Название: Neuer
Автор: Dietrich Schulze-Marmeling
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783730702307
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Der „kicker “ titelt „Die falsche 5“ und kommentiert: „Deutschland diskutierte über die falsche 9, jetzt über die ,FALSCHE 5‘. Im Stile eines Liberos prägte Manuel Neuer die Partie gegen Algerien. (…) Seine 1,93 m sind ein Gardemaß für einen Torhüter. Er ist ein Riese mit seiner Gestalt und seinem Torwartspiel. Aber ist dieser deutsche WM-Auserwählte, zum dritten Mal bei einem großen Turnier, nicht weitaus mehr als ein Torhüter? Zusätzlich ein Ausputzer oder Libero? Eine Nummer 1 plus eine Nummer 5 in Zeiten, da so viel über die falsche 9 diskutiert wird? Keeper Neuer stärkt seine Vorderleute als elfter Feldspieler.“
Cathrin Gilbert („Die Zeit“) sieht gar eine Zeitenwende; für sie hat Neuer im WM-Achtelfinale „das Spiel des letzten Mannes revolutioniert. (…) Manuel Neuer geht auf dem Platz Wege, die Torhüter vor ihm nicht kannten. Wenn es notwendig ist, deckt der Schlussmann allein jenes Drittel der eigenen Hälfte ab, in dem sonst die gesamte deutsche Abwehr steht. Oder er ist derjenige, der das Spiel schnell macht, mit hohen Abstößen oder mächtigen Abwürfen Konter einleitet.“ Oliver Fritsch schreibt Ähnliches auf „Zeit online“: „Dass der moderne Torwart nicht mehr auf der Linie klebt, weiß man selbst im traditionsverliebten Deutschland schon einige Jahre. Dass einer aber fast das gesamte Abwehrdrittel abdeckt, wie Neuer an diesem Tag, ist neu. Man soll ja vorsichtig sein mit Prognosen. Aber Neuer dürfte beim deutschen Sieg gegen Algerien ein epochales Spiel geboten haben, das künftige Generationen beeinflussen wird. Kinder, die das Spiel gesehen haben, wollen ab sofort Tormann werden – und zwar so wie Neuer. (…) Dass Neuer, der Weltbeste seines Fachs, seiner Elf in Brasilien ein Spiel gewinnen würde, war zu erwarten. Doch auf welch beispiellose Art, konnte wohl keiner ahnen. Er tat es fast gar nicht mit den Händen, denn wo er es tat, darf er sie gar nicht benutzen. Neuer gewann als Ausputzer vor dem Strafraum, als Manuel, der Libero. Vielleicht muss man nach diesem Spiel sogar einen neuen Begriff für Tormann ausdenken.“
Dass ein Torwart ein derartig epochales Spiel auf dem Rasen ausgerechnet eines brasilianischen Stadions hinlegt, entbehrt nicht eines gewissen Charmes. Brasilien ist nicht gerade das Land der Torhüter. Lange Zeit galt hier der Mann mit den Handschuhen als Nicht-Fußballer und Spielverderber. Félix Miélli Venerando, Brasiliens Nr. 1 beim WM-Gewinn 1970, behauptete gar, in Brasilien werde Torwart, wer als Feldspieler zu schlecht sei. Wer auch nur ein bisschen Fußball spielen konnte, der mied das Tor. In einer kreativen, spielfreudigen und torhungrigen Spielkultur war der Keeper als reiner Tore-Verhinderer eine Spaßbremse und ein Spielverderber. Im Porto Alegre demonstriert Neuer, dass es auch anders geht. Dass ein Torwart sehr wohl ein Fußballspieler sein kann, der sich am Spiel aktiv beteiligt.
Lob und Skepsis
Manuel Neuer wird nach dem Algerien-Spiel weltweit applaudiert. Aber daheim erscheint es manchmal so, als müsse er sich für seine Spielweise rechtfertigen. Vielleicht ist das Denken der Fußballöffentlichkeit noch zu stark von den Darbietungen eines Oliver Kahn geprägt. Außerdem ist Neuer nicht einfach nur ein mitspielender Torwart. Mit dem Fuß sind mittlerweile viele Keeper ordentlich. Aber kaum jemand interpretiert das Mitspielen so radikal und beherrscht es so gut wie Neuer.
Vor dem Viertelfinale gegen Frankreich sitzt Neuer mit Torwarttrainer Andreas Köpke auf dem Podium der Pressekonferenz. Köpke betrachtet es als seine Aufgabe, ein nervöses Volk und dessen Fachjournalisten zu beruhigen, indem er eine Laudatio auf Neuers Spiel hält: „Er verarbeitet die nicht immer leichten Rückpässe souverän.“ Sein Spiel sei nicht ohne Risiko, aber es zahle sich aus. Der Ertrag sei höher. Neuers Spiel mache ihn nicht nervös. „Ich habe da draußen immer die Ruhe, man wird nicht nervös, weil man immer das Gefühl hat, er weiß, was er tut.“ Neuer sei der beste Libero seit Franz Beckenbauer, was der Gelobte cool mit einem Griff in die deutsche Taktikgeschichte kontert: „Nach Franz Beckenbauer gab es eine Zeit lang keinen Libero, deshalb ist es nicht das beste Kompliment.“
Die Redaktion des „kicker“ diskutiert über Neuer kontrovers: Für Oliver Hartmann hat Neuer gegen Algerien nicht die richtige Balance zwischen Herauslaufen und Verharren gewahrt. „Neuers Auftritt gegen Algerien war diesbezüglich ein Tanz auf der Rasierklinge, und niemand wird bestreiten können, dass er seinen Strafraum in den 90 Minuten auch das ein oder andere Mal zu oft verließ. Wenn Oliver Kahn bei Neuer zu hohe Risikobereitschaft anmahnt, weiß er, wovon er spricht. Bei der WM 2002 wuchs im damaligen Weltklassekeeper mit jedem Galaauftritt das Gefühl der Unbesiegbarkeit – das dann aber mit dem folgenschweren Patzer im Endspiel gegen Brasilien schlagartig in sich zusammenfiel.“ Hartmanns Kollege Karlheinz Wild ist anderer Meinung: „Mit Aktionen, die Neuer immer wieder und immer öfter in seinem Bundesliga-Alltag einflicht, verblüffte er nun im WM-Achtelfinale gegen Algerien die staunende Fußballwelt. (….) Für Neuer bedeutet diese außergewöhnlich offensive Interpretation des Torhüter-spiels eine Selbstverständlichkeit, sie gehört zur Identität des Torwarts Neuer, der sich durchaus des Gefahrenpotenzials dieses Stils bewusst ist: Kommt er zu spät in ein solches Alles-oder-nichts-Duell, sieht er Rot. Dieses Risiko nimmt er in Kauf, weil er mit seinem Stil den Seinen weniger schadet als hilft: als Ausputzer, als Libero, als 11. Feldspieler. Wenn die Nationalelf in Brasilien Großes erreichen will, ist Neuer der Schlüsselspieler: als besonderer Keeper mit Hand und Fuß.“
Karlheinz Wild wird recht behalten. Am 13. Juli 2014 wird Deutschland mit Keeper Manuel Neuer zum vierten Mal Weltmeister.
KAPITEL 2
Monaco? Buer-Mitte!
Manuel Neuer stammt aus Gelsenkirchen. Sein Elternhaus steht in einem ruhigen Abschnitt der Allensteiner Straße, zwischen zwei Kleingartenanlagen und in der Nähe der Gelsenkirchener Fachhochschulen. Manuels Vater Peter Neuer stammt aus Oberschwaben und ist 1958 nach Gelsenkirchen gekommen, als Sohn eines Friseurs, der zuvor in seinem oberschwäbischen Heimatort zwei Läden betrieben hatte. Über verwandtschaftliche Kontakte kam die Familie nach Gelsenkirchen, wo Großvater Neuer ebenfalls einen Friseurladen eröffnete.
1958 ist auch das Jahr, in dem Schalke bis heute letztmalig Meister wurde. Peter Neuer war damals elf und schaute zu, wie die Sieger am Bahnhof in Gelsenkirchen empfangen wurden. Wie sein Vater erlernte Peter Neuer zunächst das Handwerk eines Friseurmeisters. Später wechselte er zur Polizei und diente in dem Einsatzzug, der bei Großereignissen ausrücken muss. Hierzu gehörten viele Jahre auch die Heimspiele von Schalke 04 im Parkstadion.
Zwischen Ruhrgebiet und Münsterland
Mit „Gelsenkirchen“ ist der Heimatort Manuel Neuers nur unzureichend benannt. Genauer muss es heißen: Gelsenkirchen-Buer. Ein Bindestrich und vier zusätzliche Buchstaben, die einen kleinen, aber feinen Unterschied markieren. Als Neuer anlässlich seines Wechsels zum FC Bayern zu seiner vermeintlichen Ultra-Vergangenheit befragt wird, antwortet er: „Bei mir muss man einfach sehen: Ich komme ja nicht aus Gelsenkirchen, sondern aus Gelsenkirchen-Buer. Das ist das Monaco von Gelsenkirchen. Das glauben nur leider viele nicht, die nicht aus Buer stammen.“
Buer das „Monaco Gelsenkirchens“ zu nennen, ist nicht so abwegig, wie es im ersten Moment klingen mag. Zwar halten viele Nicht-Ruhrgebietler das Revier städtebaulich und sozial für eine monolithische Einheit. Wer dort aufgewachsen ist, weiß jedoch, dass sich die Städte, aber auch Stadtteile sehr stark unterscheiden. Gerade Gelsenkirchen gilt als „extrem binnendifferenziert“, wie es der dort lebende Stadt- СКАЧАТЬ