Название: Semantik für Lehrkräfte
Автор: Christian Efing
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr studienbücher
isbn: 9783823302728
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Dass man der Grammatik nicht grundsätzlich das Potenzial zuschreiben kann, Bedeutung auszudrücken, lässt sich auch am Genus-System des Deutschen zeigen: Denn das grammatische Genus ergibt sich zum Teil nicht aus dem außersprachlichen Geschlecht (Sexus), sondern aus der morphologischen Struktur des Wortes, wie das viel zitierte Beispiel das Mädchen schnell verdeutlicht, bei dem im grammatischen Neutrum (wegen des Diminutivsuffixes {chen}) auf eine weibliche Person referiert wird. (Das Basislexem Maid ist hingegen natürlich feminin.) Die grammatische Kategorie Femininum bedeutet umgekehrt keineswegs, dass das Referenzobjekt weiblich wäre (die Sonne, die im Französischen übrigens maskulinum ist: le soleil), grammatisches und natürliches/biologisches Geschlecht sind nicht kongruent. Dennoch ist die Genus/Sexus-Kongruenz in indoeuropäischen Sprachen signifikant und es gibt Versuche, die Semantik des deutschen Genussystems als ansatzweise systematisch zu beschreiben, wenn etwa im Bereich der Bezeichnungen für Tiere starke, große Tiere eher maskulinum sind (der Löwe, der Tiger, der Bär), kleine und Nutztiere hingegen femininum (die Gans, die Kuh, die Maus) oder neutrum (das Huhn, das Schwein) (vgl. Köpcke/Zubin 1997).
Grundsätzlich ist Entstehung von Bedeutung auf grammatischer Ebene ein mehrschichtiger Prozess: Die Bedeutung komplexer Ausdrücke ergibt sich nämlich durch semantische Komposition (Kompositionalitätsprinzip), die auf drei Basen beruht: „1. die lexikalische Bedeutung der Grundausdrücke, 2. die grammatische Bedeutung ihrer Form, 3. die syntaktische Struktur des komplexen Ausdrucks“ (Löbner 2003: 18). Grammatischer Aufbau und Bedeutungskomposition erfolgen dabei parallel als Bottom-up-Prozess (Abb. 230a): „Die lexikalischen Bedeutungen der Grundausdrücke dienen als Input für die Regeln der grammatischen Bedeutung, zum Beispiel Interpretation des Plurals, des Komparativs oder des Perfekts; deren Output ist wiederum Input für die semantischen Kompositionsregeln“ (ebd.: 18f.).
Grammatischer Aufbau und Bedeutungskomposition erfolgen parallel (Löbner 2003: 19)
Das Gegenteil wäre ein Top-down-Prozess, wenn ein Rezipient die Bedeutung der Wörter aus der des ganzen Satzes erschließt, was immer dann passiert, wenn man in einem gegebenen Kontext auf ein unbekanntes Wort trifft, dessen Bedeutung aber aus der Satzbedeutung erschließbar ist (ebd.: 19).
Wenn man das oben erwähnte Kompositionalitätsprinzip ernst nimmt, hieße das, dass sich die „Bedeutung eines komplexen Ausdrucks […] eindeutig aus der lexikalischen Bedeutung seiner Komponenten, aus deren grammatischer Bedeutung und aus seiner syntaktischen Struktur“ (ebd.: 20, Herv. CE) ergeben würde. Doch dies wäre eine rein innersprachliche Ausdrucksbedeutung. Durch die Situierung eines Satzes in einem konkreten Kontext entsteht über diese kompositionale Bedeutung aus semantischen und grammatischen Elementen hinaus eine situationsspezifische Äußerungsbedeutung, die sich erst im Rahmen des konkreten außersprachlichen Äußerungskontextes ergibt (ebd.: 20f.) und nur unter Rückgriff auf pragmatische Analysen beschreibbar ist.
Eine adäquate Äußerungsbedeutung kann aber sicherlich nur derjenige oder diejenige erzeugen, der/die zunächst einmal das Kompositionalitätsprinzip verstanden hat und Ausdrucksbedeutungen gezielt produzieren kann. Und hierfür ist eben ein Wissen zentral, das an der Grenze von Semantik als lexikalischer Bedeutung und Semantik als grammatisch produzierter Bedeutung angesiedelt ist. Dies verrät ein einfacher Blick in grammatische Theorien wie etwa die Valenzgrammatik, mit der zeigbar ist, dass die Syntax zu einem Großteil von Wörtern und ihrer Bedeutung abhängt: Das dreiwertige Verb geben zum Beispiel spannt so einen semantischen wie syntaktischen Rahmen auf, der einzuhalten ist, will man einen korrekten Satz artikulieren: Es müssen die drei Leerstellen gefüllt werden, wer (Nominativ) was (Akkusativ) wem (Dativ) gibt.
Siepmann (2007) plädiert in seinem fremdsprachendidaktisch ausgerichteten Beitrag dafür, wegen dieser engen Verzahnung von Grammatik und Wortschatz/Semantik beim Zweit- und Fremdsprachenlehren und -lernen stärker als bislang beide Bereiche integrativ miteinander zu vermitteln, da nicht nur Redensarten und Sprichwörter idiomatisch seien, sondern man „durchgängig in größeren idiomatischen Einheiten, die man als Kollokationen und Kolligationen (britischer Kontextualismus), Phraseme (Phraseologieforschung, Sinn-Text-Theorie Mel’cuks) oder Konstruktionen (Konstruktionsgrammatik) bezeichnen könnte“ (ebd.: 61), spreche und schreibe und Lernerinnen und Lerner demnach vorgeprägte text- und/oder kontextspezifische Muster erwerben müssten, die in unterschiedlicher Gewichtung aus lexikalischen und grammatikalischen Bestandteilen bestehen können“ (ebd.: 62).
Auch beim Erstspracherwerb erwerbe man nicht erst Wörter und dann Grammatik, sondern von Beginn an Wörter in (grammatischen) Konstruktionen („Form-Bedeutungspaaren“, idiomatischen „Ausdrucksschablonen“) (ebd.: 63f.).
Die Konsequenz daraus ist die didaktische Forderung, beim Zweit- und Fremdsprachlernen nicht das Einzelwort in den Vordergrund zu stellen, sondern regelmäßige Konstruktionen und Valenzstrukturen, also Wortschatz- und Syntaxvermittlung zu verbinden, indem Wortschatz „grundsätzlich in Einheiten oberhalb der Wortebene gelehrt“ (ebd.: 70) werde. Im Unterricht sehe das so aus, dass bei der Frage nach Übersetzungen eben immer Konstruktionen fokussiert werden müssten:
Erfragen Schüler Übersetzungen oder bietet der Lehrer diese an, so sollten sie sich immer auf Konstruktionen beziehen. Also nicht: was heißt „Voraussetzung“ auf Englisch? Sondern: Wie kann ich „Voraussetzung“ in folgendem Satz am besten wiedergeben? Gleiches gilt für Fragen zur Differenzierung von Synonymen. Die Frage sollte nicht lauten: Was ist der Unterschied zwischen learn (im Sinne von „erfahren“) und get to know, zwischen moist und damp oder zwischen mist, fog und haze? Sondern: Welche Konstruktionen gehen learn und get to know (usw.) üblicherweise ein? (ebd.: 77)
Übung 230a
Literatur
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