Название: Ich habe immer nur den Zaun gesehen
Автор: Ernst Heimes
Издательство: Автор
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783898018746
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Das KZ Natzweiler-Struthof wurde daraufhin zu einer Stätte, die nach dieser Anordnung arbeitete: schnelle Vernichtung von Gegnern des Regimes, ohne Hinterlassung von Spuren. Es ist schwer, all die Grausamkeiten und verschiedenen Strafen aufzuschreiben, die sich die SS für die Häftlinge ausgedacht hatte. Dennoch will ich Dir einen Eindruck vermitteln, wie es den Menschen in Natzweiler ergangen ist, denn Natzweiler war das Stammlager von Cochem und damit maßgebend.
Der Augenzeuge René Marx berichtet: Außerdem wurde von der SS eine Jagd auf Widerstandskämpfer begonnen. (…) Das Ergebnis dieser Offensive ließ nicht auf sich warten. Noch am gleichen Abend, gegen Mitternacht, kam ein Lastwagen nach dem anderen und fuhr zum Krematorium. Von dem Motorenlärm geweckt, bezog ich wieder meinen Beobachtungsposten am Fenster, das auf die Hauptstraße ging. Der Kamin des Krematoriums, vom Schein des Feuers gerötet, hob sich unheimlich von der Dunkelheit ab. Was ging da vor? Vielleicht, sagte ich mir, verbrennt die SS ihre Akten, bevor sie das Lager evakuieren würde. Am nächsten Tag war ich erstarrt. Ein Kamerad aus Luxemburg, der die Nacht im Ankleidungsblock direkt über dem Krematorium verbracht hatte, erzählte mir, dass stundenlang Scharen von Männern und Frauen auf Lastwagen gebracht wurden und dass man die ganze Zeit ein Geräusch gehört habe, das an das Zuknallen einer Tür erinnerte und gleichzeitig erstickendes Schreien und Singen. Von all diesen Menschen, die man zum Krematorium gebracht hatte, war nicht mehr übrig, als ein brenzliger Geruch im Lager und grauer Rauch, der unaufhörlich vom großen Kamin aufstieg und dann in das Tal hinabsank. Es war leicht zu verstehen, was geschehen war. Die Menschen, die man ins Krematorium gebracht hatte, waren die Widerstandskämpfer aus der Umgebung. Man hatte sie eingekreist, gefangengenommen, auf Lastwagen geladen und zu den Verbrennungsöfen gebracht. Das Geräusch, das einer schlagenden Tür ähnelte, war das Knallen der Sechsmillimeter-Revolver der SS, die ihre Opfer durch Genickschuss tötete.4
4 Quelle: KZ Lager Natzweiler Struthof, Nancy 1982
Die Anforderungen in der Strafkompanie waren so schwer, dass die Zuteilung in diese für viele Gefangene einem Todesurteil gleich kam. Mit der Zunahme der N.N. Häftlinge, die ja die brutalste Behandlung überhaupt erfuhren, verlor die Strafkompanie allmählich an Bedeutung. Die Bestraften wurden einfach den N.N. gleichgesetzt.
Nach der regulären Arbeitszeit, die im Sommer bereits um 4:00 Uhr morgens begann, mussten häufig noch Strafarbeiten ausgeführt werden. Dabei handelte es sich meist um völlig unsinnige Beschäftigungen, wie das Tragen von Schnee oder Material von einem Ort zum anderen und zurück.
Eine harte Strafe war das Torstehen. Je nach Schwere der Vergehen mussten die Häftlinge stunden- oder tagelang am Lagertor stehen. Sie bekamen während dieser Zeit nichts zu essen. Ihre Mütze mussten sie abnehmen und in der Hand halten. Viele brachen vor Erschöpfung zusammen.
Bestrafungen für Verstöße gegen die Disziplin waren in drei Stufen unterteilt. Erste Stufe: Drei Tage Holzpritsche in einer hellen Zelle mit Wasser und Brot. Zweite Stufe: Bis zu 24 Tage Holzpritsche in einer dunklen Zelle bei Wasser und Brot, nur jeden vierten Tag normale Ernährung. Dritte Stufe: Eingepfercht in eine Wandnische, die eigentlich als Heizungsschacht vorgesehen war. Ein Mensch konnte darin nicht liegen, nicht sitzen, nicht aufrecht stehen. Die Höhe der Nische betrug ein Meter dreißig. Der Grundriss des Schachtes war so klein, dass einer, der diese Strafe erhielt, dort hineingezwängt werden musste. An dieser Folter sind viele gestorben.
Gefoltert wurde auch auf dem Prügelbock, auf den der Häftling festgeschnallt und mit einem Stock geschlagen wurde. Je nach Schwere der Strafe wurden zwischen 10 und 50 Schläge auf das Gesäß oder auf den Rücken in Höhe der Nieren verabreicht. Dabei musste der Gefolterte die Stockschläge selbst zählen. Verzählte er sich, wurde wieder bei eins angefangen. Viele verloren bei der Prozedur das Bewusstsein.
Todesstrafen durch Erhängen wurden am Galgen in der Mitte des Lagers öffentlich vollzogen. Alle Häftlinge mussten den Exekutionen ihrer Kameraden zusehen. Wurden mehrere erhängt, ging es der Reihe nach. Der Zweite und der Dritte sahen zu, wie der Erste, der Dritte sah zu, wie der Zweite erhängt wurde, bis er selber an der Reihe war. Der Tod soll jeweils nach einigen Minuten eingetreten sein, wurde also nicht durch einen schnellen Genickbruch, sondern durch langsames Erwürgen durch den Strang herbeigeführt. Die Erhängten wurden in Holzkisten durch das Lager zum Krematorium getragen. Automatisiertes Auslöschen von Leben.
Das Lager Natzweiler diente den Deutschen auch als Hinrichtungsstätte für Nicht-Lagerinsassen. Eine regelrechte Mordindustrie hatte die SS hier geschaffen. Delinquenten wurden von außerhalb zur Tötung ins Lager gebracht. In der Regel wurden diese in aller Stille im Krematorium erhängt und verbrannt. An der Decke waren zu diesem Zweck eine Reihe von Eisenhaken angebracht worden. Die einzigen Zeugen dieser Hinrichtungen sollen der Henker und dessen Helfer gewesen sein.
Mit der Bitte um Sonderbehandlung brachte die Gestapo Gefangene nach Natzweiler. Mit diesem Hinweis Eingelieferte wurden sofort getötet.
In einer Kiesgrube, in der Nähe des Lagers fanden Erschießungen statt. Die Menschen wurden durch Exekutionskommandos oder durch Genickschuss mit der Pistole durch einzelne SS-Leute getötet. Die Leichen wurden verbrannt.
Andere wurden durch Injektionen giftiger Substanzen getötet. Viele wurden, wie es hieß, auf der Flucht erschossen. Sie wurden in den Tod getrieben, erschlagen oder starben an Erschöpfung.
Besonders wegen der Durchführung medizinischer Versuche hat sich das Lager Natzweiler einen grauenvollen Namen gemacht. Es handelte sich dabei um Experimente an lebenden Personen. Mit der ausdrücklichen Genehmigung des Reichsführers SS, Himmler, wurden unter der Leitung des berüchtigten Professors Dr. August Hirt Versuche an KZ-Häftlingen durchgeführt. Manche ausgesuchte Häftlinge wurden eigens zur anschließenden Obduktion getötet. Ein Raum mit Seziertisch befand sich im Gebäude des Krematoriums. Der Umbau des Kühlraumes des ehemaligen Hotels Struthof in eine Gaskammer geschah auf Veranlassung von Prof. Hirt. Zur Gaskammer gab es ein Fenster, von dem aus er den Vorgang der Vergasung seiner Opfer von außen beobachten konnte. Hier wurden Leichen und Leichenteile nach Vorschrift hergestellt, die für medizinische und sogenannte rassenspezifische Untersuchungen Verwendung fanden. Die Leichen wurden auf der Stelle seziert und untersucht oder in bestimmten Fällen zur Universität Straßburg gebracht. Das Anatomische Institut der Universität wurde aus dem Konzentrationslager mit Leichen oder Leichenteilen beliefert, um seine kriegswichtigen Geheimversuche durchführen zu können. Ein Briefwechsel, der heute im Bundesarchiv in Koblenz archiviert ist, befasst sich mit der Lieferung eines Versuchs-Tiefkühlschrankes durch die Firma LINDE an die Reichsuniversität Straßburg.
Manchen Gefangenen wurden testweise Viren oder Giftpräparate injiziert. Im Jahr 1944, so ist in den Nürnberger Prozessakten nachzulesen, wurden im KZ Natzweiler zweihundert Personen Typhusviren eingeimpft.
Eines Tages kamen im Lager der schon erwähnte Universitätsprofessor aus Straßburg und ein Fliegeroffizier an. Sie verlangten dreißig junge und kräftige Internierte, die sie in einem Block isolierten. Eine Hälfte des Blockes wurde abgeschlossen, und niemand außer dem Professor, dem Offizier und mir durfte hineingehen. Man bestimmte mich dazu, die Kranken zu versorgen und den Ablauf der Krankheit zu beobachten. Es war den SS-Leuten verboten, in den Block hineinzugehen. Es war uns verboten zu erzählen, was dort geschah.
Ich habe folgendes gesehen: Der Offizier und der Professor setzten ihre Gasmasken auf. Sie spritzten dann in die Handfläche und auf die Innenseite des Vorderarmes etwa zehn Kubikzentimeter eines Produktes ein. Zehn Gefangene bekamen sodann СКАЧАТЬ