Die wilden Jahre. Will Berthold
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Название: Die wilden Jahre

Автор: Will Berthold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788711727157

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СКАЧАТЬ nach Prominenz und tauschten Zigaretten gegen Autogramme.

      Friedrich Wilhelm Ritt hoffte, wartete, verzweifelte. Manchmal raste er mit den Fäusten gegen die Wand. Dann wieder ergab er sich still. Er war so schwach, daß er mitunter bei seinem Rundgang in der Zelle umfiel. Aber es würde ihm nichts helfen. Wer zu matt war für den Galgen, wurde getragen.

      In Landsberg hatten die Reihengräber Nummern, keine Namen; sie lagen hinter dem Hauptgebäude, dazwischen gedieh das Unkraut.

      Friedrich Wilhelm Ritt wartete Tage, Wochen, Monate: auf Gerüchte, auf die Post, auf die Wachablösung, auf das Essen, auf den Pfarrer, auf die Begnadigung, auf den Henker. Jetzt hätte er ausgiebig Gelegenheit gehabt, zu erfassen, was sein Sohn Martin in der Todeszelle durchlitten hatte, die auf ein Wort des Vaters aufgesperrt worden wäre. Aber das Grauen nahm ihm die Einsicht, den Schauder vor der letzten Zeremonie, der man den Mann in der Rotjacke an einem der ersten Aprilmorgen des Jahres 1947 unterzog.

      »Bible, pictures, covers!« rief der massive Sergeant, genannt Todesengel, am Vorabend. »Bibel, Bilder, Decken!«

      Du wirst gehängt, hieß das. Morgen. Heute nacht kommst du in den Keller, und morgen früh liegst du im Reihengrab.

      Unten darfst du mit den anderen sprechen, hieß das, die morgen mit dir zum Galgen müssen. Jetzt erlebst du noch ein Konzert im Todessaal, man bringt dir Essen, das der amerikanische Steuerzahler bezahlt; alles, was dein Magen verträgt, außer Alkohol. Während die Musiker spielen, sind schon die Gräber ausgehoben.

      Sie hielten ihm den Mund zu. Sein Herz machte nicht mehr mit. Sie gaben ihm eine Spritze. Der Wahnsinn streifte ihn, aber der Psychiater hatte ihm die volle Zurechnungsfähigkeit bestätigt; er kam in den Keller, den Vorraum des Galgens, und sein Leben zählte noch neun grausame Stunden.

      IX

      Das junge Mädchen lag neben dem Mann, nackt und zufrieden. Eine kleine Melodie schwebte im Raum, weich, zärtlich. Auf dem niederen Glastisch flackerte die erschöpfte Kerze. Wenn der Wind mit der bunten Seidengardine spielte, strich rötlicher Schein über die gebräunte Haut Susannes, der den jugendlichen Körper verschattete und seine Formen konturierte.

      Es roch nach Wachs, nach Rauch, nach Liebe. Der Mann beugte sich vor, um Susanne zu betrachten. In der letzten Stunde hatte sie ihm viele Gesichter gezeigt, aber ihre Augen waren immer bei ihm geblieben und glänzten bei Kerzenlicht wie Smaragde im Mondschein.

      Felix Lessing griff nach der Flasche neben der Couch. Er hob sie vom Boden, trank den Whisky pur, lauwarm, ohne ein Glas zu benutzen. Gleichzeitig suchte er am Boden nach Zigaretten. In der Flamme des Feuerzeuges sah er wieder Susannes Gesicht. Es war klar, frisch. Die ovale Stirn wirkte klug. Der Mund war sparsam und unbeschrieben, das Kinn fest, doch nicht unweiblich.

      »Hast du etwas gesagt?« fragte sie leise.

      »Nein. Wolltest du etwas von mir hören?«

      »Nein.« Er lachte, nahm die brennende Zigarette aus dem Mund und steckte sie ihr zwischen die Lippen. In der aufleuchtenden Glut sah sie sein Gesicht.

      Felix war ein Mann, der Frauen gefiel. Er hatte alles, was im März 1947 zu einem homme à femme nötig war: ein gutes Gesicht, lässige Bewegungen, sichere Eleganz, Witz und Verve; dazu ein eigenes Haus mit friedensmäßiger Küche. Er gehörte als Offizier der amerikanischen Armee einer Siegernation an und war zudem ein wichtiger Mann der Militärregierung.

      Susanne richtete sich auf, stützte sich auf beide Ellenbogen, wandte Felix ihr Gesicht zu. Ihre langen Haare fielen nach vorn über die kindlichen Schultern bis zum Ansatz der Brust. Sie betrachtete ihn, als sehe sie ihn seit diesem Abend anders.

      Ihr gefiel sein Gesicht, das kühl und geschlossen war in seiner Zerrissenheit: eine Einheit des Zwiespalts. Es war ein Gesicht, das seinen Ausdruck jäh wechseln konnte, von einer Sekunde zur anderen.

      Zuerst war ihr seine breite, ausladende Stirn aufgefallen: eine Mauer, hinter der sich der Fluß staute: klares Wasser, trübes Wasser, frisches Wasser, fauliges Wasser, Gewässer.

      Er spürte, daß sie ihn beobachtete, und er mochte es nicht. Er war ungehalten, weil ihm dieses natürliche Mädchen soviel gegeben hatte. Er war schließlich nicht nach Deutschland gekommen, um Gefühle zu erfüllen oder sein Glück zu suchen.

      Felix Lessing hatte es schwer mit seinem Haß, für und von dem er jahrelang gelebt hatte.

      Er beschwor immer wieder das Bild des Vaters und versuchte, alle Deutschen für den Tod des alten Kommerzienrates verantwortlich zu machen.

      Als er merkte, daß ihm das Land, das er verachtete, immer näher kam, durchlitt er alle Höllen und Tiefen der Haß-Liebe. Die erste scheue Annäherung an seine alte Heimat rüttelte an dem Zerrbild, in das er sich in langen Jahren hineingesteigert hatte. Ein Kind, das ihn anlächelte: Kannst du in jeder Illustrierten sehen, dachte er. Eine an Hungerödemen leidende Greisin, die mit ihren kärglichen Lebensmitteln herrenlose Hunde und Katzen fütterte: Nicht selten ist Tierliebe ein Ausdruck der Menschenverachtung, und Hysteriker gibt es überall, meinte er. Der alte Organist, der sich nach dem Einmarsch der Alliierten mit verklärtem Gesicht und gichtigen Händen an die Orgel der kleinen Dorfkirche setzte und befreit das Tedeum spielte: Kannst du in jedem dritten Kriegsfilm sehen, überlegte er. Junge Soldaten, die freudig in die Gefangenschaft gingen, weil sie zugleich das Ende des braunen Staates bedeutete: Sie leben auch lieber hinter Stacheldraht, als auf den Schlachtfeldern zu sterben, sagte er sich.

      So lag Felix im ständigen Zwiespalt mit sich selbst; er sah Würde in Lumpen und traf Feinheit unter dem Schutt, und er rang um seinen Haß und merkte, daß er schrumpfte.

      Er spürte, daß eines Tages sein Anstand und seine Intelligenz das Zerrbild endgültig zerreißen würden, und so beschwor er, um es zu verhindern, die anderen Bilder, zwang sich wieder, Skelette von Bergen-Belsen, die Vergasten von Auschwitz und die Gehängten von Buchenwald zu sehen, krallte sich an diese Visionen des Grauens wie ein Ertrinkender an den Balken und kämpfte noch weiter gegen sich, als er merkte, daß sich der Balken drehte.

      Schließlich begann der junge Captain Felix Lessing, nur noch in wirklichen Tätern die Mörder zu sehen; er eilte der Politik der Siegermächte weit voraus, weit hinweg von ihrer These der Kollektivschuld, als er sich überwand, nicht mehr pauschal zu verurteilen, sondern individuell zu richten – wie den alten Ritt.

      »Bist du fertig?« fragte Felix schroff, weil ihn Susanne immer noch ansah.

      »Fertig?«

      »Mit deiner Vivisektion.«

      »Wieso?«

      »Du starrst mich so an«, sagte er.

      »Warum sollte ich nicht? Ich schaue dich gern an, Felix.«

      Die Worte klangen gut, und es brachte ihn wieder gegen sich selbst auf. Seine Lippen lagen flach aufeinander wie Scharniere. Wie meistens wollte er sich lieber den Mund verschließen als sich etwas vergeben.

      »Vielleicht verstehst du das nicht«, erklärte er, »ich will nicht im Schaufenster liegen. Ich möchte mich nicht bestaunen, betasten, kaufen und umtauschen lassen. Ich bin keine Ware. Ich bin …«

      »… eine Mimose. Nicht böse sein«, unterbrach sie ihn und küßte seine Hand.

      Er wandte das Gesicht ab. »You are my sunshine …«, sang eine hellblonde СКАЧАТЬ