Der Stechlin. Theodor Fontane
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Название: Der Stechlin

Автор: Theodor Fontane

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726540147

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СКАЧАТЬ Tugend sein, aber sich kurz fassen heisst meistens auch, sich grob fassen. Jede Spur von Verbindlichkeit fällt fort, und das Wort „Herr‘ ist beispielsweise gar nicht mehr anzutreffen. Ich hatte mal einen Freund, der ganz ernsthaft versicherte: „Der hässlichste Mops sei der schönste‘; so lässt sich jetzt beinahe sagen, ,das gröbste Telegramm ist das feinste‘. Wenigstens das in seiner Art vollendetste. Jeder, der wieder eine neue Fünfpfennigersparnis herausdoktert, ist ein Genie.“

      Diese Worte Dubslavs hatten sich anfänglich an die Frau von Gundermann, sehr bald aber mehr an Gundermann selbst gerichtet, weshalb dieser letztere denn auch antmortete: „Ja, Herr von Stechlin, alles Zeichen der Zeit. Und ganz bezeichnend, dass gerade das Wort ,Herr‘, wie Sie schon hervorzuheben die Güte hatten, so gut wie abgeschafft ist. „Herr‘ ist Unsinn geworden, „Herr‘ passt den Herren nicht mehr — ich meine natürlich die, die jetzt die Welt regieren wollen. Aber es ist auch danach. Alle diese Neuerungen, an denten sich leider auch der Staat beteiligt, was sind sie? Begünstigungen der Unbotmässigkeit, also Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie. Weiter nichts. Und niemand da, der Luft und Kraft hätte, dies Wasser abzustellen. Aber trotzdem, Herr von Stechlin — ich würde nicht widersprechen, wenn mich das Tatsächliche nicht dazu zwänge —, trotzdem geht es nicht ohne Telegraphie, gerade hier in unsrer Einsamkeit. Und dabei das beständige Schwanken der Kurse. Namentlich auch in der Mühlen- und Brettschneidebranche...“

      „Versteht sich, lieber Gundermann. Was ich da gesagt habe... Wenn ich das Gegenteil gesagt hätte, wäre es ebenso richtig. Der Teufel is nich so schwarz, wie er gemalt wird, und die Telegraphie auch nicht und wir auch nicht. Schliesslich ist es doch was Grosses, diese Naturwissenschaften, dieser elektrische Strom, tipp, tipp, tipp, und wenn uns daran läge (aber uns liegt nichts daran), so könnten wir den Kaiser von China wissen lassen, dass wir hier versammelt sind und seiner gedacht haben. Und dabei diese merkwürdigen Verschiebungen in Zeit und Stunde. Beinahe komisch. Als Anno siebzig die Pariser. Septemberrevolution ausbrach, wusste man’s in Amerika drüben um ein paar Stunden früher, als die Revolution überhaupt da war. Ich sagte: Septemberrevolution. Es kann aber auch ‘ne andre gewesen sein; sie haben da so viele, dass man sie leicht verwechselt. Eine war im Juni, ’ne andre war im Juli — wer nich ein Bombengedächtnis hat, muss da notwendig ’reinfallen... Engelke, präsentiere der gnädigen Frau den Fisch noch mal. Und vielleicht nimmt auch Herr von Czako...“

      „Gewiss, Herr von Stechlin“, sagte Ezako. „Erstlich aus reiner Gourmandise, dann aber auch aus Forschertrieb oder Fortschrittsbedürfnis. Man will doch an dem, was gerade gilt oder überhaupt Menschheitsentwicklung bedeutet, auch seinerseits nach Möglichkeit teilnehmen, und da steht denn Fischnahrung jetzt obenan. Fische sollen ausserdem viel Phosphor enthalten, und Phosphor, so heisst es, macht ,helle‘.“

      „Gewiss“, kicherte Frau von Gundermann, die sich bei dem Wort „helle“ wie persönlich getroffen fühlte. „Phosphor war ja auch schon da, eb’die Schwedischen aufkamen.“.

      „Oh, lange vorher“, bestätigte Ezako. „Was mich aber“, fuhr er, sich an Dubslao wendend, fort, ,,an diesen Karpfen noch ganz besonders fesselt — beiläufig ein Prachtexemplar —, das ist das, dass er doch höchstwahrscheinlich aus Ihrem berühmten See stammt, über den ich durch Woldemar, Ihren Herrn Sohn, bereits unterrichtet bin. Dieser merkwürdige See, dieser Stechlin! Und da frag’ich mich denn unwillkürlich (denin Karpfen werden alt; daher beispielsweise die Mooskarpfen), welche Revolutionen sind an diesem hervorragenden Exemplar seiner Gattung wohl schon vorübergegangen? Ich weiss nicht, ob ich ihn auf hundertfünfzig Jahre taxieren darf; wenn aber, so würde er als Jüngling die Lissaboner Aktion und als Urgreis den neuerlichen Ausbruch des Krakatoa mitgemacht haben. Und all das ermogen, drängt sich mir die Frage auf...“

      Dubslav lächelte zustimmend.

      ,,...Und all das erwogen, drängt sich mir die Frage auf, wenn’s nun in Ihrem Stechlinsee zu brodeln beginnt oder gar die grosse Trichterbildung anhebt, aus der dann und mann, wenn ich recht gehört habe, der krähende Hahn aufsteigt, wie verhält sich da der Stechlinkarpfen, dieser doch offenbar Nächstbeteiligte, bei dem Anpochen derartiger Weltereignisse? Beneidet er den Hahn, dem es vergönnt ist, in die Ruppiner Lande hineinzukrähen, oder ist er umgekehrt ein Feigling, der sich in seinen Moorgrund verkriecht, also ein Bourgeois, der am andern Morgen fragt: ,Schiessen sie noch ?‘ “

      „Mein lieber Herr von Ezako, die Beantwortung Ihrer Frage hat selbft für einen Anwohner des Stechlin seine Schwierigkeiten. Ius Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist. Und zu dem innerlichsten und verschlossensten zählt der Karpfen; er ist nämlich sehr dumm. Aber nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung wird er sich beim Eintreten der grossen Eruption wohl verkrochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle. Heldentum ist Ausnahmezustand und meist Produkt einer Zwangslage. Sie brauchen mir übrigens nicht zuzustimmen, denn Sie sind noch im Dienst.“

      „Bitte, bitte“, sagte Ezako.

      Sehr, sehr anders ging das Gespräch an der entgegengesetzten Seite der Tafel. Rex, der, wenn er dienstlich oder ausserdienstlich aufs Land kam, immer eine Neigung spürte, sozialen Fragen nachzuhängen, und beispielsweise jedesmal mit Vorliebe darauf aus war, an das Zahlenverhältnis der in und ausser der Ehe geborenen Kinder alle möglichen, teils dem Gemeinwohl, teils der Sittlichkeit zugute kommende Betrachtungen zu knüpfen, hatte sich auch heute wieder in einem mit Pastor Lorenzen angeknüpften Zwiegespräch seinem Lieblingsthema zugewandt, mar aber, weil Dubslav durch eine Zwischenfrage den Faden abschnitt, in die Lage gekommen, sich vorübergehend statt mit Lorenzen mit Katzler beschäftigen zu müssen, von dem er zufällig in Erfahrung gebracht hatte, dass er früher Feldjäger gewesen sei. Das gab ihm einen guten Gesprächsstoff und liess ihn fragen, ob der Herr Oberförster nicht mitunter schmerzlich den zwischen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart liegenden Gegensatz empfinde — sein früherer Feldjägerberuf, so nehme er an, habe ihn in die weite Welt hinausgeführt, während er jetzt ,,stabiliert“ sei. „Stabilierung“ zählte zu Rex’ Lieblingswendungen und entstammte jenem sorglich ausgewählten Fremdwörterschatz, den er sich — er hatte diese Dinge dienstlich zu bearbeiten gehabt — aus den Erlassen König Friedrich Wilhelms I. angeeignet und mit in sein Aktendeutsch herübergenommen hatte. Katzler, ein vorzüglicher Herr, aber auf dem Gebiete der Konversation doch nur von einer oft unausreichenden Orientierungsfähigkeit, fand sich in des Ministerialassessors etwas gedrechseltem Gedankengange nicht gleich zurecht und war froh, als ihm der hellhörige, mittlerweile wieder frei gewordene Pastor in der durch Rex aufgeworfenen Frage zu Hilfe kam. „Ich glaube herauszuhören“, sagte Lorenzen, „dass Herr von Rex geneigt ist, dem Leben draussen in der Welt vor dem in unsrer stillen Grafschaft den Vorzug zu geben. Ich weiss aber nicht, ob wir ihm darin folgen können, ich nun schon gewiss nicht, aber auch unser Herr Oberförster wird mutmasslich froh sein, seine vordem im Eisenbahnkupee verbrachten Feldjägertage hinter sich zu haben. Es heisst freilich, im engen Kreis verengert sich der Sinn‘, und in den meisten Fällen mag es zutreffen. Aber doch nicht immer, und jedenfalls hat das Weltfremde bestimmte grosse Vorzüge.“

      „Sie sprachen mir durchaus aus der Seele, Herr Pastor Lorenzen“, sagte Rex. „ Wenn es einen Augenblick vielleicht so klang, als ob der Globetrotter‘ mein Ideal sei, so bin ich sehr geneigt, mit mir handeln zu lassen. Aber etwas hat es doch mit dem ,Auch-draussen-zu-Sein‘ auf sich, und wenn Sie trotzdem für Einsamkeit und Stille plädieren, so plädieren Sie wohl in eigner Sache. Denn wie sich der Herr Oberförster aus der Welt zurückgezogen hat, so wohl auch Sie. Sie sind beide darin, ganz individuell, einem Herzenszuge gefolgt, und vielleicht, dass meine persönliche Neigung dieselben Wege ginge. Dennoch wird es andre geben, die von einem solchen sichzurückziehen aus der Welt nichts wissen wollen, die vielleicht umgekehrt statt in einem Sichhingeben an den einzelnen in der Beschäftigung mit einer Vielheit ihre Bestimmung finden. Ich glaube durch Freund Stechlin zu wissen, welche Fragen Sie seit lange beschäftigen, und bitte, Sie dazu beglückwünschen zu dürfen. Sie stehen in der christlichsozialen Bewegung. Aber nehmen Sie deren Schöpfer, der Ihnen persönlich vielleicht nahesteht, er und sein Tun sprechen doch recht eigentlich für mich; sein Feld ist nicht einzelne СКАЧАТЬ