Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ einem Winkel des Friedhofes ein Grab. Als er damit fertig war, an einem dämmerigen Abend war es, kam er von dem Totenacker herein, machte leise die Tür auf und klopfte an ihre linke Brust. Das müde Herz gehorchte eilig und hing sogleich still wie eine verstummte Glocke. Ihr Gesicht lächelte, und die Seele breitete geräuschlos ihre Schwingen aus und floh zum Vater. Der Wind des Schicksals streute die Kinder umher und pflügte in ihre jungen Gemüter mit den Stacheln trüber, freudearmer Jahre herbe Erinnerungen.

      Marie, das zweitälteste Kind, war zu jener Zeit erst sieben Jahre, voll der Sonne. Sie fand bei einem Bruder ihres Vaters, einem harten, geizigen Manne, Unterkunft, der sie um der Schuld des Bruders willen verachtete und unterdrückte. Er tat es, um den Leichtsinn aus ihr zu vertreiben, wie er sagte. Das aber war nur ein Vorwand, um ihr das Essen öfters entziehen und sie mit Arbeit überladen zu können. Allein der Stumpfe wußte nicht, daß Kinder von ihrer Seele leben, die auch in der schmutzigsten Ecke ihre schimmernden Paläste errichten kann. So gedieh das Kind trotzdem zu immer größerer Schönheit und Kraft. Diese Schönheit war mit den Jahren noch gewachsen, und Marie hatte all ihr Hoffen auf sie gebaut. Sie sollte ihr in das Leben ihrer frühen Kindheit verhelfen, das ihr wohl nur deswegen so gar begehrenswert erschien, weil sie es nicht bewußt kennengelernt hatte. Darum hütete sie die langen, schweren Goldflechten ihres Haares, setzte das seine, frische Gesicht nie der brennenden Sonne aus und schmückte sich mit all dem billigen Glanz, der von Hausierern feilgehalten wird.

      Mit verlangendem Herzen stand sie in dem Winkel ihrer niedrigen Stellung und harrte des Erlösers. Wenn sie mutlos werden wollte, dann durfte sie nur heimlich im Lichte der Dachluke auf ihrer Kammer das Gesicht in dem kleinen Spiegel betrachten, so war sie ihrer Sicherheit wieder gewiß, daß eines Tages der reiche, schmucke Bauer zu ihr treten und sie als Weib in seine Fülle führen werde. Sie kannte ihn nicht, aber er war vorhanden und verlangte geheim nach ihr, und sie machte sich ihm kostbar mit dem Stolz, dem Entbehren aller gewöhnlichen Vergnügen, der Freude an ihrer Schönheit und dem nie erlahmenden Fleiß. Mitten im Sommer sah sie den Mann, an den das Schicksal sie ketten wollte.

      Es war zur Zeit, da die Sonnenstrahlen die reifenden Kornähren in ihrer Glut wiegten, eines Sonntagnachmittags. Die Heimchen fühlten schon die Dämmerung und begannen verstohlen zu zirpen; der Wald stand unbeweglich versunken; das Leben lag auf dem Raine und schlief. Da ging Marie zwischen den Feldern hindurch, mutterseelenallein, und sah immer vor sich nieder, wie einer, der erwartet, daß das Glück ihm über den Weg laufe, eilig und unvermutet wie ein weißes Wieselchen. Plötzlich sank ein Schatten in die stillen Halme neben ihr, und als sie erschreckt herauffuhr, stand ein großer, starkknochiger Mann vor ihr, dessen ungewöhnlich langen Beine in blanken, bis an die Knie reichenden Schaftstiefeln steckten. Seine Arme hingen straff an dem kurzen Leibe nieder, als würden sie durch das Gewicht der übergroßen Hände angespannt. In dem fahlen Gesicht stand eine hilflose Freude, die leeren Augen starrten ratlos aus dem gelblichen Weiß, und obwohl um die ganze Gestalt etwas Beklemmendes, Furchterweckendes lag, war Marie doch gegen das Klopfen ihres geängstigten Herzens einen Augenblick angenehm berührt, wegen der stummen Bewunderung, die durch all dieses der häßliche Mensch ihrer Schönheit zollte. Eine seltsame Pein verhinderte, daß sie so schnell, wie sie wollte, an ihm vorüberschreiten konnte. Von einem rätselhaften Krampf befallen, vermochte sie ihren Blick nicht von ihm zu wenden. Erst als das Glimmern seines Auges, kleine Falten um die Lippen und ein unverständliches Murmeln ihr klar bewiesen, daß er sie anreden wolle, fand sie die Kraft, weiterzuschreiten, bemerkte aber noch, wie er einigemal mit dem Kopfe nickte, daß die Schildmütze über seine Stirn fuhr. Diese Bewegung verwandelte plötzlich den ganzen Vorgang für sie in ein komisches Ereignis.

      Den stummen Gruß des Mannes vorsichtigerweise leise erwidernd, huschte sie fort. Endlich wagte sie, sich umzublicken. Zwischen den Kornbreiten, schon so weit von ihr entfernt, daß sein Leib nur noch zur Hälfte aus dem reifen Getreide ragte, sah sie ihn sich eigentümlich ruckend fortbewegen. Sein Kopf aber hing dabei auf die linke Seite.

      Sie atmete erleichtert auf und lächelte, da sie sich wieder vorstellte, wie er vor ihr gestanden und mit dem Kopf genickt hatte, daß ihm die Schildmütze auf die Nase gefahren war. Es befreite sie jedoch nicht von einem rätselhaften Klammern, einer Furcht, die, so grundlos sie auch sein mochte, doch nicht von ihr wich. Sie zu verscheuchen, bemühte sie sich, an ihre »scheene Zeit« zu denken, an den »langen Sonntag«, wie sie ihre Zukunft nannte. Allein die Bilder, die sie rief, standen nicht auf, die Lieder, die sie ersehnte, klangen nicht. Vom Dorfe herüber hörte sie Kühe brüllen, Kinder zetern, ein Schubkarren quietschte, Hunde bellten, und dazwischen fuhr in Absätzen das Schreien eines zornigen Mannes. Traurig ging sie nach Hause.

      4

       Inhaltsverzeichnis

      Die Steindorfer hängen wie fast alle Grafschafter am Katholizismus. Dieser ist nicht nur alleinseligmachend, sondern gewährt auch auf der beschwerlichen Reise zum Himmel manchen Tag, an dem man seinen Arbeitskittel ausziehen kann, den Sonntagsflausch umhängt, gemächlich sich eine Zigarre anraucht, ein Spielchen macht und einen Schnaps dazu trinkt. Was hatte man sonst von dem mühseligen Leben, wenn neben den Sonntagen, die ohnedies sind, nicht noch ein paar Feiertage wären!

      Aber wenn man die Finger nimmt und sie herzählt, die schönen Tage, die mitten in der Woche kommen, einem leise die Hacke aus der Hand nehmen, den Pflug oder den Rechen, wie ein lieber Freund, der einem gern eine Freude bereitet, und recht ordentlich sagen: »Mein Guter, halt! halt! Verschnauf und laß deine Seele auch einmal Atem holen«; wenn man das zählt, bleiben leider noch einige Finger an den beiden Händen übrig, an denen kein Sonnenschein hängt.

      Darum kann's niemand einem guten Christenmenschen übelnehmen, daß er dieser fehlerhaften Einrichtung etwas nachhilft und auf eigne Faust mitten in den Trubel der Woche so einen lachenden Tag pflanzt. Heilige hat es genug, so wird es nicht allzu schwer. Diese vernünftige Ansicht fand auch in Steindorf Anhänger, und obwohl der kleine Ort keine Kirche und darum auch keine Chorsänger hat, feiert man am 17. November jedes Jahres das Fest der heiligen Cäcilia.

      Auch in diesem Jahre hat »Franke, der dicke Schenke«, der Gemeinde angezeigt, daß, wie üblich, von abends sieben Uhr ab die Feier vor sich gehe.

      Der Gasthaussaal ist mit Tannengrün geschmückt, die vier Schirmlampen an der Balkendecke sind blank geputzt, und die stattliche Reihe der Bierfässer, die die ohnehin schmale Hausflur noch mehr verengen, zeugen von dem festen Vertrauen, das der Alte in die Andacht der Gemeindemitglieder zu setzen gewohnt ist.

      Mit dem zunehmenden Dunkel treffen die Gaste ein. Als acht Uhr vorüber ist, füllt den Saal eine bunte, fröhliche Menge. Die vier Decklampen ringen schon verzweifelt mit dicken Rauchwolken. Zwei Burschen und zwei Mädchen mit weißen Schürzen und ebensolchen, Tüchern in der Hand traben an den Tischen auf und nieder. Sie sind in hoher Erregung und ziehen in einem Ernst der Mühsal Augenbrauen und Ohren in die Höhe. Bei einer Bestellung fahren sie erschreckt herum, als erhielten sie einen Schmitz mit der Peitsche, langen ein leeres Trinkgeschirr aus dem lärmenden Haufen und eilen zum Schenkhaus. Der »Melittenverein«, niemand weiß, wie die Musiker des Dorfes zu diesem Namen gekommen sind, sitzt in ruhiger Erwartung hinter den Gitterstäben des erhöhten Chores. Die Tanzlustigen sehen mit leuchtendem Gesicht nach ihnen hin und nicken ihnen freundlich zu. Als Gegendank nötigt dieser und jener Melitte seinem Instrument irgendeinen Ton ab. Die rechte Saalseite wird von den Verheirateten eingenommen. Die Väter sitzen da, schlagen auf den Tisch und erzählen. Die Mütter lächeln. Manche halten kleine Kinder auf dem Schoße, Mädchen oder Knaben von vier bis sechs Jahren, und geben ihnen Bier oder Schnaps zu trinken.

      Auf der linken Seite sitzen die Ledigen; auf einer langen Bank die Mädchen, durchweg hübsche Gesichter, die Hände auf der Schürze gefaltet, die Front dem Saale zugekehrt. Die Burschen, zu dichten Haufen geballt, rauchen mit Aufbietung aller Kräfte, trinken fleißig, lachen und sprechen überlaut, um die Aufmerksamkeit СКАЧАТЬ