Название: Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman
Автор: Franz Werfel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788726482362
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Während all diese Widersprüche mein trotz aller Strapazen überklares Hirn durchzuckten, das unbeschadet so langer trainingsloser Nicht-Existenz sich den enormen Anforderungen dieses Tages nicht minder gewachsen zeigte als mein Körper, flogen wir, unsere Hausgruppe und ich, kreuz und quer durch die applaudierende und schleierschwenkende Menge über die zentrale Plaza. Ich nahm gleichsam auf diese Weise dem fremden Zeitalter die Parade ab, ähnlich wie einst hohe Staatsbesuche es gemacht hatten, Könige, Präsidenten, Prinzen, Marschälle, Premierminister, wenn sie an der Spitze ihrer Eskorte die Ehrenkompanien abschritten oder abritten. Am meisten schien meinen Erfolg Bräutigam Io-Do zu genießen, der schließlich die unmittelbare Ursache dieses Erfolgs war und ihn auf das Konto seines großen Lebensfestes setzen konnte. Zeremonienmeister aber war diesmal nicht der Wortführer, der sich noch immer verschnupft zeigte, weil ich in meinem Verdikt dem Skeptizismus und Agnostizismus ein Schnippchen geschlagen hatte, sondern der Beständige Gast, ich meine jenen, welcher in seiner plastisch silbernen Allongeperücke einem barocken Serenissimus glich. Jetzt sauste er an der Spitze unseres Trupps. Hie und da hob er die Hand, dann mußten wir unsern Hui unterbrechen. Sofort wurden wir von Neugierigen umrundet. Ein für mich neues Phänomen dieses astromentalen Zeitalters bestand auch darin, daß jeder jeden zu kennen schien. Wie wenige Millionen mochten es sein, auf welche das Menschengeschlecht zusammengeschrumpft war? Ohne Zweifel auf genau so viele wie zu seiner Fortfristung die gereifte Erkenntnis als notwendig festgestellt hatte. Es gab jedenfalls niemanden, der den andern nicht grüßte und von diesem nicht begrüßt wurde. Der Gruß, umständlich und überaus formell, gemahnte mich teils an die Art, wie zu meiner Zeit Chinesen sich begrüßt hatten, teils aber an den Gruß preußischer Offiziere bei Betreten eines Zimmers, denn man neigte den Kopf bei völlig steifem Oberkörper, um die gebrochene Linie zu vermeiden.
B.H. begründete die zeremoniöse Intimität aller mit allen damit, daß die Menschen im Vollbewußtsein dessen, daß sie nicht irgendeiner im Kampf ums Dasein siegreichen Tierrasse angehörten, sondern die einzige Menschheit und somit die Mitte des Universums waren, einen höheren Grad von gegenseitiger Achtung einander zu zollen gelernt hatten. Man war ein Bekannter schon durch die Tatsache, daß man Mensch war. Und einen Bekannten nicht zu grüßen, das allein hätte schon bedeutet, ihm Mißachtung und Feindseligkeit zu beweisen. Wir blieben also dann und wann stehn, wenn der Beständige Gast es gebot, und ich machte Kopfneigungen bei steifem Oberkörper und nahm ebensolche Kopfneigungen entgegen, obwohl ich dieser Menschheit nur im Sinne der zurückeilenden Zeitdimensionen angehörte, nicht aber im Sinne des gleichzeitigen Raumes, in dem ich mich nur auf Widerruf befand, was ich in diesem Augenblick sehr hell und mit einem leisen Amüsement empfand. Immer wieder wurden Fragen an mich gerichtet, die seit den Anfängen der Menschheit bis zu ihrem Ende immer dieselben sind und bleiben werden:
„Ist das Ihr erster Besuch des Geodroms, Seigneur?“
„Jawohl, es ist mein erster.“
„Und ist Ihr Eindruck wirklich so groß, wie die ,Abend-Sterne’ es soeben behaupteten?“
„Mein Eindruck ist gigantisch.“
„Damit machen Sie uns eine große Freude, Seigneur.“
Warum machte ich ihnen eine so große Freude mit dem bißchen leeren Lob? Warum waren sie so eitel? Waren sie denn so arm? Sollte man auch heute noch an Minderwertigkeitsgefühlen leiden?
„Sagen Sie offen, Seigneur, erkennen Sie an uns einen Fortschritt?“
„Fortschritt ist ein zu schwaches Wort für den Bergweg der Höherentwicklung, den Sie zurückgelegt haben, meine Damen und Herren.“
„Hat irgend jemand in Ihren Tagen, Seigneur, diesen Bergweg vorhergeahnt?“
„Nein! Zu meiner Zeit war die volle Bändigung der Naturkräfte durch Technik Inbegriff aller Zukunftsträume, wozu ja auch der Kampf um ein bißchen soziale Gerechtigkeit noch gehörte. Eine astromentale Kultur in heutiger Art lag außerhalb unserer Vorstellungskraft und unseres Wunschtraums.“
„Oh, ist das wirklich so, Seigneur?“
Steife Verbeugung meinerseits und seinerseits.
Sie waren unsicher, sehr unsicher. Io-Sums „Trotz allem“ nagte an ihnen.
Plötzlich begann der liebe Herr Io-Solip ziemlich unruhig und nachdenklich zu werden:
„Ich bin soeben von meinem Gegenschwieger Io-Fagòr angerufen worden“, sagte er.
Darauf sah ich mir den kleinen gutherzigen Bräutigamsvater genau an, ob ich etwa einen winzigen Fernsprecher oder Radioempfänger in seinen Händen entdecken könne. Nichts dergleichen.
„Womit und auf welche Weise sind Sie angerufen worden?“ fragte ich gespannt.
Um meine kindische Unwissenheit zum Schweigen zu bringen, übernahm B.H. sofort die Erklärung in wegwerfendem Ton:
„Wir rufen einander im Geiste an“, sagte er, „das mag dir genügen. Es gehört dazu freilich eine ganze Menge von Erziehung und Praxis. Man muß die Gewandtheit haben, dem Strom der inneren Vorstellungen und Bilder willentlich Einhalt zu gebieten und das Bild desjenigen, den man anrufen will, mit höchster Plastik herauszuarbeiten . . . Ich will es später mit dir üben.“
„Wir sollen schnell nach Hause kommen“, sagte Herr Io-Solip und verriet eine gewisse Nervosität, „Io-La, die Braut, Io-Fagòrs herrliche Tochter, ist schon sehr ungeduldig und ungehalten; man möge ihr endlich Seigneur vorführen.“
„Ich betrachte den Wunsch der jungen Dame als Befehl“, sagte ich mit altfränkischer Galanterie, doch innerlich von der Sehnsucht besessen, „nach Hause“ und zur Ruhe zu kommen. Mich erfüllte die Hoffnung, ich werde nach rascher Absolvierung jener Dame Io-La oder Lala, wie sie genannt wurde, mich irgendwo niedersetzen können, am liebsten in dem Bernsteingelb des kleinen Salons, und gemeinsam mit B.H. wieder ein Fossil sein dürfen. Meine Hoffnung wurde schnell durchkreuzt. Der Fremdenführer dieses Zeitalters schwebte an der Spitze eines sichtlich offiziellen Häufleins auf uns zu. Das Komitee der größten Streitfrage aller Zeiten hatte einen Beschluß über mich gefaßt, der meiner Sehnsucht nach der gebrochenen Linie keine Rechnung trug. Ich sollte unverzüglich vor den Welthausmeier geführt werden, um von ihm eine Auszeichnung für meinen philosophischen Preisspruch zu erhalten.
„Welthausmeier?“ fragte ich. „Major Domus Mundi? Ist dieser Begriff zurückzuführen auf die regierenden Satrapen der Merowinger- und Karolingerzeit?“
Niemand konnte antworten. B.H., der es vermutlich hätte können, schien es nicht zu wollen.
„Ist der Welthausmeier hier das Staatsoberhaupt?“ fragte ich weiter.
„Er ist der Geoarchont, der Erdballpräsident“, erwiderte B.H.
„Ich bitte um Verzeihung“, zögerte ich, mit einem Blick zu meinem Freunde hin. „Ich denke aber, daß ich morgen, sollte ich noch leben und hier sein, viel präsentabler sein werde als jetzt . . .“
Man überstürzte sich in Beteuerungen, daß ich präsentabler gar nicht werden könne, als ich soeben war. Nicht einmal das Argument, daß die herrliche Lala, die Braut dieser Tage, ungeduldig СКАЧАТЬ