Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman. Franz Werfel
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Название: Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman

Автор: Franz Werfel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726482362

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СКАЧАТЬ du denn, F.W.?“ fragte der alte Freund verstört.

      „Mir ist so leid um den Mond, B.H.“, stammelte ich.

      SIEBENTES KAPITEL

      Worin ich einen Blick in „Die Abendsterne Heute“ tue, zum Unparteiischen in der wichtigsten Streitfrage aller Zeiten bestimmt werde, einen ansehnlichen Erfolg erringe und infolgedessen dem schlummernden Welthausmeier oder auch Geoarchonten oder auch Erdballpräsidenten meine Aufwartung machen darf.

      DIESE GRAUENHAFTE WEHMUT, diese herzzerreißende Sentimentalität, ein wahres kosmisches Hundegefühl, welche mir das salzige Naß in die Augen und ein Aufschluchzen in die Kehle trieb, war glücklicherweise unbegründet. Ja, ich hatte grundlos um den Mond gelitten. Die gute Luna war während meiner langen Abwesenheit nicht vom Himmel verschwunden, nicht war sie von ewiger Nacht verschlungen, nicht im Nachhall der Sonnenherzattacke in Millionen Meteore zersprungen, sie war intakt und unverwandelt geblieben mit allen ihren vier Vierteln. Ich konnte mich selbst überzeugen davon, ohne daß mich B.H. erst mit Worten beruhigen mußte, denn gerade in diesem Augenblick war die traute Mondscheibe in ihrem schwachen ersten Viertel am aufgeworfenen Rand der weiten Waagschale sichtbar geworden, die ferne Spiel- und Silhouettenarchitektur der Türme, Türmchen, Giebel, Erker, Kuppeln, Zinnen am östlichen Horizonte nachschwärzend.

      Ich kam aber gar nicht dazu, mich über die Vorhandenheit des alten Mondes so recht zu freuen, da, ungeheuerlich ganz und gar, ein wüstes astronomisches Phänomen am Nachthimmel Platz zu greifen begann. Wir wissen schon, daß der Nachthimmel dieses Zeitalters mit zehnmal dichterem Sterngewimmel übersät war als etwa der Himmel einer vollausgestirnten südlichen Augustnacht des zwanzigsten Jahrhunderts auf Bergesgipfeln oder hoher See. Der Vergleich mit einer blumendichten Sommerwiese, den ich vorhin gebrauchte, ist ziemlich zutreffend. Die einzelnen Sterne, soweit man unter diesen Sternklumpen, Sterntrauben, Sternschleiern von einzelnen Sternen überhaupt sprechen konnte, waren um viele, viele Grade heller und größer als damals, und der zusammengeschrumpfte, schwarze Nacht-Raum zwischen und hinter ihnen schien weit zurückzutreten. (Angesichts dieser fortschreitend sich entschleiernden Weltenfülle mußte die Astronomie eine Wissenschaft geworden sein, deren Inventuraufnahme allein schon über Menschenkräfte ging.) Zu meiner Zeit, da man mit freiem Auge am Nachthimmel kaum dreitausend Sterne unterscheiden konnte, hatte man das Universum mit einer explodierenden Granate verglichen, deren Partikel, die Sterne, nach allen Seiten auseinanderfahren. Die Gelehrten waren wie so oft in dieser Theorie einer Illusion erlegen. Die dichte Belebtheit des Nachthimmels Jetzt zum Unterschiede von Einst hätte mir sofort die Wahrheit eingeben müssen: Das Universum atmet. Beim Einatmen ziehen sich die Gestirne im Raume zusammen, beim Ausatmen fahren sie auseinander. Diese große, hohe Wahrheit aber sollte ich erst viel später aus dem Munde des Hochschwebenden erfahren. — Eine künstliche Beleuchtung des Geodroms, der zentralen Plaza, wäre völlig überflüssig, ja hinderlich und störend gewesen. Wir waren eingehüllt in Licht, das ganz anders und weit schwächer als Sonnenlicht war, aber dennoch Licht; es war ein bläulich volles Licht, das die Gestalten und Gegenstände völlig ausmodellierte, nicht anders als der Tag, ihnen aber die Farbe nahm. Da aber in der Farbe das große Geheimnis der spektralanalytischen Täuschung liegt, und die Farbe mehr der Maya angehört als die Form, so kann ich dieses übertriebene Sterntageslicht mit Recht ein geistiges Licht nennen, geistiger zumindest als das der Sonne. Wir standen somit umhüllt von astromentaler Nachthelligkeit. Und jetzt ereignete sich folgendes:

      Als würden vier apokalyptische Gewalten nach allen Richtungen eine zuerst kleine, doch stets wachsende Himmelsstelle mit unsichtbaren Spaten, Rechen oder Besen von Sternen freischaufeln, freiraufen, freikehren, entstand in der Mitte des Firmaments plötzlich ein immer größeres schwarzes Rechteck, einer Schultafel von Lichtjahrdimensionen ähnlich, an deren Rändern sich der glitzernde Sternenkies hoch aufhäufte.

      „Was ist das, was ist das?“ stotterte ich und preßte die linke Faust gegen mein arg zerknittertes Frackhemd.

      B.H. ergriff meine rechte Hand und drückte sie gebieterisch:

      „Alteriere dich nicht, F.W., verhalte dich ruhig! Es handelt sich selbstverständlich um ein rein optisches Manöver.“

      „Man sollte doch die Sterne nicht zu optischen Manövern verwenden“, sagte ich mit bitterer Zunge aus trockener Kehle, und meine Knie bebten.

      „Unsre Beziehung zu den Sternen ist eine andre als die eure, lieber Freund“, lächelte der Wiedergeborene, der zur Vorsicht noch immer meine Hand festhielt, „seitdem unanzweifelbar festgestellt wurde, daß unser Planet wirklich und wahrhaftig der Mittelpunkt des Universums ist und es demnach ausschließlich nur einen bewohnten Planeten und eine einzige Menschheit gibt, die unsrige!“

      „Was sagst du da, B.H.“, entrang sich’s mir, „ist das wirklich und wahrhaftig festgestellt und kein Zweifel mehr möglich? Die geozentrische Hypothese und mehr als sie hat also gesiegt? Oh, ich hab’s im stillen immer gewußt, sie werde siegen. Denn ohne sie ist der Glaube an eine geistige Bestimmung dieser Welt schwer zu begründen. Wie bin ich glücklich, B.H., wie sonderbar glücklich . . .“

      Und bei diesen Worten fühlte ich meine Augen wieder naß werden, diesmal aber nicht durch das kosmische Hundegefühl, der Mond sei hin, sondern aus einem tief befriedigten Stolz. Der Wiedergeborene sah mich erstaunt an:

      „Hast du dir das so sehr gewünscht, F.W.?“ fragte er. „Ich finde, die Verantwortung wächst damit ziemlich ins Unermeßliche . . .“

      Ich konnte auf diese mit Recht bekümmerte moralische Anmerkung nichts mehr erwidern. Denn in demselben Augenblick begannen aus dem gehäuften Sternkies, rings um das leere, pechschwarze Rechteck, einzelne spritzige Sternlein mit hüpfendem Mutwillen auf die Tafel zu springen, und aus ihnen bildete sich im Nu eine Lichtschrift, eine Titelschrift, und ich las, durchaus nicht zu meiner Erbauung:

      „Die Abendsterne Heute.“

      Und darunter in kleinerem Grade:

      „Am dritten Tage des vierten Erdenmonats der siebenhundertzweiundvierzigsten Sonnenwoche der Null Komma Null Null Null dritten Evolution im elften Weltengroßjahr der Jungfrau.“

      Und daneben, ganz winzig in Klammern, eine sechsstellige Zahl, die ich nicht lesen konnte, mit dem Zusatz: „Post Christum Incarnatum.“

      „Das geht zu weit“, sagte ich, und erinnerte mich zugleich, daß ich diese selbe Phrase schon einmal während meines Abenteuers gebraucht hatte. Ein Forschungsreisender soll schauen, schweigen, Interjektionen vermeiden und keine Kritik üben. Freilich, ich durfte ja erst nach meiner Rückkehr so recht erkennen, daß ich eine Forschungsreise absolviert hatte. Jetzt aber verletzte diese aus Sternenlettern gedruckte Zeitung meinen Geschmack. Vielleicht würden die Gestirne des Zodiak auch noch zu Annoncen für Hautcreme und Abführmittel mißbraucht werden! Die kosmische Zudringlichkeit des Menschen war ins Absurde gewachsen:

      „Wie wunderbar!“ höhnte ich. „Nun hat der Journalismus und das Reklamegeschäft sogar nach den Sternen gegriffen. Das hätte nicht einmal ich mir träumen lassen. Der einzige Vorzug ist, daß eure Himmelszeitung nur in einem einzigen Exemplar erscheinen kann, und kein politischer Partei- und Inseratennabob die Millionen einstreicht.“

      „Es gibt keine Millionen“, versetzte B.H. sehr von oben herab, „wenn du darunter jene verrosteten und verblaßten Courantmünzen verstehst, wie man sie noch heute in der obersten Erdschicht findet. Seit undenklichen Zeiten schon hat jedermann, was er braucht, und viel mehr als das. Jedermanns krankhafteste Gier könnte ohneweiters befriedigt werden. Schon aber dadurch, daß jedermann weiß, daß er alles haben kann, ist die Gier im Menschen so ziemlich versiegt. Es gilt im Gegenteil als fein und vornehm, weniger zu wollen, als man braucht. Reichtum als Drang andre auszustechen, würde als erniedrigendes Gebrechen СКАЧАТЬ