Die Insel der Einsamen. Paul Keller
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Название: Die Insel der Einsamen

Автор: Paul Keller

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9788711517376

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СКАЧАТЬ besitzt, sei der Sohn jenes Mannes, der seine Frau an der Schwelle des Heiligtums erschlug.“

      Kajetan wälzte sich mit einem Ruck nahe an Günther heran und hielt ihm seine mächtige Pranke auf den Mund.

      „Pst! Um Gottes Willen — das darf niemand sagen. Das ist bei schwerster Strafe verboten. Wenn Ihr darauf zu sprechen kommen wollt, so mache ich nicht mit.“

      Der Fischer flüsterte es und machte ängstliche Augen.

      „Vom Herrn Grafen soll niemand sprechen, auch nicht von dem, wie er lebt und was er tut.“

      „Und was tut er?“ fragte der andere unbekümmert.

      „Das sage ich nicht,“ erwiderte Kajetan. „Nehmt Euren Wein zurück und lasst mich in Ruh.“

      „Oho, Meisterchen, jetzt werdet Ihr unfreundlich. Wenn Ihr mir also nichts vom Grafen erzählen wollt, so erzählt mir wenigstens von den anderen Leuten, die auf der Insel wohnen.“

      Aber Kajetan war misstrauisch geworden. Er berief sich darauf, dass er der Vertrauensmann des Grafen sei und dafür zu sorgen habe, dass das Leben auf der Insel ein tiefes Geheimnis bleibe.

      „So — so,“ sagte der andere und sonst kein Wort mehr. Nach einer Weile hörte Kajetan neben sich ein leises Klingen. Er wandte den Kopf und sah zu seinem gewaltigen Erstaunen, dass der andere eine ganze Anzahl goldener Dukaten auf das grüne Gras gezählt hatte.

      „Was macht Ihr?“ fragte er beinahe atemlos.

      „Ich zähle mein Geld,“ sagte der andere lässig; „es muss noch auf einen Monat ausreichen.“

      „So reich seid Ihr?“

      Günther antwortete nicht. Er raffte das Gold zusammen und füllte es in einen ledernen Beutel. Dann stand er auf.

      „Lebt wohl,“ sagte er; „Euer Knecht ist mir zu lange; ich werde versuchen, weiter unterhalb über den Fluss zu kommen; wenn nicht eher, dann in der Stadt, wo ja eine Brücke ist.“

      „Herr, ich will Euch ja doch hinüberrudern.“

      „Das nehme ich nicht an,“ sagte Günther; „es liegt mir auch nichts daran. Etwas anderes wäre es, wenn Ihr mich zur Nachtzeit einmal nach der Insel rudern wolltet. Da solltet Ihr ein paar stattliche Goldfische von mir zu fangen bekommen.“

      „Herr, das darf ich nicht. Ihr dürft die Insel nicht betreten.“

      „So — aber der Dichter, Euer Freund, durfte es doch wohl. Oder ist er vom Himmel geschneit?“

      „Ihr seid kein Pessimist.“

      Herr Günther lachte fröhlich.

      „Nun, ein so arger Pessimist wie Ihr seid, bin ich immerhin auch. Also könnt Ihr es schon wagen.“

      „Ich darf es nicht, Herr. Die Insel nimmt keine neuen Bewohner mehr auf, und Besuche sind ganz und gar verboten.“

      „So wird sie nach und nach aussterben?“

      „Das soll sie! Es sind nur ältere Eheleute auf der Insel, die keine Kinder mehr bekommen, und das Heiraten ist verboten. Der frühere Jäger fing eine Liebschaft mit der Tochter des Wasserweibes an. Die Mutter zeigte sie selber beim Inselgericht an, und die beiden Sünder wurden verbannt.“

      „Was ist aus ihnen geworden?“

      „Zugrunde gegangen sind sie. In die grosse Stadt gezogen, geheiratet, drei Kinder gekriegt und Arbeit von früh bis spät.“

      „Das ist ja eine scheussliche Geschichte!“ sagte Günther.

      „Ja, und seit der Zeit ist die Insel ganz abgesperrt, kein Mensch darf mehr hinüber oder herüber, keine Zeitung, kein Brief kommt hin.“

      „Brauchen sie nicht manchmal einen Arzt, gehen sie nicht zur Kirche?“

      „Der Herr Graf kennt alle Wissenschaften und kuriert die kranken Leute selber. Zur Kirche gehen sie nicht, denn sie sind Pessimisten.“

      „Aber sie haben doch Bedürfnisse; sie brauchen doch Geräte, Instrumente, Kleider, Nahrungsmittel.“

      „Die Insel bringt alles in Hülle und Fülle, was der Mensch braucht: Getreide, viel Obst, Wild, allerhand Tiere; und auch für das andere ist gesorgt, denn sie haben drüben einen Schneider, einen Schmied, einen Schuster, einen Leinwandweber, einen Müller, fünf Bauern und zwei Polizisten.“

      Günther wiederholte langsam die Aufzählung und sagte:

      „Das sind mit dem Grafen zusammen dreizehn Männer. Ihr sprachet aber von achtzehn.“

      „Ja, da ist noch der Dichter, der Oberst, der Gärtner, der Hühneraugenschneider und der Narr.“

      „O,“ rief Günther, „das ist eine gediegene Kumpanei! Wozu brauchen sie so notwendig einen Hühneraugenschneider?“

      „Alle Pessimisten haben Hühneraugen,“ sagte Kajetan tiefsinnig.

      „Und wer macht die feineren Arbeiten, so zum Exempel, wenn eine Uhr entzwei gegangen ist?“

      „Sie brauchen keine Uhr,“ erklärte Kajetan. „Kein Mensch braucht eine Uhr. Wenn die Sonne steigt, ist Vormittag, wenn sie fällt, ist Nachmittag, und wenn sie gar nicht da ist, ist Nacht.“

      „Was seid Ihr für glückliche Leute,“ seufzte Günther. Er schwieg eine Weile; dann sagte er:

      „Der Herr Graf hat gewiss viele Bücher. Gibt er davon auch den anderen zu lesen?“

      Kajetan schüttelte energisch den Kopf.

      „Auf der ganzen Insel gibt es nicht ein einziges Buch. Habt Ihr gesehen, was in den Büchern für schwarze Reihen sind? Die Menschen nennen das Buchstaben. Ich aber sage Euch: das sind Heerlinien von Gauklern und Verbrechern, die darauf losmarschieren, die Menschen zu belügen und zu betrügen, ihnen das, was sie selbst an Gold in sich haben, gegen Blech und Scherben einzutauschen. Die Leute, die nicht lesen können, sind gegen sie gefeit; die anderen aber kriegen sie alle unter, und diejenigen, die die Klügsten sein wollen, zu allererst.“

      „Mann,“ rief Günther bewundernd, „was habt Ihr für ein Gedächtnis; denn das habt Ihr doch auch wieder von dem Dichter!“

      „Nein, das habe ich vom Herrn Grafen, der manchmal eine Andacht hält, bei der ich dabei sein darf. Die meisten auf der Insel können gar nicht lesen.“

      „Auch des Grafen Tochter nicht?“

      „Klotildis? Nein, die kennt keinen Buchstaben.“

      Günther schlug die Hände zusammen.

      „Sagt einmal, Meister Kajetan, ganz im Vertrauen: ist der Graf ganz klar im Kopf?“

      Wieder fuhr Kajetan mit seiner Hand erschrocken nach dem Mund des Sprechers, der längst wieder bei ihm im Grase lag.

      „Pst! Um Gottes willen! Ihr seid ein gefährlicher Mensch. Euch erzähle ich auch nicht ein Wort!“

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