, es stieg mit jener weitabliegenden Gegend ein Leben für sie auf, wonnig und süß, das einst das ihre gewesen war und anders ausgesehen hatte als dies Dasein in der Zwangshöhle der Knechtschaft.
Sie entstammte einer reichen Bauernfamilie des Frankensteiner Kreises. Ihr Vater war von dem Millionenrausch der siebziger Jahre gepackt worden, hatte die ehrliche Lederhose ausgezogen und die kurze Pfeife aus dem Munde gerissen. Fensterwagen und betreßte Kutscher, Jagdvergnügen, Weinjubel; er ritt auf den rollenden Talern durch die tollen Gärten des Genusses, und hinter ihm machte sich schweigend der Konkurs auf und verfolgte ihn. Nach ein paar lärmenden Jahren ward er von ihm eingeholt, und unter dem Hammer zerstoben jäh die Schemen seiner kurzen Lust.
Er СКАЧАТЬ