Die wilden Jahre. Will Berthold
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Название: Die wilden Jahre

Автор: Will Berthold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711727157

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СКАЧАТЬ hörte seinen eigenen Atem. Wer, fragte er sich, wer? Der alte Kahn, der nur für seine Firma und seine Familie gelebt hatte? Jakob, der Sohn, der niemals jung gewesen war? Lydia, das lustige Tennismädchen?

      Wer von den vier hatte für das Lösegeld der anderen drei sterben müssen, für den Tausch: Geld gegen Blut?

      Während Martin das Blatt wendete, schienen Bälle gegen seinen Kopf zu fliegen, harte, schnelle weiße Tennisbälle: Schmetterbälle, Flugbälle, Matchbälle. Aufschlag – Treffer. Vorhand – Treffer. Rückhand – Treffer. Treffer. Treffer …

      Martin zog den Kopf tief in die Schultern und las:

      2. Juni 1941:

      Panetzky teilt dem Reichstagsabgeordneten Ritt der Ordnung halber mit, daß die Affäre Kahn erledigt sei. Vater, Mutter und Tochter wären inzwischen nach Portugal weitergefahren, um von dort per Schiff nach Amerika zu reisen. »Trotz aller Beziehungen hat es sich leider nicht verhindern lassen, daß der Sohn Jakob nach Polen geschafft wurde; über sein weiteres Schicksal ist nichts bekanntgeworden. Zwar erreichte auf sehr dubiosen Schleichwegen ein Abschiedsbrief seine Verwandten in Philadelphia; es handelte sich dabei jedoch vermutlich um eine Fälschung.

      Die volle Summe wurde rechtzeitig hinterlegt und steht nach Abzug meiner Provision in Höhe eines Drittels zwecks weiterer Veranlassung zur Verfügung.

      Sicherheitshalber darf ich noch einmal dringend auf unsere Vereinbarung hinweisen, daß alle Unterlagen dieser Sache schon im Reichsinteresse zu vernichten sind.«

      Also Jakob, dachte Martin, stand auf, schloß die Akte, sah das Kleiderbündel, das er sich zurechtgelegt hatte, fegte es mit der Hand vom Tisch. Er wollte das Jagdhaus verlassen, dachte dann an den US-Colonel, seinen unbekannten Gastgeber, hängte die Anzüge wieder in den Schrank, warf die Hemden hinterher, stieg durch das Fenster und schloß die Läden.

      Der rundliche Fahrer schlief im Jeep. Er hatte die Beine auf das Steuerrad gelegt und den Kopf auf die Knie gestützt. Sein Gesicht träumte auf einer üppigen Badeschönheit der Stars and Stripes. Der Mann hörte Martin kommen, fuhr benommen hoch, lächelte leer und stand auf.

      »Can I help you?« fragte er mit schläfriger Stimme.

      »Thank you.« Martin winkte ab.

      Der GI sah, daß Martin nichts in der Hand hielt als einen Schnellhefter, und fragte:

      »That’s all?«

      »Das ist alles.«

      Sie rollten nach Frankfurt zurück. Vor dem IG-Farben-Hochhaus setzte ihn der Fahrer ab. Martin bedankte sich. Der Soldat grüßte flüchtig. Martin griff mechanisch in die Tasche, stieß auf das Geldbündel, reichte es dem GI, der verwundert und beleidigt den Kopf schüttelte.

      Martin schleuderte das Geld in den Jeep und ging mit raschen Schritten in das Haus.

      »Nuts!« rief ihm der Fahrer nach, tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und sammelte die Papierscheine ein.

      Der Major mit dem schmalen klugen Pferdekopf hatte Martin schon erwartet, stand auf und begrüßte ihn lebhaft.

      »Felix hat angerufen«, sagte er, »es ist alles okay, er schickt Ihnen morgen einen Wagen, und Sie können sofort nach München übersiedeln.«

      »Danke«, antwortete Martin zerstreut.

      »Haben Sie – da draußen – etwas Brauchbares für sich gefunden?«

      »Ja.«

      Der US-Major merkte, daß Martin nicht sprechen wollte, und griff zu dem Mittel, mit dem man im Jahre 1947 alle deutsch-amerikanischen Verlegenheiten überbrücken konnte: er bot ihm eine Zigarette an.

      Sie rauchten schweigend.

      Auf dem Gang pfiff einer einen Gassenhauer. Ein paar Soldaten schienen Football zu spielen, polterten gegen die Türen. Mädchen lachten und schäkerten in einem buntsprachigen Kauderwelsch. Es ging auf Dienstschluß zu, und die Menschen in dem weiträumigen Gebäude freuten sich auf ihre Freizeit.

      »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« fragte der Pferdekopf.

      Martin zögerte, dachte nach: es war keine Zeit zu verlieren.

      »Vielleicht«, antwortete er gedehnt. »In dieser Stadt – bei der früheren Gauleitung – gab es einen Nazi namens Silbermann …«

      »Vorname?« fragte der Major und griff nach einem Zettel.

      »Egon.«

      »Gut«, entgegnete der Offizier, »wenn der Bursche nicht aufgehängt wurde oder inzwischen untergetaucht ist, werden wir ihn gleich haben.«

      Er drückte auf einen Klingelknopf, übergab der Sekretärin den Zettel, klopfte Martin auf die Schulter und setzte hinzu: »Und bis dahin nehmen wir einen Drink …«

      Sie gingen in die kleine Offiziersbar im Haus und tranken Whisky. Der Major, der Martins düstere Stimmung aus eigenen Erlebnissen kannte, stellte keine Fragen.

      Schon nach dem dritten Glas wurde der Offizier an das Telefon gerufen, und noch während des Gesprächs drehte er sich zu Martin um und sagte: »Wir haben ihn.«

      Er warf dem Kellner Script-Dollars auf die Theke und zog Martin vom Hocker.

      Die Sekretärin hatte bereits die Unterlagen auf den Schreibtisch des Majors gelegt; er überflog sie.

      »Was wollen Sie von dem Mann?« fragte er betont leicht.

      »Eine Auskunft.«

      »Er ist interniert«, sagte das Pferdegesicht. »Es liegt einiges gegen ihn vor. Er geht übrigens bald in deutschen Gewahrsam über.«

      »Kann ich ihn sprechen?« fragte Martin.

      »Sicher«, erwiderte der Offizier, »aber das ist wieder eine so umständliche Sache.« Er las weiter. Seine Lippen öffneten sich zu einem Riß des Spotts. »Übrigens«, fuhr er fort, »ist Silbermann mit einer Fuhre anderer Nazis für den Weltkongreß der Moral Rearmament ausersehen.«

      »Moralische Aufrüstung? Was ist das?« fragte Martin.

      »Eine Mischung von guter Absicht und schlechtem Geschmack«, antwortete der Major. Er lächelte mit geschlossenen Lippen. »Mit dem Hauptsitz in Caux.«

      »Ihr sperrt ein ganzes Volk ein«, entgegnete Martin leise, »und laßt Nazis in die Schweiz reisen?«

      »Nicht etwa nur Nazis«, erwiderte das Pferdegesicht und griff nach seinem Lineal, »die Militärregierung unterstützt alles, was-der deutschen Umerziehung dienlich sein könnte.« Er grinste breit. »Auch das.«

      »Gilt das auch für mich?« fragte Martin.

      Der Offizier betrachtete ihn gelassen, schob das Lineal weg. »Haben Sie es nötig?«

      »Wer nicht?«

      Der Pferdekopf sah verblüfft zu Martin, nickte dann:

      »Alle Achtung, Ritt, Sie СКАЧАТЬ