Die sehende Sintiza. Monika Littau
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Название: Die sehende Sintiza

Автор: Monika Littau

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

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isbn: 9783898018890

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      Ihre rissigen Lippen schmerzen. Sie werden befeuchtet und gekühlt. Sie leckt mit der Zunge über den Mund. Das tut gut.

      Als Buchela die Augen aufschlägt, blickt sie an die Decke eines kleinen Raumes. Die weiße Farbe ist rissig, so dass sich verworfene Linien von einer Wand zur anderen ziehen. Buchela schließt die Augen sofort wieder. Dann aber hört sie ein Geräusch neben sich und schlägt die Augen wieder auf.

      Sie dreht den Kopf ein bisschen und sieht auf dem Stuhl am Fenster ein Mädchen sitzen. Es hält ein Buch in der Hand und kratzt sich ausgiebig am rechten Ohr.

      Sie hört, wie die Tür geöffnet wird. »Du kannst jetzt gehen«, sagt eine Frauenstimme. Das Schieben der Stuhlbeine auf den Fliesen ist zu hören, dann die Schritte des Mädchens, seltsam schleppend und ungleichmäßig.

      »Nach dem Essen kommst du wieder her.«

      Am Luftzug spürt sie, dass die Tür kurz geöffnet ist. Dann wird sie wieder ins Schloss gezogen.

      Schwester Benedicta greift unter die Achseln und zieht Buchelas Körper hoch. Sie schiebt ein dickes Kissen hinter den Rücken und lässt das Mädchen dann nach hinten sinken.

      »Jetzt gibt es Suppe. Die hat Änne für dich gekocht.« Die Schwester steckt ein Tuch an Buchelas Hals fest.

      Ein gefüllter Löffel kommt auf sie zu. Sie öffnet den Mund, dass die Flüssigkeit in ihren Rachen fließen kann. Es schmeckt salzig. Sie schluckt.

      Nach wenigen Löffeln schüttelt sie den Kopf.

      »Nicht schlapp machen. Einen schaffst du noch!«

      Dann wird das Kissen irgendwann wieder weggezogen. Buchela schläft ein.

      Am nächsten Tag, als sie aufwacht, sitzt wieder das Mädchen am Fenster und reibt sich ihr Ohr. Aber diesmal hat es sie beobachtet und weiß, dass Buchela wach geworden ist. Sie rückt näher mit ihrem Stuhl.

      »Ich bin Änne. Und du bist die Margaretha, stimmt’s?« Buchela schaut weg und wieder an die Decke.

      »Schau mal, die hat Schwester Benedicta für dich hier gelassen.« Buchela sieht die rote Bluse.

      »Sie sagt, du darfst sie haben. Damit du wieder gesund werden willst. Aber du darfst sie noch nicht anziehen.«

      Sie hebt die Bluse vom Tisch, fasst sie bei den Schultern und zeigt sie Buchela in ihrer ganzen Schönheit. Dann legt sie sie auf das Bett. Buchela greift nach der Bluse und zieht sie hastig unter die Decke.

      »Die nimmt dir doch keiner mehr weg.«

      Änne sieht sie lachend an. Änne hat blonde Haare, blaue Augen und Sommersprossen und vom ständigen Reiben ist ihr rechtes Ohr rot angelaufen.

      »Danke.«

      Erschrocken presst Buchela die Lippen aufeinander. Ihr ist ein Wort herausgerutscht.

      »Kannst ja doch sprechen«, grinst Änne.

      »Auch von Schwester Benedicta«, sagt sie und zeigt auf ihre hellblaue Schürze.

      »Meine Lieblingsfarbe ist nämlich hellblau. Obwohl das eine Jungenfarbe ist.«

      Dass es Mädchen- oder Jungenfarben geben könnte, darüber hat sich Buchela noch nie Gedanken gemacht. Hauptsache, man hat überhaupt etwas zum Anziehen.

      »Hellblau wie die Mosel. Mein Vater ist da Schiffer und hat keine Zeit für mich. Und meine Mutter ist tot.«

      Draußen antwortet eine Amsel mit ihrem Gesang einer anderen. Ein Hin und Her der Vogelstimmen. Triller dazwischen. Buchela kann sich vorstellen, wie sie in den Spitzen zweier Bäume sitzen und sich ansingen. Es muss Abend sein. Amseln singen am frühen Morgen oder abends.

      »Ich bin schon vier Jahre hier«, Änne reibt sich das Ohrläppchen.

      »Wenn du wieder gesund bist und Lust hast, dann zeige ich dir hier alles.«

      Buchela nickt.

      »Morgen komm ich wieder.«

      Als Änne aufsteht, sieht Buchela, was sie tags zuvor nur gehört hat. Änne hat ein steifes Bein. Deshalb geht sie so schlurfend. Deshalb klingt ihr Schritt so ungleichmäßig.

      4.

      »Achte auf die Fingernägel. Danach guckt der Sauerwein als erstes.«

      Änne steht hinter Buchela in der Reihe der Mädchen, die sich zum Waschen angestellt haben. Auf dem Waschtisch liegt eine Bürste und Buchela schrubbt sich damit die Hände, bis sie krebsrot sind. Sie klatscht sich ein paar Mal das kalte Wasser ins Gesicht, dann rückt sie zur Seite, damit Änne ans Becken kann und beginnt ihr Haar zu bürsten. Sie schielt herüber zu den anderen.

      Was muss sie jetzt tun? Die Kinder helfen sich gegenseitig, ziehen sich Scheitel, flechten die Zöpfe. »Helf dir gleich«, sagt Änne, als sie Buchela ratlos da stehen sieht. Änne flicht ihr das Haar, hilft beim Zuknöpfen des Kleides und der Schürze am Rücken. »Jetzt du«, sagt sie und kehrt Buchela den Rücken zu.

      Zusammen gehen sie zur Kapelle. Buchela ist getauft, aber im Gottesdienst war sie nie. Zuhause hat die Mutter in einer Ecke des Wagens die schwarze Sara und die Muttergottes hängen. Darunter eine Kerze. Manchmal stellt sie in diesen Winkel Wiesenblumen, die sie gepflückt hatte. Dort hebt Tatta in einem Fach, das er sich gemacht hat, ein Säckchen auf, in dem manchmal Münzen sind. Nur einmal ist Buchela mit Mama in einer Kirche gewesen. Sie haben der Muttergottes eine Kerze angezündet und ein Halstuch geschenkt. Mama hat das leere Säckchen immer wieder über den Rand des Altars gerieben. Da musste ihr Buchela sagen, dass sie sich keine Sorgen machen muss, dass sie Geld bekommt. Statt sich zu freuen, hat die Mutter sie wütend angesehen. Als sie aber tatsächlich, am nächsten Tag eine Münze erhielt, war sie aufgeregt zu Tatta gelaufen und hatte behauptet, Buchela hätte die Gabe. Wie die Mami, wie die Großmutter.

      Die Sprache, die im Gottesdienst gesprochen wird, kennt Buchela nicht. Sie staunt, dass die anderen immer genau zu wissen scheinen, was sie auf den Gesang des Priesters antworten müssen. Mit scharrenden Geräuschen stehen die Mädchen auf und knien sich hin. Buchela beobachtet in ihrer Reihe, ob sich eine bewegt. Sie will so schnell sein wie die anderen und nicht auffallen.

      Der Gesang der Mädchenstimmen ist leicht und fliegt ganz hoch. Kein bisschen rau, wie die Lieder ihrer Mama oder der Tanten. Das Brummen, das aus den Jungenbänken kommt, versucht sie zu überhören.

      Der Priester trägt ein Spitzenkleid mit einem Überwurf, der mit Gold bestickt ist: Reben und Blätter ranken sich um ein Kreuz auf der Vorder- und Rückseite. Manchmal klettert er in eine Tonne, die so hoch angebracht ist, dass er allen Kindern auf den Scheitel sehen kann. So weiß er sofort, wer von ihnen ordentlich ist und wer nicht, denkt Buchela. Sie beneidet die Ministranten in ihren Chorhemden und weil sie goldene Gefäße tragen dürfen. So was hat sie noch nie in Händen gehabt.

      Am schönsten aber ist ein Engel, der links an die Wand gemalt ist, weiß und mit großen goldenen Flügeln, die hinter seinem Rücken aufragen. Er hebt seine rechte Hand, als wolle er sie grüßen. Buchela muss immerzu dorthin schauen. Und dabei bemerkt sie zu spät, dass sich alle hinknien. Änne stößt sie vorsichtig in die Seite. Buchela wendet ihren Kopf wieder nach vorn. Nur wenn sie mit äußerster Anstrengung die Augäpfel ganz nach links dreht, kann sie СКАЧАТЬ