Название: Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel
Автор: Luzia Pfyl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Frost & Payne - Die gesamte Staffel
isbn: 9783958344112
isbn:
Sie erreichten die nächste Station, Holborn, doch Frost beschloss, weiterhin in der Tube zu bleiben. Holborn war nicht weit genug weg und außerdem viel zu nah an ihrer Wohnung. Wenigstens hatte sie einen Zug in die Innenstadt erwischt. Sie hatte nicht wirklich Lust, irgendwo oben in Camden zu landen.
Als der Zug wieder losfuhr, glaubte Frost, im Wagen hinter ihr Schreie zu hören. Vermutlich hing ein Betrunkener halb aus dem Wagen, dachte sie, doch Momente, bevor ihr Wagen in den Tunnel eintauchte und der Lärm jegliche anderen Geräusche verschluckte, glaubte sie, chinesische Worte zu hören.
Unmöglich, redete sie sich ein, ihre Verfolger hatten den Zug nicht mehr erwischt. Außerdem beherbergte London die größte chinesische Gemeinde außerhalb des Mutterlandes. Die Chance, dass diese chinesischen Worte nicht von ihren Verfolgern stammten, war durchaus groß.
Frosts Nacken begann zu kribbeln. Sie musste sich einfach umdrehen und nachsehen.
Vor Schrecken und dem harten Rütteln des Wagens wäre sie beinahe von der Bank gerutscht. Im Wagen, der direkt an den ihren anschloss, arbeiteten sich ihre vier Verfolger unsanft durch die Passagiere. Einer von ihnen hielt eine der Talglaternen in der Hand. Frost konnte mindestens zwei Revolver im Schein der Lampen funkeln sehen.
»Shit«, stieß sie zwischen den Zähnen hervor und stand auf. Um die Balance nicht zu verlieren, hielt sie sich an den Verstrebungen des Wagens fest und arbeitete sich so schnell sie konnte durch die anderen Passagiere. Ob sie in den nächsten Wagen klettern konnte? Nein, viel zu riskant. Lieber stellte sie sich den vier Männern, als dass sie sich in einem dunklen Tunnel von der Tube überrollen ließ.
Ihre vier Verfolger schien die Gefahr, zwischen die Wagen zu fallen, nicht sonderlich zu kümmern. Bang musste Frost mit ansehen, wie einer nach dem anderen über die Kupplung balancierte und dann in ihren Wagen kletterte.
Wann kam endlich die nächste Station? Oh, das würde eng werden. Sehr eng. Frost konnte das sichere Grinsen des vordersten Mannes sehr gut erkennen.
Licht flammte links von ihr auf. Frost wartete nicht, bis der Zug angehalten hatte, sondern sprang auf die Plattform und wäre beinahe der Länge nach hingefallen. Jemand packte sie am Arm.
»Weglaufen bringt nichts, Vögelchen«, schnarrte der Mann auf Chinesisch.
»Lass mich los!« Frost wand sich. In einer Eingebung holte sie mit ihrer Tasche weit aus und knallte sie dem Mann an den Kopf. Der eiserne Griff um ihren Arm löste sich, und Frost begann wieder zu rennen.
Die anderen Passagiere schauten ihr hinterher, als sie durch den Tunnel zu den Treppen rannte. Als sie endlich die obersten Stufen erreichte und hinaus ins Tageslicht stolperte, riss sie sich nach Atem ringend den Schal vom Gesicht.
Um sie herum wimmelte es von Menschen. Covent Garden war, wie jeden frühen Abend, das Zentrum des Vergnügens. Personen jeglicher Herkunft strömten durch die Gassen zu den Theatern und Cabarets, in die Restaurants, Pubs und Bordelle.
Diese vielen Menschen und die einbrechende Dunkelheit kamen wie gerufen. Frost verlor keine weitere Zeit und tauchte in der Menge unter. Im Zickzack ging sie über den Platz zur Markthalle, machte Umwege durch die Stände und durch Läden, ging den halben Weg wieder zurück und bog dann in eine andere Gasse ab. Wachsam ließ sie ihren Blick über die Gesichter der Menschen huschen, doch von ihren vier Verfolgern war nichts mehr zu sehen. Hatte sie sie abgeschüttelt?
Frost blieb stehen und lehnte sich an eine Hausmauer. Sie war völlig erschöpft. Und ihr war schweinekalt. Ihr Blick fiel auf den Pub im Haus gegenüber. Rasch schaute sie nach links und nach rechts – die Luft war rein.
Doch sie kam nicht weit. Jemand packte sie unsanft am Arm und bugsierte sie weiter in die Gasse hinein, weg von der geschäftigen Straße, weg von den Menschen.
Sie hatte sie also doch nicht abgeschüttelt. Doch es war keiner der Chinesen, dem sie nun gegenüberstand.
»Wer sind Sie? Zum Teufel, lassen Sie mich los!«
»Ich glaube, Sie haben zwei Dinge, die ich brauche«, sagte der Mann, dessen Gesicht zum größten Teil von seinem Hut bedeckt war. Frosts Instinkte schalteten sich ein. Groß, athletisch, stahlharter Griff. Brandneue Kleidung, bis auf die Stiefel, die waren abgewetzt. Die ausgebeulte Tasche seines Mantels enthielt höchst wahrscheinlich eine Waffe. Amerikanischer Akzent.
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, gab sie zurück und versuchte, ihren Arm aus seinem Griff zu befreien. »Lassen Sie mich endlich los, verdammt.«
»Sie haben ein Buch dabei, welches mein Auftraggeber gerne hätte. Geben Sie es mir.«
Oh, das war ja wunderbar. War dieser Kerl die dritte Partei, die Interesse am Folianten hatte – oder von ihr geschickt worden war? Als hätte sie nicht schon genug Probleme.
»Sie haben von zwei Dingen gesprochen«, versuchte Frost ihn abzulenken. Doch sie kam nicht an das Messer unter ihrem Mantel heran, ohne dass er es bemerkte.
»Ich will Informationen über den Russen. Sie arbeiten für ihn«, knurrte der Amerikaner.
Frost hätte beinahe laut aufgelacht. Sie soll für einen Russen arbeiten? »Freundchen, ich arbeite für niemanden.« Okay, das stimmte so nicht ganz, aber das brauchte er nicht zu wissen. »Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen.«
Sie bemerkte, wie der Mann für den Bruchteil einer Sekunde zögerte. Blitzschnell nutzte sie die Chance aus. Mit einer Drehung ihres Arms befreite sie sich endlich aus seinem harten Griff, während sie die andere Hand unter den Mantel schob und das Messer unter ihrem Korsett zu fassen bekam.
Doch der Amerikaner hatte schnelle Reflexe. Er packte sie am Handgelenk, so dass sie das Messer nicht in seinem Gesicht versenken konnte. Frost knurrte frustriert auf. Dann trat sie mit aller Kraft auf seinen Fuß. Der Mann zischte, doch er ließ ihr Handgelenk nicht los.
»Ich weiß, wer Sie sind«, brummte er. »Geben Sie mir, was ich will, und Sie können unbehelligt gehen.« Mit einem Ruck beförderte er Frost gegen die Hausmauer hinter ihr.
»Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen.« Was faselte der Kerl da? Sie kannte keinen Russen. »Wer zum Teufel sind Sie?« Sie musste ihn irgendwie ablenken, bis sie sich etwas ausgedacht hatte, um ihn loszuwerden.
»Mein Name ist Payne, und mein Auftraggeber hätte gerne sein Buch zurück.«
Frost stutzte. Payne? Dann sah sie sich sein Gesicht genauer an. Sein Hut war durch das Gerangel verrutscht. Braune Augen, braune kurze Haare, hohe Wangenknochen, eine etwas schiefe Nase, kantiges Kinn. Er kam ihr irgendwoher bekannt vor.
Natürlich! »Jackson Payne?«
Das schien den Amerikaner zu überraschen. Er blinzelte, und Frost merkte, wie der Griff um ihr Handgelenk sich kurz lockerte. Instinktiv ließ sie sich in die Knie sinken und rammte ihm ihre Schulter in den Magen. Der Mann ächzte auf und klappte regelrecht zusammen, ließ ihre Hand jedoch nicht los. Frost fluchte.
»Woher«, fing er hustend an und schaute zu ihr auf, »woher kennen Sie meinen vollen Namen? Weiß der Russe also bereits, СКАЧАТЬ