Название: Ich habe immer nur den Zaun gesehen
Автор: Ernst Heimes
Издательство: Автор
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783898018746
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»Ah, aus Luxemburg!«, sagten alle erstaunt, denen er die Frau vorstellte. Ihr Vater sei ein hohes Tier in der luxemburgischen Regierung, hatte der Freund gesagt. Erst damit wurde Luxemburg endgültig als 12. Bundesland abgeschrieben – für Kopf und Bauch.
Luxemburg war das Land gewesen, wohin man billige Zigaretten einkaufen fuhr, wenn man nahe genug an der Grenze wohnte und wohin man eine Tagestour unternahm und Zigaretten mitbrachte, wenn man nicht so nah an der Grenze wohnte. Luxemburg war das Land gewesen, durch das man beiläufig hindurch fuhr, wenn man aus Richtung Mosel kommend nach Paris wollte. Luxemburg war die preiswerte Abschussrampe für Flieger in alle Welt gewesen. Luxemburg, die Stadt, hat einen schönen großen Platz für warme Sommerabende. Hier hatte es sich einen Abend lang aushalten lassen, wenn der Flieger erst am nächsten Morgen startete.
Ich schaute über den Fluss, hinter Trier, in ein anderes Land. Den Fluss kannte ich gut und das Tal. Aber das Land?
Post. Ich erhielt eine wahre Briefflut freundlicher Antwortschreiben aus Luxemburg. Zahlreich Schreiben meinerseits waren diesen nach Luxemburg vorausgegangen. Der luxemburgische Kulturminister machte mich auf seinen Landsmann Ernest Gillen8 aufmerksam. Auch in anderen Schreiben wurde ich immer wieder an ihn verwiesen. Er schien der Mann in Luxemburg zu sein, bei dem die Fäden zusammenliefen, was die Kenntnis über das KZ Natzweiler und seine Außenlager betraf. Wenige Tage später erhielt ich auch von ihm einen Brief. Ich hatte daran gedacht, dass er selbst im Außenlager Cochem gewesen sein könnte und mir vorgestellt, ihn einzuladen, um mit ihm gemeinsam die ehemaligen Lagergelände in Bruttig und Treis zu besuchen.
8 Der ehemalige luxemburgische Häftling des KZ Natzweiler-Struthof, Ernest Gillen, hat nach dem Krieg wie kein anderer maßgeblich zur Aufarbeitung der Geschichte des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof und seiner Außenlager beigetragen. Er ist sozusagen eine Schlüsselfigur in der Forschung und Vertiefung des Themas, und sein Name ist bekannt. Ohne ihn wären auch viele Einzelheiten in diesem Buch über das KZ-Außenlager Cochem verborgen geblieben. Im Jahr 2004 ist Ernest Gillen mit 83 Jahren gestorben. In dieser völlig überarbeiteten Neuausgabe wird sein Name in Gänze genannt und nicht wie in bisherigen Ausgaben mit dem Kürzel Ernest G. Eine Online-Biografie über Ernest Gillen ist unter folgendem Link zu finden: http://www.sintiundroma.de/uploads/media/ernest_gillen.pdf
Er schrieb, dass er selbst nicht im Lager Cochem gewesen sei und auch keinen noch lebenden Luxemburger kenne, der in diesem Lager war. Er sei gern bereit, sich mit mir in Luxemburg zu treffen und hoffe, auch von mir Einzelheiten über Bruttig und Treis erfahren zu können. Er fragte, was ich über die verstorbenen KZler wisse, die in Bruttig beerdigt sind. Ich kannte zwar deren Gräber, schrieb aber, um eventuell mehr zu erfahren, an den Pfarrer von Bruttig und fragte, ob die Kirchenbücher Eintragungen über verstorbene KZ-Häftlinge enthielten. Die Antwort kam jedoch nicht vom Pfarrer, sondern vom Inhaber eines Bruttiger Weingutes, von Manfred Ostermann.
Im Auftrag unseres Herrn Pfarrers teile ich Ihnen folgendes mit: (…) Über das Schicksal der Lagerinsassen und deren Todesumstände gibt es in der Pfarrei und der Gemeinde keine amtl. Informationen, da die Lagerverwaltung mit dem Dorf nichts zu tun hatte. Informationen allgemeiner Art, die das Lager Bruttig-Treis betreffen, können hier bei uns von Ortsansässigen gegeben werden. Dazu wäre notwendig, mit den Leuten persönlich zu sprechen. Für weitere Rückfragen stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.
»Sin sie nich der, der bei ’er Abschlussfeier die Jitarre jespielt hat?«
»Richtig!«
Am Tresen beim Waldfest hatte er mich wiedererkannt. Ich erinnerte mich an ihn wegen seiner Fliegergeschichten, die er immer wieder erzählte, bevor er dann kurz vor Ende der Wirtschaftsgeografiestunde auf die Uhr schaute, »oh, wir ham ja noch jarnich jemacht« sagte und dann mit dem eigentlichen Unterrichtsstoff begann. Seine Stunden waren wegen der Fliegergeschichten durchaus beliebt, immer recht unterhaltsam, witzig und wurden von uns Schülern, wenn nicht zur Belustigung, zumindest aber als Ruhestunden genutzt. Schlechte Noten konnte man von Schmitze sowieso nicht bekommen.
»Ick hab ja viele Schüler in den letzten fünfundzwanzig Jahren hier jesehn, aber ihr Jesicht hab ick mir behalten.«
Und schon kamen wir ohne Umschweife zu den Fliegergeschichten, dann zu den »eijentlichen deutschen Grenzen« und den »janzen Drückeberjern«, die »jarnich arbeiten wollen« nach Kreta, wo »ick vor zween Jahren jewesen bin.
Mich wundert det, dat die Leute da jarnich jejen uns haben, die sind so friedlich zu uns Deutsche.« Er lachte.
Im zweiten Weltkrieg, erzählte er, sei eine Partisanengruppe auf Kreta von der Bevölkerung eines kleinen Dorfes unterstützt worden. Dort habe man die Widerstandskämpfer vor den Deutschen auch versteckt. Das gesamte Dorf sei damals von den Deutschen »dem Erdboden gleich jemacht« worden, als das mit den Partisanen heraus gekommen sei. Das Dorf, sagte Schmitze, habe er bei seiner Reise wieder besucht.
»Da steht jetzt keen einziet altet Haus mehr. Lauter neue Häuser.« Und dann lachte er wieder, der kleine Schmitze, und lieb und nett fragte er, ob ich ein Bier mit ihm trinke.
»Ja gerne.«
Mit wem, der hier über sechzig war, hätte ich denn ein Bier trinken können, hätte ich mit keinem Ex-Nazi eines trinken wollen? Also trank ich auch mit Schmitze. Er hatte so ein dummes, liebliches Opagrinsen in seinem runden Gesichtlein stehen, wenn er »dem Erdboden gleich jemacht« sagte.
»Prost, Schmitze!«
Ganz in der Nähe des Dorfes auf Kreta habe er ein deutsches Denkmal entdeckt. Damit habe das Deutsche Reich seinen tapferen Söhnen gedankt, die in Griechenlands Hitze ihr Leben für ihr Vaterland ließen.
»Die Griechen haben det wahrscheinlich jarnich lesen können. Ick bin in ’en nächsten Ort jejangen, hab ’nen Blumentopf jekooft und hab den vor dat Denkmal jestellt.«
Prost, Schmitze!
Ich habe Ihren Brief an meinen KZ-Kameraden Ernest Gillen weitergeleitet. Er wird gerne bereit sein, Sie evtl. mit anderen Widerstandskämpfern in Verbindung zu bringen, schrieb mir der luxemburgische Minister für Justiz und Kultur, Robert Krieps. An diesen Worten erfuhr ich einmal mehr, dass Luxemburg nicht Deutschland, sondern ein völlig anderes Land ist, als das unsere.
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