Название: Ich habe immer nur den Zaun gesehen
Автор: Ernst Heimes
Издательство: Автор
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783898018746
isbn:
5 Konzentrationslager Dokument F 321 für den Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg, herausgegeben von Eugène Aroneanu. Französisches Büro des Informationsdienstes über Kriegsverbrechen
(…) diese Ärzte machten Versuche mit Gasen an diesen Unglücklichen in einer Gaskammer außerhalb des Lagers. An einem einzigen Tag, am 10. August 1943, wurden 86 Frauen vergast und ihre Leichen sofort nachher verbrannt. 6
6 Konzentrationslager Dokument F 321 für den Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg, herausgegeben von Eugène Aroneanu. Französisches Büro des Informationsdienstes über Kriegsverbrechen
Tatsächlich handelte es sich bei der hier geschilderten Begebenheit um 87 jüdische Häftlinge. Es waren 30 Frauen und 57 Männer.
Gearbeitet wurde in dem schon erwähnten, 700 Meter oberhalb des Lagers gelegenen Steinbruch. Für die Beaufsichtigung der Arbeiten und die Einhaltung der Vorgaben durch die SS waren die Kapos verantwortlich. Diese gingen in der Regel brutal und rücksichtslos gegen die Gefangenen vor. Sie hatten dafür zu sorgen, dass ein gewisses Arbeitspensum erledigt wurde. Lagen sie unter dem Limit, hatten sie selbst eine Bestrafung zu erwarten. Dieser konnten sie nur dann entgehen, wenn sie nachweisen konnten, dass sie die Häftlinge massiv durch Schläge zur Arbeit angetrieben hatten. Beim morgendlichen Marsch der Kolonnen in den Steinbruch wurde von der SS Anweisung gegeben, wie viele Häftlinge am Abend ins Lager zurück getragen werden mussten. Diese hatten entweder völlig erschöpft oder tot zu sein. Von dieser Anweisung waren vorwiegend die N.N. Häftlinge, die Russen und die Polen betroffen.
In den Hallen auf dem Gelände des Steinbruchs mussten Junker-Motoren abgeschossener Flugzeuge durch die Häftlinge demontiert und auf Wiederverwendung überprüft werden. Bei diesen Arbeiten kam es immer wieder zu Sabotageakten. Später wurde die Tätigkeit für die Flugzeugindustrie intensiviert und weitere Montagehallen entstanden. Mit dem Ziel, die Arbeiten unter die Erde zu verlegen, begannen Häftlinge, zum Teil fünfzig bis sechzig Meter tiefe Stollen in die Granitfelsen des Steinbruches zu treiben. Zu einer unterirdischen Produktion, wie im Tunnel Bruttig-Treis, kam es in Natzweiler jedoch nicht.
Ein erschütterndes Zeugnis gibt der ehemalige Häftling Doktor Ragot in seinem Bericht über eine Weihnacht in Natzweiler: Weihnachten kam … und an zwei Tagen hintereinander wurde uns nachmittags die Arbeit erlassen und wir wurden eine Stunde später geweckt. Vierzehn Tage vorher hatten wir einen anderen Kapo bekommen, einen »grünen« Deutschen, der schon seit vielen Jahren Gefangener war. Ungefähr fünfzig Jahre alt, trieb er uns zu schneller Arbeit an, aber meiner Meinung nach hatte er das große Verdienst, gerecht zu sein.
Von unseren Liedern am Sonntag eingenommen, bat er uns, etwas für den Heiligen Abend vorzubereiten, und er selbst besorgte einen Tannenbaum, Girlanden und sogar kleine Kerzen. Ein Freudenfest war vorgesehen, das vor allem aus zusätzlichem Essen bestehen sollte. Es ist überflüssig zu sagen, dass uns dies am meisten interessierte. Aber es gab auch andere Freuden …
Gleich mittags, bei der Rückkehr von der Arbeit, bietet man uns die erste. Zwei Galgen sind auf dem Podium errichtet, davor steht die ganze Belegschaft im Viereck, und so werden zwei Häftlinge erhängt; langsames Erhängen, nicht durch den Fall des Körpers herbeigeführt, sondern durch einfaches Erwürgen. Das Opfer braucht mindestens zwei Minuten um zu sterben.
Als dieses Schauspiel vorbei war, mussten wir mit Mützen ab in Fünferreihen zwischen den beiden baumelnden Leichen hindurchgehen, rechts und links von uns der Generalstab der SS, wo Kramer, der Lagerkommandant, thronte, seine ewige Zigarre in der Schnauze; mit den Augen Wahnsinniger genossen sie es und beobachteten die Nachwirkung, die es auf uns ausübte. Aber wir zogen vorbei, automatisch, gleichgültig, den Blick ins Ungewisse gerichtet und dachten vor allem an unsere Suppe, die auf uns wartete und in unseren Essnäpfen kalt wurde.
Dieses Schauspiel hinderte uns nicht daran, fünf Minuten später drei Kartoffeln und etwas Fleischsauce zu genießen und am Nachmittag zu singen und Musik zu machen. Man lebte und starb, man lebte und arbeitete, man ging vor Hunger ein, aber man verlor nie die Hoffnung. Man starb oft allein, ohne Kameraden, um den Toten die Augen zu schließen, ohne geistlichen Beistand für die Gläubigen, und wenn sich die armen geopferten Körper einmal in Rauch aufgelöst hatten, blieb kaum die Erinnerung an sie zurück. 7
7 Quelle: KZ Lager Natzweiler Struthof, Nancy 1982
Neuer Antrieb
Inzwischen war meine Erzählung über das KZ-Außenlager Cochem in einer kleinen Auflage erschienen. Wegen dieses schmalen Bändchens wurde ich für ein Reisestipendium vorgeschlagen, das der Verband deutscher Schriftsteller, VS, zusammen mit dem Auswärtigen Amt jährlich vergibt. Wenig später erhielt ich tatsächlich die Zusage und wurde Stipendiat. Ich empfand diese Anerkennung als Aufforderung, weitere Recherchen zum Thema KZ-Außenlager Cochem anzustellen. Ich entschied mich nach Luxemburg zu reisen.
Du weißt, mit welchem Eifer ich in meiner Kindheit und Jugend als Messdiener tätig war. Ich fuhr damals mit einer kleinen Gruppe aus unserer Gemeinde zu einem religiösen Fest nach Malmedy in Belgien. In einer Gaststätte, in der wir zu Mittag essen wollten, wurden wir nicht bedient. Das war mir damals unverständlich. Auch die Art und Weise, in der man uns die Bewirtung verweigerte, irritierte mich sehr. Unser orts- und geschichtskundiger Pfarrer, der sich mit auf der Tour befand, erzählte mir später von einem Massaker deutscher Soldaten an Zivilisten aus Malmedy. Bei dem Gedanken, nach Luxemburg zu fahren, um dort Kontakt zu ehemaligen Häftlingen zu suchen, fiel mir diese Begebenheit wieder ein.
Post. Über die Frankfurter Geschäftsstelle der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) erhielt ich Kontaktadressen in Luxemburg. Die Landesbildstelle Rheinland-Pfalz antwortete auf meine Anfrage: Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass in unserem Bildarchiv keine Aufnahmen zum Thema ›KZ-Außenkommando Cochem‹ vorhanden sind.
Vom Verband der Schriftsteller in Luxemburg kam die Einladung, ich möge als Vertreter der rheinland-pfälzischen Autoren bei der im Herbst geplanten Literatur-Biennale in Clerf als Gastautor aus meinen Texten lesen. Die Veranstaltung sollte an einem Wochenende stattfinden, das in die Zeit fiel, in der ich vorhatte, mich in Luxemburg aufzuhalten. Natürlich sagte ich zu.
Luxemburg. Ich wollte mich auf das kleine Land einlassen. Was gab es an Büchern über Luxemburg? Ich hatte im VLB, dem Verzeichnis lieferbarer Bücher, nachgesehen. Es gab einiges über Landschaften und Sehenswürdigkeiten. Die Auswahl war abgestimmt auf den Bedarf von Gästen, die in Luxemburg Erholung suchten, und sich für Besichtigungen interessierten.
Luxemburg, das hatte für mich immer irgendwie zu Deutschland gehört, irgendwie. СКАЧАТЬ