Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman. Franz Werfel
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Название: Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman

Автор: Franz Werfel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726482362

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СКАЧАТЬ mittelmäßig ehrenvolle Auszeichnung an meiner Brust. Der Staat, der sie mir verliehen hatte, wurde drei Wochen darauf von der Weltgeschichte bis auf weiteres kassiert. Es ist ein böses Omen. Man soll unzuverlässige Leute, die auf so imaginären Gebieten arbeiten wie ich, nicht durch Orden und Ehrenzeichen hervorheben wie verläßliche Beamte, Politiker und Kommerzianten. Gewandtheit im schriftlichen Ausdruck ist eine Gabe, aber keine Leistung, und noch viel weniger eine Tugend.“

      Man schalt meinen Aberglauben und beruhigte mich allen Ernstes. Jedes Kind wisse, daß die geeinigte Menschheit sich im Gleichgewicht befinde, welches nur durch eine kosmische Katastrophe aufgehoben werden könnte. Da fragte ich, ohne einen Seufzer zu unterdrücken:

      „Befindet sich der Regierungspalast in der Nähe? Werde ich Gelegenheit haben, mir die Hände zu waschen, ehe ich vor Seiner Exzellenz erscheine?“

      B.H. sah mich ziemlich verstört an. Es tat mir leid, daß ich ihn immer wieder blamierte.

      „Regierungspalast“, schüttelte er den Kopf. „Der Welthausmeier wohnt im Schilderhaus!“

      Nein, der Amtssitz des Erdballpräsidenten oder Geoarchonten war mehr als ein Schilderhaus. Es war eine Art von Wachtstube in einer grobgezimmerten Baracke, die an militärische Ubikationen gemahnte, wie ich sie seinerzeit, das heißt meinerzeit, gut gekannt habe. Nur der Farbanstrich in hellgrünen und hellblauen Streifen mochte in der verschütteten Erinnerung des Wiedergeborenen das Wort „Schilderhaus“ heraufbeschworen haben, worunter man jene runden oder viereckigen hölzernen oder steinernen Kästen versteht, die dem auf und ab schreitenden Schildoder Wachtposten Schutz während eines Unwetters bieten sollen. Des Welthausmeiers Schilderhaus lag am nördlichen Hochrande der Waagschale im Kranz der mir noch immer unverständlichen Architektur, deren Symbole und Ornamente weit massiver die Erdoberfläche überragten, als es von der Mitte des Geodroms den Anschein gehabt hatte. Verglichen mit diesen Architekturen stach die absichtliche, ja übertriebene Niedrigkeit und Nichtigkeit des höchsten Amtssitzes mir ins Auge. Es war beinahe ein Trost zu denken, daß vermutlich auch der Erdballpräsident dieses Zeitalters in den luft- und lichtreichen Labyrinthen unter der Erde seine geräumig prächtige Dienstwohnung innehabe. Gleich hinter der ungehobelten Wachtbaracke oder, um bei dem falschen, aber merkwürdigeren Begriff zu bleiben, gleich hinter dem Schilderhaus des Geoarchonten wölbte sich eine weite, hohe Kuppel aus durchsichtigem Material, so daß man in das Innere dieses opalisierenden Kuppelraumes blicken konnte. Dort lagen auf Strecksesseln mit einander zugekehrten Fußenden, die einen Kreis bildeten, etwa dreißig regungslose Persönlichkeiten, die entweder wirklich schlummerten oder im Halbschlafe eine gesundheitsfördernde Bestrahlungskur durchzumachen schienen.

      „Ein Sanatorium?“ fragte ich B.H.

      Er schüttelte lächelnd den Kopf:

      „Ganz im Gegenteil, mein Lieber; es sind die Zusammenstimmer.“

      „Wahrscheinlich Staatsbeamte, Verzeihung: Weltbeamte, die Feierabend machen?“

      „Die wichtigsten Weltbeamten sogar, F.W. Vielleicht wird dir das ungebräuchlichere Wort mehr sagen. Es sind die Symphronisten oder Zusammenstimmer. Sie stimmen im Geiste die scharf eingestellten Wünsche zusammen und halten dadurch die Ordnung im Reiseverkehr aufrecht. Es ist keine Kleinigkeit, das kannst du dir wohl denken, etwa tausend Reisen in der Minute zusammenzustimmen, denn viele Leute bewegen gleichzeitig dasselbe Ziel auf sich zu. Daß es zu keinen Zusammenstößen kommt, dazu ist schon wirklich eine höhere Mathematik vonnöten . . .“

      Obwohl die Spiegelfläche des Erdbodens nur in einem ganz schwachen Winkel nach oben anstieg, mußten wir uns vor dem Schilderhaus des Geoarchonten doch wie richtige Eisläufer in Schleifen und Bögen umeinander bewegen, damit wir vom Rande der Waagschale nicht wieder hinabglitten, dem Denkmal des Letzten Krieges entgegen. Die Menschenmauer hielt ziemlich weiten Abstand von unserer Hausgruppe, die sich nun um den Fremdenführer dieses Zeitalters und zwei oder drei Komiteemitglieder vermehrt hatte. Was mir als dem Kinde meiner Zeit sofort als sehr bedenklich auffiel, war der Umstand, daß des Erdballpräsidenten lächerliches Schilderhaus völlig unbewacht und ungesichert war. Weit stand die gestreifte Tür offen. Kein Leibgardist, kein Wachtposten, kein Detektiv, kein Schutzmann, kein Konfident, ja nicht einmal ein ordinärer Portier hätte einem präsumtiven Attentäter den Eingang verwehrt. Das Metier des Welthausmeiers schien demnach weder sehr beneidet noch auch umworben zu sein. Ich versuchte, auf meinen Schlittschuhen immer in B.H.s Nähe zu bleiben.

      „Wie ist der Name seiner Exzellenz, des gegenwärtigen Geoarchonten?“ fragte ich.

      „Er hat keinen Namen“, erwiderte B.H. leise.

      „Ich meine, wie er wirklich heißt, wie er bürgerlich heißt . . .“

      „Der Welthausmeier heißt überhaupt nicht. Weder wirklich noch bürgerlich. Bei der Investitur wird sein Name feierlich aus allen Dokumenten gelöscht. Sogar sein ,Io’ hat er aufzuopfern.“

      „Das muß aber sehr unangenehm sein“, entfuhr es mir.

      Der Hausweise, der meinen Ausruf gehört hatte, blieb dicht vor mir stehen:

      „Es gehört zu meinen Pflichten, Seigneur, Ihnen einen Abriß der Konstitution zu geben . . .“

      Er kam nicht weiter. Denn schon hatte ihn der jach heranstürmende Wortführer unterbrochen (welche Geschmeidigkeit im hohen Alter):

      „Ihre Pflicht ist die reine Spekulation, sonst nichts. Des Wortführers Pflicht hingegen ist die Darstellung der Dinge in Schrift und Rede . . .“

      „Nicht des Wortführers Pflicht, der nur ein Hausredner ist“, ertönte die heisere Oratorenstimme des Fremdenführers dieses Zeitalters, der plötzlich alle hoch überragte und genau so aussah wie eine unvergessene Lesebekanntschaft meiner Knabenzeit, ich meine den ägyptischen Isispriester Arbaces aus Bulwers „Letzten Tagen von Pompeji“.

      „Wessen Pflicht ist es, einen Fremden zu führen, der nicht nur einen Hausbesuch macht, sondern einen Weltbesuch?“

      Alle schwiegen beschämt. Die Autorität dieses hohen Bürokraten zu bestreiten, wagte niemand.

      „Die Wahl des planetaren Archonten“, begann der Fremdenführer trocken und doch auch hoheitsvoll, „erfolgt kraft unserer Verfassung auf dem Wege des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechtes . . .“

      Der genannte Begriff, „Allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht“ klang meinen Ohren wohlvertraut, ja ich muß gestehen, allzu wohlvertraut. Die politischen Reden und Zeitungen meiner eigenen Jugendzeit waren von ihm erfüllt gewesen, und die Öffentlichkeit meines Heimatreiches hatte ihn hoch gefeiert, als er eines Tages, das alte Klassenrecht ablösend, zum Gesetz erhoben wurde. Wir freilich, die Studenten jener so ruhigen Zeit, jenes Weekends der Weltgeschichte vor 1914, ich verstehe darunter B.H., mich und alle unsre Freunde, hatten uns recht wenig um Politik und Politiker gekümmert, die uns allesamt als Vertreter der niedrigen, bierigen Unbildung und Geistlosigkeit verächtlich waren. Wir selbst waren das, was jene bierbäuchigen Politiker ihrerseits wiederum mit Verachtung „weltfremde Ästheten“ nannten. Wir waren’s in der festen Überzeugung, hoch über der gewöhnlichen Menschheit zu schweben, weil wir Gedichte für wichtiger hielten als Lohnkämpfe in der Industrie, als Zollgrenzen und die Sprachenfrage in nationalen Streitgebieten. Als nach dem Weekend der Weltgeschichte ihr blutiger Wochentag wieder anbrach, sollten wir nur allzubald eines Besseren belehrt werden. Als ich aber jetzt, unzählige Jahrhunderte nach jenen verrauschten Kämpfen um die Demokratie, welche immer wieder verloren und immer wieder gewonnen wurden, aus dem Munde des Fremdenführers die altvergilbte und vorvergangene Wortfolge hörte: „Allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahlrecht“, СКАЧАТЬ