Название: Neuer
Автор: Dietrich Schulze-Marmeling
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783730702307
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Ginge es nach Christof Osigus, so würde es bis zum zwölften Lebensjahr keine torwartspezifische Ausbildung geben. Zumindest würde man keinen Spieler so früh auf diese Position festnageln. „Es ist leichter, aus einem Feldspieler einen guten Torwart zu machen, als umgekehrt.“ Seine Torhüter nehmen dienstags ganz normal am Mannschaftstraining teil, absolvieren hier kein anderes Programm als die Feldspieler.
Und sonstige Trainingsinhalte? „Du musst einfach alles trainieren, was im Spiel vorkommt.“ Beispielsweise lange Abwürfe in den Lauf. Wie nahe der Torwart an den Rest der Mannschaft rückt, dokumentiert folgende Aussage Matuschaks: „Nur für sich ein gutes Spiel zu machen, das reicht nicht. Du musst auch für die Mannschaft ein gutes Spiel machen, dir einen Status in ihr erarbeiten.“ Der Torwart soll kein Sonderling sein, der seinen Job nur für sich verrichtet. Der Torwart muss im Spiel eine Bindung an den Rest der Mannschaft herstellen. Er kann auch ein gutes Spiel machen, ohne bei drei „Unhaltbaren“ zu glänzen: dadurch, dass die Mannschaft seine Präsenz spürt, dass er dirigiert, gut antizipiert, für einen bedrängten Spieler anspielbar ist, den Feldspielern also hilft, das Spiel aufbaut und verlagert. „Viele träumen davon, Bälle aus dem Winkel zu holen und durch den Torraum zu fliegen. Aber es kommt auch darauf an, unangenehme Bälle zu halten.“
Als Gegenmodell zur Schalker Ausbildung wird häufig die Lauterer Torwartschule von Gerry Ehrmann aufgeführt. Der Bundesligatorwart Ehrmann maß nur 1,84 Meter, war aber extrem muskulös, weshalb man ihn auch „Tarzan“ nannte. Er war mit guten Reflexen ausgestattet und stark in Eins-gegen-eins-Situationen. Bei Flanken hingegen zeigte er Schwächen. Es heißt, die Lauterer Schule würde Muskelpakete und Reaktionstorhüter hervorbringen – mit Defiziten beim Mitspielen. Als typische Produkte dieser Ausbildung gelten Roman Weidenfeller und Tim Wiese. Sicher wird in Kaiserslautern ein starker Akzent auf Kraft gelegt. Aber auch die Ehrmann-Schule kann auf eine Reihe von späteren Profis verweisen – neben den bereits genannten Weidenfeller und Wiese u. a. noch Florian Fromlowitz, Thomas Sippel und Kevin Trapp.
War es die Schalker Fußballschule, die Manuel Neuer zum Welttorhüter formte? Zu ihrem eigenen Beitrag geben sich Matuschak und Osigus äußerst bescheiden: Es sei nicht nur die gute Torwartschule, die Manuel zu dem gemacht habe, was er heute ist. In der Art, wie er spiele, liege auch eine große Portion persönlicher Entscheidung. Christof Osigus: „Das Größte, was er selber mitgebracht hat, ist sein Talent.“ Weshalb man den Beitrag seiner Torwarttrainer und Trainer nicht überbewerten solle. „Jeder hat sein Mosaiksteinchen dazu beigetragen. Aber es ist vor allem sein Talent.“ Und Lothar Matuschak: „Wenn du nicht die Mentalität für diese Art von Spiel hast, dann geht das nicht. Du musst schon den Fußballer in dir haben, um so zu spielen wie Manuel.“
„Helmut, wir dürfen den nicht abgeben.“
Im Übergang vom ersten zum zweiten Jahr C-Jugend, also von der U14 zur U15, droht Neuer auf Schalke das Aus. Der 13-Jährige wird für „zu klein“ befunden. Man legt ihm einen Wechsel zu einem anderen Verein nahe. Aber im Verein gibt es mit Matuschak, Osigus und Hüneborn Trainer, die einen jungen Spieler nicht nur in der Momentaufnahme betrachten, sondern auch perspektivisch.
Doch selbst Matuschak ist zunächst irritiert, als er bei der Sichtung für den älteren C-Jugend-Jahrgang Neuer begegnet. Als sich aus einer Gruppe von Spielern „so’n Kleiner rauslöste“, hofft er zunächst, dass das nicht der Torwart ist. Matuschak fragt sich, warum ausgerechnet dieser Junge Torwart werden wolle. Der Kerl sei „kaum größer als eine Tischkante“ gewesen und habe eine „piepsige Stimme“ und ein „Milchgesicht“ gehabt. Aber der Kleine ist auch ein Schelm, ein großes Schlitzohr, ein pfiffiger Kerl. Fleißig, aber nicht übermäßig fleißig. Schon gar nicht verbissen. Eher etwas phlegmatisch. Aber der Junge sei auch dazu in der Lage gewesen, sich auf den Punkt zu konzentrieren. Und: Er habe einen guten Charakter besessen. Irgendwie imponiert ihm der Kleine. Matuschak erkennt schnell: „Alles, was ein Torwartspiel ausmacht, steckte in ihm. Man konnte sehen, dass er gleich mehrere Veranlagungen hatte. Also habe ich ihn gefragt: ,Willst du Torwart werden?‘ Er antwortete: ,Ja.‘ Dann habe ich ihm gesagt: ,Komm, ich helfe dir.‘ Wenn ich ehrlich bin: Das habe ich zu jedem unserer jungen Torhüter gesagt.“
Neuers Befürworter ernten Skepsis und müssen sich fragen lassen, „ob wir Eishockeytorhüter ausbilden wollten“ (Osigus). Hüneborn: „Wir sagten: Manuels Eltern sind doch groß, sein Opa ist es auch. Da würde also noch etwas kommen.“
In dieser Situation registrieren die Trainer die mentale Stärke ihres Schützlings. Als dessen Zukunft heiß und kontrovers diskutiert wird, scheint dies eine Person überhaupt nicht zu tangieren: Manuel Neuer. „Er ist in dieser Situation überhaupt nicht nervös geworden“, erzählt Osigus: „Er hat einfach sein Ding weiter gespielt.“ Aber Matuschak ist auch überzeugt: „Manuel hätte Rotz und Wasser geheult, hätte man ihn weggeschickt. Er war doch schon so lange im Verein.“
Eigentlich hat man für die U15 bereits zwei Torhüter. Und in der Regel sind auch nicht mehr als zwei vorgesehen. Matuschak geht nun zu Helmut Schulte: „Helmut, wir dürfen den nicht abgeben. Den müssen wir behalten. Auch wenn wir dann in dieser Altersgruppe drei Keeper haben und er nur der dritte Torwart ist.“ So wird mit Neuer eine Ausnahme gemacht.
Die Karriere junger Fußballer ist manchmal extrem abhängig von den Entscheidungen anderer Menschen. Hätte sich Lothar Matuschak nicht durchgesetzt oder „auf Schalke“ eine andere Torwartphilosophie geherrscht, hätte man den Torwart Neuer möglicherweise auf der großen Bühne nie gesehen. Neuer wäre zu einem kleineren Verein gegangen und dort vermutlich den Talentspähern entgangen. Denn ab einem gewissen Alter sind in der Regel nur noch Spieler im Fokus von Scouts und Auswahltrainern, die in der Jugend eines Profivereins kicken. Wer es schon mal dorthin geschafft hat, besitzt einen Bonus. Die Auslese beginnt früh – häufig viel zu früh.
„Auf Schalke“ darf Neuer bleiben, doch in der Westfalenauswahl kennt man keine Gnade. Als 13-Jähriger misst Neuer erst 1,74 Meter – zu wenig für die Auswahltrainer. Neuer: „Ich wurde aus der Westfalenauswahl geworfen, weil die anderen Torhüter größer waren.“
Anders als alle anderen
Allerdings bemüht sich auch Helmut Schulte in dieser Zeit noch um einen anderen Keeper. Der Chef des Schalker Nachwuchses hat ein Auge auf den deutschen U15-Nationaltorhüter René Adler vom VfB Leipzig geworfen. Adlers Entdecker ist Rüdiger Vollborn, die langjährige Nummer eins von Bayer Leverkusen und Torwarttrainer der U15-Nationalmannschaft und von Bayer. Als Vollborn Adler das erste Mal in Leipzig sah, war er auf den ersten Blick von dessen Sprungkraft fasziniert. „Der war ja eine halbe Stunde in der Luft unterwegs und flog in die Ecken, das war der Wahnsinn.“ Als Vollborn im Sommer 2000 sein Engagement beim DFB beendet, um sich nur noch den Keepern von Bayer zu widmen, nimmt er Adler einfach mit. Schulte ist verärgert: Vollborn habe seine Doppelfunktion dazu missbraucht, um sich das Talent zu sichern.
So entgeht Neuer vorerst der Konkurrenz mit Adler; sie wird ihm Jahre später wieder begegnen. Bei Schalke hat er nach wie vor einen schweren Stand. In der U15 angekommen, fehlt es ihm anfangs nicht nur an Größe, sondern auch an Kraft, weshalb СКАЧАТЬ