Ulrichshof. Paul Keller
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Название: Ulrichshof

Автор: Paul Keller

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711517482

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СКАЧАТЬ ein herzhafter Mann nicht gern einsam auf öder Landstrasse wandern. In dieser Zeit sterben die meisten Schwindsüchtigen; der Winter hat sie zum Sterben reif gemacht, der Frühling tötet sie mit seinem zu jähen Licht, seiner zu starken Luft. Unheimlich sind solche Nächte, fast so schlimm wie die Finsternisse, die zwischen Weihnachten und Neujahr liegen, da der wilde Jäger durch die Wälder rast, Wolkenburgen baut auf den Bergen und seine Teufelsreiter über die Welt jagen lässt auf graumähnigen Rossen mit sturmgeblähten Nüstern, das Gesicht in den Nacken gedreht, die Eisen der Pferde verkehrt auf den Hufen.

      *

      In der grossen Gesindestube von Ulrichshof sassen Knechte und Mägde. Sie besprachen die grosse Neuigkeit, dass Gustav, der Pferdeknecht, vom Markt weg verhaftet worden war.

      Die blonde Emma jammerte: „Was soll nur aus mir werden, wenn sie ihn einsperren!“

      „Nun“, sagte die alte Grossmagd Ernestine, die so hässlich war, dass ihr selbst in ihren besten Jugendjahren kein Bursch nachgestellt hatte, giftig, „das Geld für die Kinderwäsche, für den Jungfernkranz und den Brautschleier hat dir ja Gustav ganz solide und reichlich zusammengeklaut.“

      Die jüngeren Knechte und Mägde lachten.

      „Pst!“ sagte Anselm, der älteste Knecht, der unverheiratet und klug war, „pst, keine versteckten Andeutungen, denn mir passt so was nicht. Erst hat der Reiche dem Armen alles genommen und wurde König, und jetzt nimmt der Arme dem Reichen manchmal eine Kleinigkeit und wird ein Gefängnisbrummer. Das nennt sich der Lauf der Welt. Seht, seht unseren Vogt! Der war unsere Obrigkeit, unser Aufseher. Der hat den Gottlieb Kärgel aus dem Hofe gebracht, weil er sich drei Zentner Gerste auf die Seite gebracht hatte, er brauchte die Gerste, es kann auch Weizen gewesen sein, für seine Hühner, und ich glaube für seinen Kanarienvogel als Futter, und seine Frau ass gern Mohnklösse. Fortgejagt ist er worden, und den Weizen hat er bezahlen müssen zum Marktpreise; nicht einmal Prozente haben sie ihm, dem langjährigen treuen Arbeiter, gegeben, sondern ihm einfach das volle Geld abgeknöppt. So ist die Welt! Und denkt ihr noch an den Robert, der unsere Schweinezucht unter sich hatte? Ist „Schweineinspektor“ vielleicht ein schöner Posten? Wer das glaubt, stecke nur mal die Nase in so einen Koben und hör sich die Musik an, die da herauskommt. Ist es zuviel, wenn so ein braver Mann wie Robert vom Schlächter, der die fetteste Sau kauft, sieben Taler „Rüsselgeld“ annimmt, die der Schlächter vom Kaufpreis abzieht, und davon gegen die Hoheit nicht erst gross was dahinerzählt wird? Alles hat der Vogt geklatscht. Oh, der verstorbene, selige Schuft, der! Sogar die Emilie hat er rausgebracht, weil die gern etwas Kristallzucker aus der Küche ass! Und nun — nun — wo sitzt der Vogt? Drüben — im anderen Lande! Wahrscheinlich sitzt er in einer greulichen Klemme. Die Hoheit hat mit ihm gesprochen.“

      Ein Sturmstoss liess die Fenster klirren.

      „Wer kann mit Toten sprechen?“

      Ein neuer furchtbarer Windstoss. Ein Donnerschlag! Anselm und die Grossmagd, die katholisch waren, bekreuzigten sich, die Evangelischen pressten die Hände auf die Brust und senkten den Kopf, wie Evangelische tun, wenn sie in der Kirche das erste Gebet sprechen; ein paar Ungläubige zeigten sich forsch und lächelten verzerrt. Der forscheste schlich gleich darauf nach der „Toilette“, dem verschwiegenen Örtchen, das den vornehmen französischen Namen führte, weil es auf fürstlichem Gebiete lag.

      Allen diesen Leuten war durchaus nicht wohl in dieser schwarzen Sturmnacht. Die alte Hoheit war ihnen unheimlich. Wer spricht mit Toten? Sie hatte mit dem Vogt gesprochen, und der hatte von drüben her den Gustav angezeigt, wie er all sein Leben lang seine Genossen verpetzt hatte.

      Eine Magd sagte, da sei sicher der Teufel im Spiele. Der Vogt werde in der Hölle sein. Anselm verwies ihr das; er sagte, über die Hoheit möge jedes seine Meinung haben, aber von einem Toten zu sagen, er werde in der Hölle sein, das sei eine grosse Sünde, das sei schlimmer, als wenn man dem Toten das Leben abspräche. Ein Kuhjunge lachte über diesen Ausspruch. Anselm stand langsam auf, ging zu dem Kuhjungen hin und gab ihm eine grosse Ohrfeige; dann setzte er sich still und beschaulich wieder auf seinen Platz.

      „Warum nur der tote Vogt gesagt hat, dass er selber Hühner gestohlen hat.“

      Der weise Anselm antwortete: „Eben, weil er tot ist, kann er es sagen. Ein Toter kann jedem Gericht der Welt den Marsch blasen, und drüben braucht er nichts zu verschweigen, denn dort wissen sie ja sowieso alles. Vielleicht hat er auch die Alte ärgern und foppen wollen, weil sie ihm beim Tode einen Nachruf hat ins Kreisblatt setzen lassen: ‚Wohlan, du guter und getreuer Knecht, weil du über weniges getreu gewesen bist, will ich dich über vieles setzen; gehe ein in die Freuden deines Herrn!‘ Das stand über den Vogt im Kreisblatt. Jetzt hat sie den Salat! Ja, ja, beim Tode der Menschen werden die schönsten Bibelsprüche missbraucht und die ärgsten Gauner gelobt. Der Tod ist der gewaltigste Schönfärber.“

      Einer, der im Verdachte stand, Sozialdemokrat zu sein, sagte:

      „Wir sollten in dem Nachruf einen Anreiz haben. Seht, wenn ihr euch auch einmal zu Tode geschuftet habt, steht über euch auch so was Schönes im Kreisblatt. Haha! Was man schon davon hat!“

      Anselm, der politisch rechts orientiert war, sagte:

      „Ich habe noch keinen Dominialarbeiter gesehen, der sich zu Tode geschuftet hätte. Solche Exemplare von Menschen gibt es gar nicht.“

      Er will jetzt selber Vogt werden, dachten die anderen und schwiegen. Um Gustav tat es allen leid, denn was Ehrlichkeit anlangt, hatte keines der Anwesenden ein ganz sauberes Gewissen, nicht einmal Anselm. Er wilderte. Er entschuldigte das vor seinem sonst sehr zarten Gewissen damit, dass seine Ahnen aus Kärnten stammten. Er kannte eine kleine Geschichte, dass einmal ein Bischof von Kärnten auf einer Hirtenreise einen Bauern fragte, ob denn in seiner Gemeinde auch stark gewildert werde, und dass der Bauer geantwortet habe: „Och, g’sessen ham mer alle schon oft, bloss den Herrn Pfarrer haben’s noch net verwischt.“ Die Kärntner müssen wildern, wie die Fische schwimmen müssen. Das ist nicht anders.

      Gustav ist ziemlich bald darauf zu sechs Wochen Gefängnis mit Bewährungsfrist verurteilt worden. Hoheit nahm ihn aber nicht wieder in Dienst, und auf den anderen Höfen, wo er sich um eine Knechtstelle bewarb, sagte man ihm, er möchte sich lieber wo anders „bewähren“. Da musste Gustav in die Fremde auswandern; erst dreissig Kilometer von Ulrichshof entfernt fand er wieder eine Anstellung. Er liess seine Emma nachkommen, sie feierten der Einfachheit und Billigkeit wegen Hochzeit und Kindtaufe in einem und lebten herrlich und in Freuden, wie Emma schrieb, da sich Gustav auf seinem neuen Posten, der ein Vertrauensposten sei, wesentlich „verbessert“ habe. Das wirkte aneifernd auf den neuen Marktknecht vom Ulrichshofe, der nun seinerseits die Hühner stahl, dabei hoffend, dass es ihm auch einmal gelingen werde, zu einem so guten Endresultate zu kommen wie Gustav. —

      Der Sturm tobte weiter. Ein schwerer Knall erschütterte die Stube. Kreideweiss erschien der junge Ungläubige, der draussen gewesen war, und meldete, er sei beinahe erschlagen worden; von der Heuscheuer, in der ja auch die „Toilette“ untergebracht war, sei soeben das halbe Dach abgerissen worden, direkt über seiner harmlosen und ungeschützten Figur.

      Ein neuer Knall.

      „Das ist die andere Hälfte des Daches“, bemerkte Anselm erläuternd. Er zuckte die Achseln. Was war solchen Naturgewalten gegenüber zu tun? Wenn die Hoheit ein Mittel hatte, den Sturm zu beschwören, mochte sie es anwenden. Sie selbst konnten nichts tun, als abwarten, ob vielleicht auch noch die anderen Dächer abgedeckt werden würden.

      Der Sozialdemokrat sagte: „Die Dachdecker wollen auch leben.“

      „Nein“, verwies Anselm. „Hoheit kann einem leid tun. Was das wieder für Kosten macht! Rittergutsbesitzer СКАЧАТЬ