Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl. Jan Quenstedt
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СКАЧАТЬ zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. 35 Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme. 36 Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war? 37 Er sprach: Der die BarmherzigkeitBarmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen! 1. Chor: Du sollt Gott, deinen Herren, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte (55) und deinen Nächsten als dich selbst. 2. Rezitativ: So muß es sein! Gott will das Herz vor sich alleine haben. (65) Man muß den Herrn von ganzer Seelen Zu seiner Lust erwählen Und sich nicht mehr erfreuen, Als wenn er das Gemüte Durch seinen Geist entzündt, (70) Weil wir nur seiner Huld und Güte Alsdenn erst recht versichert sind. 3. Arie: Mein Gott, ich liebe dich von Herzen. Mein ganzes Leben hangt dir an. (75) Lass mich doch dein Gebot erkennen Und in LiebeLiebe so entbrennen, Dass ich dich ewig lieben kann. 4. Rezitativ: Gib mir dabei, mein Gott! ein Samariterherz, Dass ich zugleich den Nächsten liebe Und mich bei seinem Schmerz Auch über ihn betrübe, (85) Damit ich nicht bei ihm vorübergeh Und ihn in seiner Not nicht lasse. Gib, dass ich Eigenliebe hasse, So wirst du mir dereinst das Freudenleben, Nach meinem Wunsch, jedoch aus Gnaden geben. (90) 5. Arie: Ach, es bleibt in meiner LiebeLiebe Lauter Unvollkommenheit! Hab ich oftmals gleich den Willen, Was Gott saget, zu erfüllen, (95) Fehlt mirs doch an Möglichkeit. 6. Choral: Ach Herr, ich wollte ja dein RechtRecht Und deinen heilgen Willen, Wie mir gebührt, als deinem Knecht, (100) Ohn Mangel gern erfüllen, So fühl ich doch, was mir gebricht, Und wie ich das Geringste nicht Vermag aus eignen Kräften.16

      Tab. 10:

      Gegenüberstellung von Lk 10,23–37Lk 10,23–37 mit dem Text der Kantate BWV 77

      Der Vergleich von Bibel- und Kantatentext zeigt eine kreative Bearbeitung der Textvorlage innerhalb des Kantatentexts. Ferner stellt die Kantate vielfältige innerbiblische Bezüge her, die im Einzelnen an dieser Stelle nicht dargestellt werden können und kann als ein Beispiel intertextueller biblischer Exegese gelten. Zugleich ist zu fragen, welche Assoziationen ein solcher Umgang mit der Textvorlage bei biblisch versierten Hörerinnen und Hörern hervorruft. Es ist anzunehmen, dass die Kantate durch ihren musikalischen Vollzug hier einen weiten Assoziationsraum eröffnet. Weiterhin bietet die Kantate für die Hörenden die Möglichkeit, in einen Dialog mit dem biblischen Text zu treten. Sie verleiht den angesprochenen Rezipientinnen und Rezipienten eine Stimme und ermöglicht es ihnen, allgemein menschliche Regungen zu verbalisieren und mit dem Text zu versprechen.17 Denkbar wäre dementsprechend, dass die Kantate möglichen – freilich biblisch nicht überlieferten – Gedanken einer der handelnden Personen Ausdruck verleiht. Damit eröffnet sich ein Raum, der es den Hörenden ermöglicht, sich konstruktiv mit den Aussagen der Perikope auseinanderzusetzen, um selbst in gewisser Weise Anteil an dem Gespräch zu bekommen.

      Im Text der Kantate verschränken sich die Gottes- und die NächstenliebeNächstenliebe miteinander. Letztere wird – so formuliert Satz zwei – durch die vorrangige LiebeLiebe Gottes zum Menschen ermöglicht, die durch den Heiligen GeistHeiliger Geist einem jeden Gläubigen vermittelt und versichert werde.18 Die Besonderheiten der Kantate liegen in der „Betonung der Wirkung des Heiligen GeistesHeiliger Geist und der Gleichzeitigkeit von GottesGottesliebe- und NächstenliebeNächstenliebe (83) sowie in der Herausarbeitung des Unvermögens des menschlichen Willens (94–96).“19 Besonders evident werden diese Besonderheiten in den Sätzen drei bis fünf der Kantate. Vor diesem Hintergrund korrespondieren die dargestellten Bewegungen mit dem Geschehen in der EucharistieEucharistie: Gott gibt sich in der EucharistieEucharistie als Zeichen seiner LiebeLiebe den Kommunikanten hin. Aus dieser anabatischen Bewegung heraus kann sich die katabatisch-menschliche Bewegung der GottesliebeGottesliebe ergeben. BWV 77 kann so auch als musikalische Dogmatik verstanden werden, die en nuce an wesentliche Implikationen der EucharistieEucharistie erinnert. Sie kumuliert in Satz sechs, der die von Luther herausgestrichene Verbindung von sola fide, sola gratia, solus christus und sola scriptura als Ursprung der guten Werke benennt.20 Der erste und der letzte Satz bilden eine Klammer um die Kantate: Sie führt die Hörenden und Gläubigen vom fordernden Anspruch Gottes über das erleichternde Bekenntnis der eigenen Unzulänglichkeit hin zum GlaubenGlaube als Fundament ihres Lebens und Handelns.21 Der GlaubeGlaube wird zum Motor der Lebensgestaltung und zum Ermöglichungsgrund von GottesGottesliebe- und MenschenliebeMenschenliebe. In der EucharistieEucharistie wird dieser Zusammenhang sinnfällig verdeutlicht. Vor dem Hintergrund des denkbaren weiten Assoziationsraumes bietet die Kantate vielfältige Anknüpfungspunkte22 für die Rezipientinnen und Rezipienten, die sich in vielfältigen Aussagen wiederfinden könnten und sich damit dem Phänomen der Hilfe für den Nächsten annähern können.

      1.6 „Diakonie“ und Alltagssprache

      Für einen Einblick in das alltagssprachliche Verständnis von „Diakonie“ sind exemplarisch zwei Quellen heranzuziehen, die eine große Popularität in Deutschland genießen: Zunächst der entsprechende Eintrag im Duden sowie der entsprechende Eintrag in der deutschsprachigen Wikipedia.

      Der Duden versteht „Diakonie“ als „[berufsmäßigen] Dienst an Hilfsbedürftigen (Krankenpflege, FürsorgeFürsorge usw.).“ Entsprechende Synonyme des Begriffs sind „FürsorgeFürsorge, Sozialhilfe, WohlfahrtWohlfahrt.“1 „Diakonie“ wird damit auf sozial-fürsorgliche Handlungen bezogen. Weitergehende Tätigkeiten innerhalb einer Gemeinde, wie z.B. MissionMission und VerkündigungVerkündigung, geraten ebensowenig in den Blick wie eine spezifisch christliche Bedeutung des Begriffes.

      Im Unterschied zur Begriffsbestimmung im Duden entfaltet die deutschsprachige Wikipedia einen weiteren DiakoniebegriffDiakoniebegriff, indem sie unter „Diakonie“ „alle Aspekte des Dienstes am Menschen im kirchlichen Rahmen“2 versteht. Biblische Überblicke verdeutlichen dieses Verständnis. Dabei beziehen die Autorinnen und Autoren sowohl das Alte als auch das Neue Testament in ihre Darstellung ein.

      In alttestamentlicher Perspektive rekurrieren die Verfasserinnen und Verfasser auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,27Gen 1,27) und auf mehrere Stellen innerhalb der Gesetzeskorpora (z.B. Lev 19,33f.Lev 19,33f., Dtn 24,17Dtn 24,17). Parallel dazu werden entsprechende Belege in den Psalmen angegeben: Ps 8,5Ps 8,5 für die Gottebenbildlichkeit, bzw. Ps 82,3Ps 82,3 für die Sorge um Mittellose. Mit Jes 57,15Jes 57,15 wird die Nähe JHWHs zu den Armen betont.

      In neutestamentlicher Perspektive kommen СКАЧАТЬ