Ulrichshof. Paul Keller
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Название: Ulrichshof

Автор: Paul Keller

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711517482

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СКАЧАТЬ würden so zu nächtlicher Zeit auf dem Kirchhof, wenn der Wind über die Gräber ging und die Pappeln so schaurig rauschten und die Grabkreuze und grauen Marmorsteine alle Geistermäntel umhatten? Nein, die fürchteten sich nicht, denn sie waren schon in Obersekunda.

      Und dann — warum sollten sie sich fürchten; sie waren ja bei der Mutter. Bei der Mutter konnte sich niemand fürchten, denn sie war wie ein Engel Gottes. Brigitte fürchtete sich auch nicht, in diesen grossen, alten Schlossräumen allein zu sein. Sogar vor der geputzten Ahnfrau mit den strengen Augen, deren grosses Bild im Musikzimmer hing, fürchtete sie sich nicht, obwohl diese Ahnfrau Hofdame bei der gewaltigen Kaiserin Theresia gewesen war. Sie fürchtete sich nicht, in dem Bette zu schlafen, in dem ihre Mutter gestorben war. Nein, nein, es war ihr ja das liebste Bett der Welt. Wie oft war sie aus ihrem Kinderbettchen herausgeklettert und hatte sich zur Mutter gelegt in dieses Bett. Jetzt träumte sie manchmal, die Mutter käme ganz leise herein und huschte zu ihr unter die Decke.

      Da hing wirklich das Gedicht, von dem Tobias auf dem Kirchhof gesprochen hatte, in zierlicher Rundschrift geschrieben und schön eingerahmt. Der gute Toby! Woher er nur das Gedicht hatte!

      „Es fiel einmal ein Kinderherz

      Ins Gras . . .“

      Woher er das nur hatte? Sie wird das Gedicht zwei- oder dreimal lesen, und dann wird sie es im Herzen und in der Seele haben als einen schönen Trost.

      *

      Es klopfte deutlich an die Tür. Tobias war’s. Er schaltete rasch einige Lampen ein.

      „Musst nicht so im Dämmern sitzen, Brigittchen! Seit wir auf dem Gute die eigene Wasserkraft ausnützen und die Turbinen haben, kommt es gar nicht darauf an, wieviel Lampen brennen.“

      „Es ist ganz schön im Dämmerlichte, ich fürchte mich nicht.“

      „Ja, ja, aber der Mensch ist ein Kind des Lichtes, Finsternis taugt nichts für ihn. ‚Die Nacht ist keines Menschen Freund‘, steht geschrieben. Hast du das Gedicht bei deinem Bette gefunden?“

      Das Mädel eilte auf den Lehnstuhl zu, in dem Tobias sass, fasste ihn um den Hals und gab ihm einen herzhaften Kuss auf den Mund.

      „Nun, nun“, sagte Tobias verlegen, „soviel ist das nicht wert! Aber wenn dir die paar Verse was nützen, will ich darüber froh sein.“

      „Wo hast du denn das schöne Gedicht her?“

      Tobias wurde noch verlegener.

      „Ach, halt irgendwoher! Das tut nichts zur Sache. Um auf etwas Wichtiges zu kommen, Brigittchen: als ich heute nachmittag in deiner Schlafstube das gerahmte Gedicht anmachte, sah ich einen schwarzen Vorhang vor der Tür, die früher aus dem Schlafzimmer deines Vaters in das Schlafzimmer deiner Mutter führte. Wie kommt der Vorhang dorthin? Wer hat ihn angebracht?“

      „Julius“, murmelte das Mädchen.

      „Das dachte ich mir“, sagte Tobias. „Warum schwarz?“

      „Ich wollte einen grünen, aber Julius wurde wieder wild, er sagte, es müsse ein schwarzer Vorhang sein. Da gab ich ihm die Hälfte des Preises von meinem ersparten Taschengelde, Heinrich Martin wollte auch beisteuern, aber Julius sagte, nein, das ginge ihn nichts an. Dann hat Julius den Vorhang in der Stadt gekauft und ihn mit Heinrich Martin angemacht in meiner Schlafstube, und ich habe nichts dagegen sagen dürfen.“

      Ein Diener erschien und sagte, Hoheit wolle Herrn Julius, das gnädige Fräulein und Herrn Doktor sprechen. Herr Julius aber sei nirgends zu finden.

      „Er ist nach der Stadt“, gab Tobias Bescheid.

      „Komm mit zu Grossmama, Brigitte!“

      2. Kapitel

      Hoheit und ihre Enkel

      Die Besitzerin des Gutes Ulrichshof liess sich „Hoheit“ titulieren, nicht nach ihrem verstorbenen Gemahl „Exzellenz“. Denn ob diese Dame auch gutwillig, ja begeistert die Frau eines Mannes vom Kleinadel geworden war, so vergass sie doch nie auf ihre fürstliche Abstammung und hatte diesen „Abstand“ auch den Gatten manchmal fühlen lassen. Hoheit war von schlankem, grossem Wuchse und hatte trotz ihrer fünfundsechzig Jahre noch immer ein ziemlich faltenloses Gesicht. Das tägliche Bad, der Reitsport, vernünftiges Masshalten in Essen und Trinken und geeignete Massage hatten ihre Haut bei guter Durchblutung gehalten, und bei guter Durchblutung der Haut kommen Fettansatz oder Runzeln nicht leicht auf.

      Körperliche Trägheit macht rasch alt, geistige auch, zum ganz Altwerden gehört eine gewisse Portion Trägheit und Dummheit; zahlreiche Ausnahmen erhärten diese Regel. Hoheit übernahm sich nie an schwerer geistiger Kost, sie las am liebsten leichte Romane in deutscher oder französischer Sprache. Philosophischen, politischen oder religiösen Auseinandersetzungen war sie abhold. Mit dem Christentum stand Hoheit nur soweit in Verbindung, wie das „offiziell“ von einer Standesdame verlangt wird. Dagegen beschäftigte sich die hohe Dame viel mit Geheimkünsten: mit Kartenlegen, Handlesekunst und mit Spiritismus. Sie war Mitglied eines spiritistischen Zirkels in der nicht weit entfernten Hauptstadt. Einmal hatte Hoheit den Geist Napoleons des Ersten zitiert. Napoleon hatte ihr mit der unverschämten Phrase geantwortet, die er für alle Frauenspersonen hatte, die sich ihm in seinen Privatgemächern aufdrängten, mit einer Phrase, die in anständiger Gesellschaft nicht wiedergegeben werden kann. Wochenlang hatte Hoheit an einem Nervenchok gelitten. Dieser Napoleon blieb auch nach dem Tode noch ein Unflat. Auch mit Goethe hatte Hoheit kein Glück gehabt; er hatte ihr nur zwei Worte geantwortet: „Mehr Licht!“, und Friedrich der Grosse hatte grob gepoltert: „Gehe Sie schlafen, Sie alte Schachtel!“ Daraufhin hatte die Leiterin dieser Sitzungen gesagt: Hoheit solle sich nur trösten, weder Napoleon, noch Goethe, noch Friedrich der Grosse hätten persönlich geantwortet, das seien Koboldereien untergeordneter Geister, die eine Freude daran hätten, die Sitzungen zu stören, die Menschen zu äffen. Die drei zitierten Herren seien auch durch die tausenderlei Seancen, die in jeder Nacht auf Erden veranstaltet würden, so in Anspruch genommen, dass sie nicht immer antworten und ihre elysische Ruhe unterbrechen könnten, wennschon sie — die Leiterin — gehofft habe, sie würden in diesem Falle, da es sich um eine gebürtige Prinzessin handele, eine Ausnahme machen.

      Lange Zeit hatte Hoheit versucht, eine Verbindung mit ihrem verstorbenen Gemahl zu bekommen; es war nicht gelungen, keine Antwort kam. Da hatte bei einem abermaligen vergeblichen Versuche ein Gast einem anderen zugeflüstert: „Vielleicht ist er in der Hölle, da kann er nicht antworten.“ Hoheit hatte einen Ohnmachtsanfall erlitten, denn obgleich sie nicht wusste, ob sie an die Existenz einer Hölle glaube, fürchtete sie sich doch insgeheim ganz schrecklich vor ihr. Einen einzigen Erfolg hatte Hoheit in den spiritistischen Sitzungen erzielt. Sie hatte einen verstorbenen Arbeitsaufseher, der zu Lebzeiten „Vogt“ genannt worden war, befragt, ob er denn nicht wisse, wer ihr seit einem Jahrzehnte die Gänse und Hühner stehle. Ja, hatte der Geist geantwortet, das wisse er. Zu Lebzeiten hätte er sie selber gestohlen, zusammen mit Gustav, dem Pferdeknechte, der die Marktfuhren besorge; nun er tot sei, werde Gustav wohl das Geschäft selbständig weiterführen.

      Diese Botschaft aus dem Jenseits erwies sich als richtig; am nächsten Markttage konnte Gustav in der Stadt mit gestohlenem Federvieh festgenommen werden.

      *

      Hoheit hatte eben eine „Patience“ beendet, die zweiundfünfzig Whistkarten lagen noch auf dem Tisch, als Doktor Tobias mit Brigitte eintrat.

      „Hoheit haben befohlen —“

      „Ja! СКАЧАТЬ