Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi. Kjersti Scheen
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Название: Die siebte Sünde - Norwegen-Krimi

Автор: Kjersti Scheen

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Ein neuer Fall für Margaret Moss

isbn: 9788726444964

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СКАЧАТЬ guess I’ll go through life

      just catchin’ colds and missin’ trains,

      everything happens to me.«

      Adair/Dennis

      Sie war in Bryne aus dem Zug geklettert und mit etwas Mühe in einen Bus umgestiegen. Noch immer in bester Stimmung, machte sie es sich bequem, draußen dämmerte es allmählich, die Wolken hingen tief, und ab und zu trommelten Regenschauer gegen die Fensterscheiben.

      Im Bus saßen nur wenige Leute, eine Gruppe halbwüchsiger Schüler mit riesigen Rucksäcken und Kugelschreibergekritzel auf den Handrücken und zwei alte Männer mit Tropfen an der Nase und Schiebermütze. Sie saß allein auf der Rückbank und hielt sich mit regelmäßigen kleinen Schlucken von dem süßen Alkohol bei Laune. Es schmeckte nach Gummibärchen, und sie hätte gern noch mal aufs Etikett geschaut, war aber zu müde, dämmerte sogar eine Weile weg und wachte erst wieder auf, als ihr nasse Regenluft entgegenschlug: Die Schüler stiegen in versammelter Mannschaft aus und verursachten Durchzug in der Wärme des Busses.

      Sie blinzelte aus dem Fenster.

      Keine Spur vom Meer.

      Sie ging nach vorne, bis sie eine der Schiebermützen erreicht hatte.

      »Ich wollte zum Strand, ich meine, ich wollte das Meer sehen, aber ich kann schließlich nicht den ganzen Tag im Bus sitzen, kann ich denn wohl bald aussteigen?« fragte sie.

      Der Mann legte den Kopf nach hinten und sah sie mit wäßrigblauen Augen an. Dann suchte er Hilfe bei seinem Nachbarn. »Das Meer?« Er schüttelte ratlos seinen Kopf, der dünne Hals verschwand in einer Windjacke. »Sie will das Meer sehen.«

      Die andere Schiebermütze warf ihr einen raschen Blick zu und schüttelte ebenfalls den Kopf. »Tja, dann muß sie wohl bald mal aussteigen«, sagte er.

      Sie wartete eine Weile, aber keiner von beiden schien noch etwas sagen zu wollen, sondern beide starrten hartnäckig geradeaus. Da ging sie wieder zu ihrem Platz zurück.

      Draußen war es jetzt sehr grün, hier und da bewegte sich irgendwas undeutlich Graues, Schafe vermutlich – Gruppen von Bäumen, Häusern, Satellitenschüsseln, die sich nach Süden orientierten, wie das nun einmal ihre Art ist. Ihrer Meinung nach fuhren sie Richtung Süden, doch auf einmal war ihr, als wenn der Bus nach Osten abgebogen wäre.

      Lag das Meer im Osten?

      Resolut drückte sie den Halteknopf.

      Sie stieg mit ihrer Reisetasche und der Umhängetasche aus, der Bus seufzte auf und fuhr los, und sie wurde sofort von einer Windbö erfaßt.

      Moss schlug den Mantelkragen hoch und schaute sich um. Auf einmal sah die Gegend sehr öde aus, niedrig und flach, mit hartem Gras, das von den Windböen an den Boden gedrückt wurde. Sie wandte sich von den Scheinwerfern der vorbeisausenden Autos ab und ging los. Nach einer Weile machte die Straße eine Kurve und schien schließlich in die richtige Richtung zu führen.

      Irgendwie hatte sie ihr Ziel ein wenig aus den Augen verloren, das Ganze hatte an Reiz eingebüßt. Sie war müde und unkonzentriert, und sie hatte steife Beine. Sie schob die Umhängetasche weiter nach oben, packte die Reisetasche fester und ging unentschlossen auf das zu, was – wie sie hoffte – das Ziel ihrer Reise war.

      Sie durfte jetzt nicht aufgeben, dann würde alles nur noch sinnloser werden. So sinnlos, daß man nicht mal darüber nachdenken mochte.

      Es roch nach Silage.

      Nach Silage und nasser Erde. Der Wind kam in unregelmäßigen Böen. Hoffentlich vom Meer. Die Wellenpferde – oder wie hieß das noch bei Arne Garborg? Ein Brausen lag in der Luft, das vorher nicht dagewesen war.

      Sie stolperte vorwärts, während sie sich an die Wellenpferde zu erinnern versuchte. Sie hatte einmal die Tabitha in Garborgs Stück ›Der Lehrer‹ gespielt und einen heftigen, aber kurzzeitigen Garborg-Tick gehabt. Wie ging sie noch, die Stelle mit dem Meer hier im Westen? Schwarzgrün kommt es in gewaltigen Wogen aus den westlichen Strichen herangewälzt, seine mähnenweißen Wellenpferde aus dem Meeresnebel führend. Und dann irgendwas von dem donnernden, tiefen, ewigen Orgelton aus den fernsten Abgründen. Oh, sie begann das ganze Unternehmen zu bereuen, warum mußte sie auch hinaus zu den Orgeltönen, wo sie doch trocken und gemütlich in der Bar des Hotels Atlantic hätte sitzen können, um auf ein besseres Morgen zu warten?

      Das Elfenland, dachte sie und stolperte wieder, hielt sich aber auf den Beinen. Wer will eigentlich näher zum Meer, wenn es Abend wird und regnet?

      Trotzdem ging sie unverdrossen weiter, schließlich stellte sich eine Art Rhythmus ein, die Absätze ihrer Stiefel knallten auf den Asphalt. Wären Autos gekommen, dann wäre sie per Anhalter gefahren, aber alles war ruhig, die Leute saßen vermutlich zu Hause und sahen fern. Ob sie auch mit geschlossenen Augen gehen konnte? Es tat gut, die Augen ein bißchen zuzumachen, sie war so müde. Direkt vor dem Straßengraben öffnete sie sie wieder. Irgendwo mußte sie eine andere Richtung eingeschlagen haben, oder die Straße hatte eine Kurve gemacht, ohne daß sie es gemerkt hatte, denn jetzt schlug ihr der Wind direkt ins Gesicht. Vielleicht hatte sie sich auf einen Seitenweg verirrt.

      Sehen konnte sie auch nichts mehr.

      Das Brausen des Meeres hatte dagegen ständig zugenommen. Mittlerweile war sie sich vollkommen sicher, daß das Geräusch vom Meer stammte und vom Schlagen der Wellen ans Ufer.

      Und plötzlich hatte sie Sand unter den Füßen.

      Losen Sand, sie kämpfte sich voran, wollte umkehren, aber der Sand war auf allen Seiten, Sand und große Grasbüschel, aufwärts ging es und hin und wieder abwärts, sie hatte die Orientierung verloren, hartes Gras schlug gegen ihre Hosenbeine, und ziemlich feiner Sand wirbelte durch die Luft.

      In dem Moment fiel sie.

      Hinterher saß sie lange mit dem Rücken an die Böschung gelehnt im Sand.

      Es dauerte eine Weile, bis sie sich vom Schrecken erholt hatte. Sie fühlte sich wie zerschlagen, atmete stoßweise und klammerte sich an ihre Umhängetasche. Aber sie traute sich nicht, sie zu öffnen und noch mehr Gummibärchenschnaps zu trinken.

      Es war so schon schlimm genug. Das Knie hatte sie sich auch noch aufgeschlagen.

      Sie wünschte sich verzweifelt etwas Nichtalkoholisches zum Trinken.

      Wasser.

      Und außerdem hätte sie gern eine Taschenlampe gehabt, sie konnte nicht begreifen, wieso es plötzlich dermaßen finster war.

      Das Meer mit seinen Orgeltönen dort draußen – nur nicht daran denken. Der jäh abfallende Meeresboden, der Steilhang unter Wasser, in dieser Gegend gab es keine vorgelagerten Schären, nur diese windgepeitschte Küste im tiefsten Süden des Landes. Es kam ihr vor, als versuchte ganz Norwegen – vom Nordkap bis in den tiefen Süden –, sie mit Nachdruck ins Meer zu schieben.

      Sie grub die Finger rechts und links tief in den Sand und starrte hinaus auf die Wellenpferde, die in der Finsternis an Land galoppierten. Ihr Mund war so trocken, daß sie nicht schlucken konnte.

      Sie mußte zusehen, von hier wegzukommen.

      Sie legte den Kopf in den Nacken, um nach oben zu schauen, von wo sie hinuntergestürzt war. СКАЧАТЬ