Название: Schwarzes Echo
Автор: Michael Connelly
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Kampa Pocket
isbn: 9783311702269
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»Erster Schnitt am Morgen?«
»Hauptsache, heute lassen Sie uns in Ruhe.«
»Erster Schnitt?«
»Ja, ja. Erster Schnitt.«
»Selbstverständlich lasse ich Sie in Ruhe. Ich sehe Sie morgen.«
»Mich nicht, Mann. Ich werde schlafen.«
Sakai kurbelte das Fenster hoch, und der Wagen fuhr an. Bosch trat zurück, um ihn vorbeizulassen, und als er weg war, stand er da und starrte die Röhre an. Da nahm er die Graffiti eigentlich zum ersten Mal wahr. Nicht, dass ihm nicht aufgefallen wäre, dass die Röhre buchstäblich mit gesprayten Botschaften übersät war, aber diesmal sah er sich die einzelnen Zeichnungen an. Viele waren alt, ineinander verwoben – ein Muster aus Buchstaben, die Drohungen ausstießen, die entweder lang vergessen oder längst eingelöst waren. Es gab Slogans: »Raus aus L.A.« Es gab Namen: »Ozone«, »Bomber«, »Stryker« und viele andere. Einer der neueren Schriftzüge fiel ihm ins Auge. Er bestand nur aus drei Buchstaben, etwa vier Meter vor dem Ende der Röhre – »Sha«. Die drei Buchstaben waren in einer fließenden Bewegung gesprüht. Das S war oben gezackt und dann mit Konturen versehen. Es sah aus wie ein Maul. Ein weit aufgerissener Rachen. Zähne waren keine zu sehen, aber Bosch konnte sie spüren. Es schien, als wäre das Werk nicht vollendet. Dennoch war es gut, originell und sauber. Er richtete die Polaroidkamera darauf und machte ein Foto.
Bosch ging zum Polizeitransporter hinüber, steckte die Aufnahme in seine Tasche. Donovan war gerade dabei, die Ausrüstung auf Borden und die Tüten mit den Beweisstücken in hölzernen Napa-Valley-Weinkisten zu verstauen.
»Hast du irgendwelche abgebrannten Streichhölzer gefunden?«
»Ja, eins. Ein frisches«, sagte Donovan. »An einem Ende abgebrannt. Es lag etwa drei Meter weit drinnen. Steht da auf der Liste.«
Bosch sammelte ein Klemmbrett auf, an dem ein skizziertes Diagramm der Röhre steckte. Der Fundort der Leiche war eingezeichnet, ebenso die Stellen, an denen die anderen Gegenstände im Rohr gelegen hatten. Bosch fiel auf, dass das Streichholz etwa fünf Meter von der Leiche entfernt gefunden worden war. Dann zeigte Donovan ihm das Streichholz am Boden eines Plastikbeutels. »Ich sag dir Bescheid, ob es aus dem Heftchen stammt, das dem Toten gehört hat«, sagte er. »Falls du das gerade überlegen solltest.«
Bosch sagte. »Was ist mit den Uniformierten? Was haben die gefunden?«
»Ist alles da drüben«, sagte Donovan und deutete auf eine Holzkiste, in der noch weitere Tüten mit Beweisstücken lagen. Sie enthielten Abfälle, die die Streifenbeamten in einem Radius von fünfzig Metern um die Röhre eingesammelt hatten. Jeder Beutel enthielt eine Beschreibung des jeweiligen Fundortes. Bosch nahm die Beutel heraus und sah sich den Inhalt genau an. Das meiste war Abfall, der wahrscheinlich nichts mit der Leiche zu tun hatte. Es waren Zeitungen, Lumpen, ein hochhackiger Schuh, ein weißer Strumpf mit getrockneter, blauer Farbe. Eine Schnüffeltüte.
Bosch nahm einen Beutel in die Hand, der das Oberteil einer Sprühdose enthielt. Im nächsten Beutel war die Dose selbst. Auf dem Krylon-Etikett stand »Ocean Blue«. Bosch wog den Beutel in der Hand und schätzte, dass noch Farbe in der Dose war. Er nahm den Beutel mit zur Röhre, öffnete ihn, tippte die Düse mit einem Kugelschreiber an, sprühte einen blauen Strich neben die Buchstaben »Sha«. Er sprühte zu viel. Die Farbe verlief an der Wölbung der Röhre und tropfte auf den Kies. Aber Bosch konnte sehen, dass die Farben übereinstimmten.
Darüber dachte er einen Moment lang nach. Warum sollte ein Graffiti-Sprayer eine halb volle Dose Farbe wegwerfen? Er sah nach, was auf dem Beutel stand. Man hatte sie am Rand des Reservoirs gefunden. Jemand hatte versucht, sie in den See zu werfen, aber nicht getroffen. Wieder dachte er: wieso? Er hockte sich neben die Röhre und sah sich die Buchstaben genau an. Er kam zu dem Schluss, dass die Botschaft oder der Name, was immer es sein sollte, nicht vollständig sein konnte. Irgendwas war passiert, das den Sprayer veranlasst hatte, aufzuhören und die Dose, den Deckel und seine Schnüffeltüte über den Zaun zu werfen. War es die Polizei gewesen? Bosch nahm sein Notizbuch und schrieb auf, dass er Crowley nach Mitternacht anrufen wollte, um nachzufragen, ob sich jemand von seinen Leuten während der Frühschicht am Reservoir aufgehalten hatte.
Aber was, wenn es kein Cop gewesen war, der den Sprayer dazu gebracht hatte, seine Sachen über den Zaun zu werfen? Was, wenn der Sprayer beobachtet hatte, wie die Leiche hergeschafft wurde? Bosch dachte daran, was Crowley über den anonymen Anrufer gesagt hatte. Ein Junge, weiter nichts. Hatte der Sprayer angerufen? Bosch brachte die Dose zurück zum SID-Wagen und reichte sie Donovan.
»Nimm hiervon Abdrücke, wenn du mit dem Besteck und der Pfanne fertig bist«, sagte er. »Ich glaube, das könnte einem Zeugen gehören.«
»Wird gemacht«, sagte Donovan.
Bosch verließ die Hügel und nahm am Barham Boulevard die Auffahrt zum Hollywood Freeway. Nachdem er den Cahuenga Pass hinter sich gelassen hatte, fuhr er über den Ventura Freeway nach Westen, dann auf dem San Diego Freeway in Richtung Norden. Für die zehn Meilen brauchte er knapp zwanzig Minuten. Es war Sonntag, und so herrschte nicht viel Verkehr. An der Roscoe bog er ab und fuhr zwei Blocks weit ostwärts in Meadows’ Wohnviertel an der Langdon hinein. Wie in den meisten Vororten im Raum Los Angeles gab es in Sepulveda sowohl gute als auch schlechte Viertel. Bosch erwartete von Meadows’ Straße weder getrimmte Rasenflächen noch Rinnsteine, vor denen sich Volvos aneinanderreihten, und er wurde auch nicht enttäuscht. Es war mindestens zehn Jahre her, dass die Apartments ansehnlich gewesen waren. Vor den Fenstern der Erdgeschosswohnungen sah man Gitter, und Graffiti an allen Garagentoren. Der scharfe Gestank der Brauerei an der Roscoe wehte in das Viertel hinein. Die Gegend roch wie eine Bar um vier Uhr morgens.
Meadows hatte in einem U-förmigen Apartmenthaus gewohnt, das aus den Fünfzigern stammte, als noch nicht der Gestank von Hopfen in der Luft lag, an den Straßenecken noch keine Gangbanger herumlungerten und es noch Hoffnung für das Viertel gab. In der Mitte des Hofes war ein Pool, den man aber schon lange mit Sand und Erde zugeschüttet hatte. Jetzt bestand der Innenhof aus einem nierenförmigen Beet mit braunem Gras, eingefasst von schmutzigem Beton. Meadows’ Wohnung lag an einer Ecke im ersten Stock. Bosch konnte das gleichmäßige Summen vom Highway hören, als er die Treppe nahm und den Korridor vor den Apartments entlang ging. Die Tür zu 7 B war unverschlossen und führte in ein kleines, kombiniertes Wohn- und Esszimmer mit Kochnische. Edgar stand an einen Tresen gelehnt und schrieb etwas in sein Notizbuch. Er sagte: »Hübsch hier, hm?«
»Ja«, sagte Bosch und sah sich um. »Keiner zu Hause?«
»Nein. Ich hab eine Nachbarin von nebenan gefragt, und sie hat seit vorgestern niemanden hier gesehen. Sie hat gesagt, dass der Mann, der hier gewohnt hat, Fields hieß, nicht Meadows. Nett, hm? Sie hat gesagt, er hätte hier ganz allein gewohnt. Wäre seit etwa einem Jahr hier und meistens für sich allein gewesen. Das war alles, was sie wusste.«
»Hast du ihr das Bild gezeigt?«
»Ja, sie hat ihn erkannt. Hat ihr aber nicht gefallen, sich das Foto von einem toten Mann anzusehen.«
Bosch trat in einen kleinen Flur, der zum Badezimmer und ins Schlafzimmer führte. Er sagte: »Hast du die Tür aufgebrochen?«
»Nichts da … die war offen. Ohne Scheiß, ich klopf zweimal an und will gerade meine Tasche aus dem Wagen holen und das Schloß knacken, da denk ich, egal, versuch dein Glück und dreh am Knopf.«
»Und die Tür geht auf.«
»Sie СКАЧАТЬ