Die wilden Jahre. Will Berthold
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Название: Die wilden Jahre

Автор: Will Berthold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788711727157

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СКАЧАТЬ Blick tastete sich vorsichtig durch den Raum, streifte ein paar Reporter. Er bedauerte sie fast, weil sie wegen Papiermangels nicht viel schreiben konnten und, was ihn betraf, vergeblich erschienen waren. Sein Blick blieb auf der Holzbalustrade des Angeklagtenpferches hängen. Er las eingeritzte Namen, sah eine zotige Zeichnung, unter der mit dem Messer eingeschnitzt war: Heil Hitler.

      Er erhob sich beflissen, als er aufgerufen wurde. Zunächst erschienen drei frühere Betriebsfunktionäre, die mit verschiedenen Worten das gleiche aussagten: daß Friedrich Wilhelm Ritt, Inhaber der gleichnamigen Werke, vormals Lessing & Kahn, die alleinige Schuld am Tod der beiden Amerikaner trage.

      Der Angeklagte begriff es nicht. Dann soufflierte ihm der Zorn. Irgendein Drahtzieher mußte im Hintergrund eine Intrige geknüpft haben.

      Dann war Ritt erleichtert, als er Silbermann sah. Der frühere Mitkämpfer nannte seine Personalien, gab als Beruf Kaufmann an und sagte aus, am Tag der Untat im Auftrag des Gauleiters den Betriebsführer Friedrich Wilhelm Ritt auf seinem Werksgelände besucht zu haben.

      Silbermann nahm die stramme Haltung ein, die aus der Mode war. Dann sprach er klar und ungeheuerlich, denn er bestätigte, oft über die Aussagen der ersten drei Belastungszeugen hinausgehend, die Darstellung des Anklägers.

      Der Angeklagte stand da wie ein vom Blitz getroffener Baum. Seine vom Körper weit weggestreckten Arme sahen aus wie eben abgesplitterte Äste.

      »Er lügt!« schrie er in den Saal. »Es ist kein Wort wahr!« Er lügt, um seinen Kopf aus der …«

      Zunächst wurde der Angeklagte Ritt verwarnt.

      Sein Verteidiger redete beruhigend auf ihn ein, obwohl auch er überrascht war. Da der Zeuge erst heute von der Anklage benannt worden war, kam seine Aussage auch für den Rechtsanwalt überraschend.

      »Ruhig bleiben«, zischte er seinem Mandanten zu.

      Doch Friedrich Wilhelm Ritt riß sich los, hastete nach vorn, an den Richtertisch heran. Einer der bulligen MPs wollte ihn zurückreißen, aber der Richter mit den weißen Haaren in der Mitte des Podiums winkte dem Mann ab.

      »Herr Oberst«, beteuerte Ritt weinerlich, mit einer Stimme, die sich wie eine Schraube in den Windungen nach oben drehte, »das ist eine Lüge, eine Verschwörung! Ich bin unschuldig, un-schul-dig!«

      Er redete gegen eine Wand, von der nur sein eigenes Echo zurückkam, er ging auf Silbermann los, mit beschwörenden, bestechenden Worten:

      »Du bist verrückt – überleg dir das, Egon, es kann doch nur ein Irrtum sein! Bleib bei der Wahrheit! Laß dich doch nicht verrückt machen! Du weißt doch – du bist doch erst am Abend gekommen, damals – und ich war in meinem Büro – ich bin überhaupt erst auf das Außengelände gekommen, als schon alles vorbei und vorüber war –.« Ritt betrachtete den Kumpan ängstlich, flehend. »Sag doch etwas! Ich bin …«

      Er griff Silbermann am Arm, zog ihn zu sich hin. »Un-schul-dig!« Die Panik skandierte das Wort zu Silben.

      Jetzt erfaßte der Angeklagte den ganzen Hinterhalt. Gleichzeitig verlor er die letzte Beherrschung.

      »Wenn du weiterlügst, mach ich dich fertig!« schrie er den früheren Hoheitsträger an, dessen Lippen starr und hart aufeinanderlagen.

      Der alte Mitkämpfer war auf die Szene vorbereitet, deshalb machte er vor den Richtern, die Recht vom Fließband zu sprechen hatten, die bessere Figur, trotz seiner unsteten Augen, die wie Insekten waren, bereit, beim ersten Widerstand aufzufliegen: gejagte Insekten, Mücken, die sich auf alles setzen müssen, Stechmücken.

      »Ich bring die Sache mit den Juden aufs Tapet!« heulte Friedrich Wilhelm Ritt in den Raum. Dann klang seine Stimme wie gewürgt: »Die Transporte nach dem Osten – nach …«

      »Stop it now«, sagte der Richter barsch und schlug mit dem Holzhammer auf den Tisch. »You still stand to your statement, Mister Silbermann?« fragte er.

      »Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, Herr Silbermann?« übersetzte der Dolmetscher.

      »Selbstverständlich«, antwortete der alte Pg.

      »Du Schwein! Du …« Ritts Stimme überschlug sich.

      Er breitete die Hände aus wie Greifzangen, sprang auf den Zeugen los, um auf ihn einzuschlagen.

      Da traf ihn der Gummiknüppel des MP; er wurde auf die Anklagebank zurückgerissen.

      Ritt weinte und tobte, bis er zusammenbrach. Er benannte andere Zeugen, aber die Richter waren längst beim nächsten Angeklagten, einem Bauern aus dem Fränkischen, der einen amerikanischen Leutnant mit der Mistgabel erstochen hatte. Die Schilderung dieser Tat nahm ihnen die Lust, sich mit den inkriminierten Krauts länger aufzuhalten, als ihnen nötig schien.

      Am Abend verkündete der Vorsitzende das Urteil. Der Angeklagte Ritt sah ihm auf die Lippen, betrachtete den Mann beschwörend, der trotz seiner olivgrünen Uniform wie ein Zivilist wirkte.

      »Death by hanging«, sagte er.

      Das gibt es nicht, dachte der alte Ritt. Mit fliehendem Bewußtsein sagte er sich immer wieder, sinnlos und heiß: das gibt es nicht, keiner wird mehr gehängt, das ist doch Barbarei, das ist Mittelalter, das haben wir doch abgeschafft; wir leben doch in der Zivilisation; wir beide wurden doch geboren, getauft, geimpft; wir lernten Lesen und Schreiben, lebten und liebten, du drüben, ich hüben; wir hatten doch Erfolg und glaubten an unser Zeitalter; wir sind beide froh, diese Unmenschlichkeiten überstanden zu haben. Wer wird denn jetzt noch aufhängen, wird bei Hitler in die Schule gehen …?

      Als man Friedrich Wilhelm Ritt in die Festung Landsberg schaffte, aus der das Kriegsverbrechergefängnis geworden war, merkte er, daß sein Leben zu Ende ging. Er wehrte sich gegen die Militärposten. Drei kräftige Burschen waren nötig, das menschliche Wrack einzuladen. Ritt saß zum letztenmal in einem Wagen, der nur eine kurze Strecke in die kleine Stadt rollte, an deren Rand der Galgen stand und der Henker wartete.

      Es war Hanselmann, der Scharfrichter des Dritten Reiches; er diente den Amerikanern mit der nämlichen Disziplin wie den Nazis, aber seit man ihn aus dem Internierungslager geholt und wieder in sein Amt eingesetzt hatte, es zweimal in der Woche, Dienstag und Donnerstag in den Vormittagstunden, ab neun Uhr, pedantisch einzuhalten.

      Der Mann mit dem düsteren Beruf und dem roten Gesicht – er sah im Cutaway mehr lächerlich als tödlich aus – köpfte nicht mehr, sondern hängte. Er hielt diese Art des Vollzugs für schmerzloser, was den Delinquenten betraf, und für umständlicher, was ihn anbelangte.

      Als man Friedrich Wilhelm Ritt die blutrote Gabardinejacke überzog, die Uniform der Todeskandidaten – eine Tasche links, eine rechts, vier Kunststoffknöpfe in der Mitte –, schrie er wie ein Tier im Schlachthof; es half ihm genausowenig.

      Er war noch nicht an der Reihe, kauerte in der ebenerdigen Zelle, was auf eine veraltete amerikanische Gefängnisvorschrift zurückging, fürchtete den hohlen Klang der Schritte auf dem Gang, aber noch mehr die plötzliche Stille, die dem Geräusch des Schlüsseldrehens vorausging, fürchtete den untersetzten, breitschultrigen Sergeanten, den die Häftlinge von Landsberg den Todesengel nannten.

      In Hunderten von Zellen wurde hier das Strandgut des Krieges verwahrt: Namen, die Millionen kannten, neben Schicksalen, um die nur die Angehörigen wußten. Die Zellen waren gleich eng und hoch, ob sie Minister, Generäle, Diplomaten, Gauleiter, СКАЧАТЬ