Ich habe immer nur den Zaun gesehen. Ernst Heimes
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Название: Ich habe immer nur den Zaun gesehen

Автор: Ernst Heimes

Издательство: Автор

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783898018746

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СКАЧАТЬ aus dem Tunnel fuhren?«

      »Nein, das weiß ich nicht.«

      Ich merkte auf einmal, wie die alte Frau sich überwinden musste, weiterzusprechen. Ich hatte nach den KZ-Häftlingen gefragt. Sie erzählte, dass es Kriegsgefangene gewesen seien, die dort hätten arbeiten müssen. Sie blickte zu Boden, schüttelte den Kopf und schwieg. Plötzlich lag eine Spannung zwischen uns. Ich spürte, wie sie mit sich ringen musste, um weitersprechen zu können. Sie schwenkte noch immer den Kopf hin und her. Ihre Lippen zuckten. Dann brachte sie es heraus: »Das war so schrecklich, das könnt Ihr jungen Leute euch nicht vorstellen.« Jetzt wirkte sie erleichtert. »Von hier aus kann ich ja auf den Bahndamm gucken. Jeden Morgen und jeden Abend habe ich das miterleben müssen, wie die zur Arbeit hin- und zurückgeführt worden sind. Rappeldürr waren die. Sie trugen gestreifte Sträflingskleider und Holzschuhe. Abends, auf dem Rückweg zum Lager, konnten sie kaum noch gehen und die, die mit den Uniformen dabei gewesen sind, die Bewacher, schlugen mit ihren Knüppeln auf sie drauf. Schrecklich war das. Das konnte man überhaupt nicht verstehen. Ganz komisch, man hat das jeden Tag gesehen, tatsächlich miterlebt, aber es war so, als wäre es nicht wahr. Man konnte das einfach nicht glauben, obwohl es sich jeden Tag vor der eigenen Haustür abgespielt hat. Ich kann das jetzt noch nicht glauben. Das war, wie wenn man träumt. Einfach schrecklich.«

      »Was haben sich denn die Leute hier aus dem Ort darüber erzählt?«, wollte Christa wissen.

      »Ja Kind, da wurde nicht viel drüber geredet. Die Männer waren ja alle fort, im Krieg, und wir Frauen hatten Angst. Außerdem war das ja alles so unwirklich. Wir Frauen, wir hatten von Politik und all dem, was da passierte, sowieso keine Ahnung. Das war damals alles Sache der Männer. Und wir haben gemeint, was die sagten, das wäre auch richtig. Gott sei Dank ist das heute nicht mehr so. Früher, Kind, da wurden wir Frauen doch dumm gehalten. Deshalb konnten wir uns auch nicht einmischen. Aber was hätten wir auch tun sollen? Du hättest sehen müssen, wie die mit den armen Kerlen umgegangen sind. Getreten und geschlagen worden sind die. Manche wurden vom Tunnel ins Lager zurückgetragen, weil sie nicht mehr gehen konnten. Die, denen es am schlechtesten ging, bekamen die meisten Prügel. Nein, nein, das kann man alles gar nicht glauben.«

      Wir hatten ihr aufmerksam zugehört und saßen eine Weile ergriffen, wortlos unter dem Eindruck ihrer Erzählung. Dann fügte sie noch hinzu und lachte dabei: »Aber manchmal gingen wir Frauen an den Zaun des Lagers und steckten den Gefangenen Äpfel und ein Stück Brot zu. Da musste man sehr aufpassen, dass um Himmels Willen keiner von den Aufsehern Wind davon bekam. Aber das haben viele Frauen gemacht, viele.«

      »Darf ich wiederkommen?«, fragte ich bei der Verabschiedung an der Haustür.

      »Ja, gern. Aber Sie müssen sich zu erkennen geben«, sagte sie, weil sie nicht jedem die Tür öffne. Man wisse ja nie … und sie sei ja auch ganz allein im Haus.

      Ein Gerücht machte sich breit, von dem sich bald herausstellte, dass es völlig aus der Luft gegriffen war. Es hieß, der Bahndamm in Bruttig solle abgerissen werden. Oben auf dem Bahndamm hatte das Lager gestanden. Auch Frieda H. hatte das erzählt.

      Falls noch Gebäude oder Teile der Lageranlage stehen, überlegte ich, werden diese jetzt womöglich mit dem Bahndamm dem Abriss zum Opfer fallen. Ich machte mich, mit dem Fotoapparat ausgerüstet, auf den Weg nach Bruttig. Dort war Kirmes. Die Leute waren mit sich und ihren Festtagsgästen beschäftigt, was mir ganz recht war, denn so konnte ich mich unbeobachtet fühlen. Ich ging zu der Baracke hin, die uns ja auch schon aufgefallen war, verknipste hier und nachher auf dem Friedhof einen ganzen Film. Abgesehen von der erwähnten Baracke und einem kleinen Schuppen standen an der Stelle, wo sich das Lager befand, kleine Einfamilienhäuser mit gepflegten Vorgärten. Ich hielt diese Häuser damals für Neubauten, weil sie sich in recht ordentlichem Zustand befanden. Später habe ich erfahren, dass es sich bei den Häusern um restaurierte, ehemalige Häftlingsbaracken des KZ-Außenlagers in Bruttig handelt.

      Auf dem Bruttiger Friedhof hinter der Kirche wurde ich unerwartet fündig. Direkt neben dem Treppenaufgang befinden sich Grabsteine, wie sie gewöhnlich auf Kriegsgräbern stehen. Ich entsann mich, dass Frieda H. darüber gesprochen und gesagt hatte, dass auf dem Bruttiger Friedhof tote KZ-Gefangene begraben worden seien.

      »Früher lagen noch mehr da, die hier gestorben sind«, hatte sie gesagt. »Die sind aber fortgekommen.«

      1 Siebzehn auf dem Bruttiger Friedhof in einem Massengrab verscharrte Leichen von KZ-Häftlingen wurden auf Anordnung der französischen Besatzungsbehörden am 30. September und 1. Oktober 1947 exhumiert. Sieben der Toten wurden später auf dem Bruttiger Friedhof bestattet, die übrigen zehn Toten wurden überführt und in ihren jeweiligen Heimatorten beigesetzt. Quelle: Gespräch mit dem ehemaligen Bruttiger Bürgermeister Manfred Ostermann, vgl. hierzu auch Exhumierungsbericht von Dr. Paul Geis, Koblenz in Guido Pringnitz: Deckname »Zeisig«, 1. Auflage, Treis 2016

      Auf sieben Grabsteinen von insgesamt zwölf stehen Namen, die fremdländisch klingen. Das Todesdatum der Begrabenen fällt ohne Ausnahme in das Jahr 1944, das Jahr, in dem das Lager Bruttig existierte.

      Die sieben Grabinschriften lauten:

      Adolf Czech * 01.10.1910 † 26.07.1944

      Josef Anoilczyk * 02.05.1894 † 30.07.1944

      Louis Christian Vervooren * 09.10.1895 † 31.03.1944

      Hendrikus Rempe * 21.02.1903 † 26.03.1944

      Josef Dunal * 13.01.1896 † 01.08.1944

      Ignatz Chrzuszoz * 14.01.1909 † 31.07.1944

      Jan Krolak * 24.04.1904 † 30.07.1944

      Über das Leben und die Umstände des Todes einiger der hier Begrabenen sollte ich noch manches mehr erfahren, als ich an dem Bruttiger Kirmestag ahnte. Davon werde ich dir später berichten.

      Abb. 4: Überreste des Konzentrationslagers in Bruttig. Die Abbildungen 4 – 7 zeigen die zentrale und größte Baracke des ehemaligen Lagers, den »Speisesaal« der Häftlinge. Das Gebäude befindet sich auf den Abbildungen aus dem Jahr 1986 noch weitestgehend im Originalzustand. (Fotos: E. Heimes aus dem Jahr 1986)

      Abb. 5

      Abb. 6

      Abb. 7

      Abb. 8: Eines der Gebäude des ehemaligen Lagers Bruttig, in dem sich »sanitäre Anlagen« befanden. (Foto: E. Heimes aus dem Jahr 1986)

      Abb. 9: Der Bahndamm auf dem sich das Lager befand, führt in Bruttig quer durch den Ort. Über der Unterführung ist eine ehemalige Häftlingsbaracke (»Speisesaal«) zu erkennen. (Foto: Christian Gasterstädt).

      Das sogenannte Stammlager

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