Название: Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman
Автор: Franz Werfel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788726482362
isbn:
„Ich will ganz genau und ganz offen sein, mein lieber F.W.“, lächelte der Wiedergeborene jetzt. „Manchmal spielen wir Kaufen und Verkaufen . . .“
„Aha, ich verstehe, wie man Roulette spielt oder Baccarat oder Poker . . .“
„Im Spiel ist alles erlaubt“, verkündete B.H. „Spiel ist die wiederhergestellte verantwortungsarme Zeitdimension der Kindheit . . .“
„Sehr richtig“, mischte sich unser Abbé, der Wortführer, ins Gespräch, „Spiel ist die wiederhergestellte, schier ewige Zeitdimension der Kindheit. Doch nur das echte Spiel, das gewissermaßen sinnlos vor sich hinlallt, das nichts anderes ist als die träumerische Hingabe von Leib und Seele an die elementaren Kräfte, die uns umwogen. Gewinnspiel aber und Wettspiel haben nichts mit dem echten Spiel zu tun . . .“
„Und doch ist mir Kaufen und Verkaufen das liebste Spiel“, sagte Bräutigam Io-Do trotzig, und er fügte hinzu: „Ich würde sofort zehn Fernschattenzertrümmerer für eine mittlere Pulverflinte in Tausch geben.“
„Da sehen Sie nur unsre eheschließende Jugend“, schüttelte der Wortführer sein Haupt, worauf er den stark verrutschten silbernen Kopfaufsatz geraderücken mußte. Plötzlich aber deutete er mit ausgestrecktem Arm gen Himmel: „Was wollen Sie von der Jugend, da selbst die Weltallsweisen und Lebensgelehrten Wettspiele aufführen?“ Auf der schwarzen Schultafel des Firmaments waren jetzt neue Sternen-Schlagzeilen aufgesprungen. Sie lauteten:
„Größte Streitfrage aller Zeiten. — Match zwischen Professor Io-Sum und Professor Io-Clap wird fortgesetzt. — Kann Existenz Gottes zureichend bewiesen werden? — Heutiger Stand des Wettspiels: Fünfzehn Punkte gegen siebzehn Punkte für Professor Io-Clap.“
Ich muß dem Leser ein Geständnis machen: Das Wort „Professor“ leuchtete am Himmelsgewölbe nicht auf, sondern etwas, was dem griechischen Ausdruck „Sophistes“ ähnlich sah und nahekam. Ich habe von der Monolingua nichts behalten als die merkwürdige zirpende und zwitschernde Lautbildung, die ich schon einmal mit dem Aztekischen verglich und die Erinnerung an eine Menge griechischer Fremdund Lehnworte, mit denen die Zeitgenossen seltsam genug viele ihrer Einrichtungen bezeichneten. Das Griechische, zum Teil auch das Lateinische und Hebräische hatte sich als Gelehrten- und Theologensprache durch die Jahrzehntausende fortgeerbt wie die christkatholische Kirche (vielleicht sogar durch sie) und jene andere Erscheinung aus der Urzeit, die noch zur rechten Zeit in meiner Erzählung auftauchen wird. Also von „Professor“ war keine Rede, sondern etwa von „Sophistes Io-Sum“ und von „Sophistes Io-Clap“. Da aber das Wort Sophist bei uns einen absprechenden Beiklang hat, habe ich mich in frecher Übersetzerart entschlossen, es mit unserm bewährten „Professor“ zu übertragen.
„Wie findest du das?“ sah mich B.H. forschend an.
„Es ist gewiß die größte Streitfrage aller Zeiten“, entgegnete ich höflich, „doch auch die älteste, was die Formel schon besagt. Ich könnte jeden Betrag wetten — oh, ich bitte um Verzeihung, man wettet ja nicht — daß ich nichts mir Unbekanntes darüber zu lesen bekommen werde.“
B.H. war ziemlich pikiert im Namen seiner Zeitgenossen. Er wandte sich mir voll zu:
„Beweist es nicht einen beträchtlichen geistigen Fortschritt, daß man in dieser Stunde rund um den ganzen Erdball der großen Menge dieses Match bietet anstatt wie in der Vorzeit ein Baseballspiel, eine Radiotie oder eine Nuditätenrevue? . . .“
„Nuditäten sind ja ziemlich überflüssig geworden“, sagte ich einfach.
Diese sarkastische Antwort konnte meinen Freund nicht mehr treffen, denn alle wandten den Blick jetzt zum schwarzen Brett der Himmelszeitung, auf welcher die Sternschrift wieder zusammenzuhüpfen begann. Sie glich, ins Kosmisch-Erhabene gesteigert, den Lauftiteln zur Zeit des stummen Kinos oder den aufleuchtenden und verlöschenden Neonreklamen an den Häuserfronten der großen Boulevards unsrer Metropolen:
„Professor Io-Clap siebzehn Punkte. — Professor Io-Sum fünfzehn Punkte. — Professor Io-Sum kommt zum Zug. — Er hat in unermüdlicher Tagesarbeit von vollen zwanzig Minuten seinen Gedanken in achtundfünfzig Worte konzentriert. — Achtung! Achtung! Es folgen die achtundfünfzig Worte Professor Io-Sums . . .“
Die himmlische Schultafel wurde für eine halbe Minute schwarz, sogar beträchtlich schwärzer als vorher, dann begannen die Sternlein wieder zusammenzuhüpfen, um der Lehrmeinung des Sophistes Io-Sum über die größte Streitfrage aller Zeiten zur Schrift zu dienen, die ich hier übermittle:
„Die menschliche Sprache, selbst unsre Monolingua, ist nur ein Geschöpf des Geschöpfes. Das Geschöpf des Geschöpfes kann nur das Geschöpf beweisen, nicht aber den Schöpfer. Das Geschöpf hingegen, vorzüglich der Mensch, ist die Sprache des Schöpfers. Der Schöpfer beweist durch diese Sprache hindurch seine Haupteigenschaft, die Allgüte, indem trotz allem jedes Geschöpf lieber ist als nicht ist.“
Bravo, bravo, alter Schlaumeier, Sophistes und Professor Io-Sum, das haben Sie recht hübsch auf der Drehbank der Monolingua gedrechselt in den zwanzig Miuten ihrer unermüdlichen Tagesarbeit! Welch ein Fleiß für die zarte Konstitution des modernen Denkers, dachte ich amüsiert in mich hinein. Es ist ein wackerer Aphorismus, mehr literarisch zwar als professoral oder gar aus Glaubensdemut erflossen. Der Gedanke spielt mit seinen achtundfünfzig Worten und hüllt sie in den gehörigen wolkigen Dunst, wie es sich für solche Themata gehört. Nehme ich aber den Gedanken selbst aufs Korn, so begrüße ich einen meiner ganz alten Bekannten oder mindestens jemand, der einem dieser ganz alten Bekannten sehr ähnlich sieht. Es sind übrigens zwei Gedanken, recht pfiffig gemixt. Das Geschöpf ist die Sprache des Schöpfers. Solche Einfälle hat unsereins mit neunzehn Jahren recht verschämt aufs Papier geworfen. Kommt alles aus dem Prolog des Vierten Evangeliums: „Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott . . .“ usw. — Der zweite Gedanke aber ist erst der eigentliche: Gott beweist sich in seiner Güte dadurch, daß wir, die Geschöpfe, lieber sind als nicht sind, trotz allem. Also sie verfügen auch über ein „trotz allem“, meine werten Ios beiderlei Geschlechts? Ewige Jugend oder Alterslosigkeit, eine Lebensdauer bis an die Grenze der Sättigung, ja des Überdrusses, Sicherheit und Sorglosigkeit auf jedem Daseinsgebiet, kein Krieg, keine Arbeit, die ganze Produktion der Güter besorgt ein prächtiger Arbeiter mit vermutlich blondem Vollbart und liefert sie jedem ins Haus; Spiel ist das Hochziel des Menschen, und zwar lallendes Kinderspiel, bewußtlos entspanntes Anheimgegebensein den Weltkräften, während ein bißchen Glücksspiel oder Wettspiel fast schon unerlaubte Friktionen und Übertretungen sind. Und am Ende gar, da doch auch dieses mentale Schlaraffenleben ein Ende nehmen muß, da ahne ich einen ganz und gar wundervollen Trick, das weitaus interessanteste Detail meines hiesigen Aufenthalts, in das eingeweiht zu werden mir noch bevorsteht. Und doch, auch hier dieses „trotz allem“, das vielleicht gar nicht so sehr verschieden ist von jenem ruhmreichen „trotz allem“, aus dem Roms Sklaven und Märtyrer die christliche Kirche gemauert haben. Wer weiß, wer weiß . . . Neugierig bin ich jedenfalls auf Sophistes Io-Claps Gegenzug.
Ein braunes Gemurmel rundum rauschte mir brandungsgleich ins Ohr und unterbrach meine Überlegungen. Die Menschenmenge auf der zentralen Plaza mochte sich inzwischen verfünffacht haben. Wahrscheinlich fanden sich allabendlich auf der Riesenwaagschale dieser Agora Zehntausende zusammen, um sich im bläulich schwarz-weißen, aber sonst beinahe taghellen Sternlicht zu ergehen, die Himmelszeitung zu lesen und ihre Meinungen über die verschiedenen mentalen Matches auszutauschen. Hunderte von Gruppen fanden sich zusammen, auf ihren Schlittschuhen schwungvolle Schleifen beschreibend.
Überall schwebten die Gestalten in ihren matten Changeant-Schleierraffungen durcheinander. Die goldenen und silbernen Kopfaufsätze СКАЧАТЬ