Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Ein alter Landstreicher, der unten in einer Vertiefung gekauert hatte, sah plötzlich das seltsame Ungetüm über seinen Kopf hinwegsausen und wenige Schritte vor ihm auf dem Strande zerschellen. Eiligst rannte er davon, um die nächstwohnenden Landleute zu benachrichtigen.
Allmählich lief die ganze Umgebung zusammen. Entsetzt starrten alle die Menschen auf die schaurigen Trümmer unter denen zur Unkenntlichkeit zerschmettert die Körper der beiden hervorragten. Was sollte nun geschehen? Man beschloss endlich, zwei Karren anzuspannen und die Leichen nach Peuples und Vrilette zu schaffen.
Als der Graf den Schäferkarren hatte rollen sehen, war er davongelaufen, so schnell ihn seine Füsse zu tragen vermochten. Nach stundenlangen Umherirren durch Sturm und Regen langte er endlich im Schlosse an. Man teilte ihm sofort mit, dass die Pferde reiterlos angekommen seien. »Es muss ihnen bei dem Sturm etwas passiert sein. Alles soll sofort auf die Suche gehen,« rief er mit stockender Stimme.
Eine Stunde später fuhr ein Karren in den Schlosshof. Man trug eine unkenntliche in Mäntel gehüllte Last die Treppe hinauf. Festen Schrittes folgte ihr der Graf.
Auch in Peuples fuhr ein Karren vor und Johanna brauchte nicht erst zu fragen, was dort unter Mänteln versteckt liege. Mit einem lauten Aufschrei brach sie zusammen. Als sie erwachte, stand ihr Vater neben ihr: »Weißt du schon …« begann er zögernd. »Ja, Papa,« antwortete sie.
An demselben Abend wurde sie von einem toten Kinde entbunden. Es war ein Mädchen.
Ein heftiges Fieber trübte für lange Zeit ihre Sinne.
*
XI.
Drei Monate blieb sie in ihrem Zimmer, immer zwischen Leben und Tod schwebend. Erst allmählich kehrte ihre Gesundheit wieder. Aber niemals fragte sie nach den näheren Umständen jenes schrecklichen Tages, niemals erwähnte sie des Besuches, den Graf Fourville ihr damals gemacht hatte.
Paul war jetzt ihr alles; er wuchs heran und wurde stark und kräftig; aber das Lernen war nicht seine Leidenschaft und in der Religion erzog ihn der Baron nach seinen Ideen. Johanna besuchte die Kirche seit seinem letzten Besuche des Abbé Tolbiac nicht mehr. Mit fünfzehn Jahren wurde Paul ins Kolleg gebracht; der Trennungsschmerz war für Johanna ein neues Glied in der Kette ihrer Leiden. Jetzt erst begann das rechte Elend; denn Pauls Studien liessen alles zu wünschen übrig. Fast in jeder Klasse brachte er zwei Jahre zu. Im Übrigen war er ein großer Bursche geworden mit einem kleinen blonden Koteletten auf den Wangen und einem Anflug von Schnurrbart. Seine Mutter betrachtete ihn immer noch wie ein kleines Kind. »Paul erkälte Dich nur nicht« – »Paulchen geh nur nicht zu schnell, Du wirst Dich überhitzen,« das waren ihre ständigen Ermahnungen.
Die Sorgen mehrten sich von Tag zu Tag. Paul schien ganz das Gegenteil seines Vaters zu sein. Es dauerte nicht lange, so präsentierte ein Jude einen Wechsel von ihm über fünfzehnhundert Francs. Es habe sich um eine Spielschuld gehandelt, die Paul nicht hätte einlösen können, wenn er ihm nicht aus »reiner Gefälligkeit« das Geld geliehen hätte. Der Baron löste den Wechsel mit tausend Francs ein und warf den Juden zur Türe hinaus. Dann fuhr er mit Johanna nach Havre. Aber hier wurde ihnen im Kolleg die Mitteilung gemacht, dass Paul seit einem Monat nicht dort sei. Der Direktor war durch Briefe auf denen Johannas Unterschrift stand in den Glauben gebracht, sein Schüler liege krank in Rouen; selbstredend war alles gefälscht, ebenso das ärztliche Attest. Man brachte nun die Polizei auf die Beine, welche Paul am anderen Morgen aus dem Bette eines bekannten Kontrollmädchens holte und zu seinen Eltern zurückführte. Diese nahmen ihn mit nach Peuples, wo er ganz behaglich lebte und sogar auf der See seine Bootfahrten machte. Inzwischen beliefen sich seine Schulden, denen man jetzt nachforschte, auf rund fünfzehntausend Francs. Aber nichts vermochte die Mutterliebe zu erschüttern.
Eines Abends kehrte Paul von einer Bootfahrt nicht mehr zurück. Welche Qualen musste das Mutterherz ausstehen! Er war nach Havre gefahren, wie man durch einige Fischer erfuhr. Dort angestellte Nachforschungen ergaben, dass auch jenes Kontrollmädchen, bei der man ihn zum ersten Mal erwischte, ihre Sachen verkauft hatte und nach England abgereist war. Johannas Haar war jetzt schneeweiß geworden; oft fragte sie sich, warum das Schicksal gerade sie so erbarmungslos verfolge. Abbé Tolbiac schrieb ihr einen Brief. »Gottes Hand lastet schwer auf Ihnen … Erkennen Sie darin einen Wink zur Umkehr … Suchen Sie Trost in Gott … Er wird helfen …« Das waren die Grundgedanken, die in dem Briefe zum Ausdruck kamen. Am nächsten Abend beichtete Johanna seit langer Zeit zum ersten Male wieder. Zwei Tage darauf kam ein Brief von Paul an; es waren vier Wochen seit seinem Verschwinden dahingegangen. Paul erklärte, er sei dem Verhungern nahe; man möge ihm fünfzehntausend Francs von seinem väterlichen Erbteil schicken. Er müsse sie seiner Geliebten zahlen, um von ihr loszukommen und heimkehren zu können. Johanna jubelte und sandte das Geld. Wer nicht zurückkam, war Paul. Monate vergingen, ohne dass man eine Silbe von ihm hörte. Das Leben auf dem Schlosse war entsetzlich traurig. Johanna und Tante Lison gingen jetzt täglich zur Kirche; aber der Baron durfte es nicht merken. Endlich nach einer Ewigkeit kam ein Brief aus Paris. Er habe alles an der Börse verloren, schrieb Paul, und sei noch mit fünfundvierzigtausend Francs engagiert. Ihm bleibe nur noch die Kugel übrig, wenn er nicht bezahle. Der Baron nahm abermals Geld auf und sandte es nach Paris. Paul dankte begeistert und stellte seine baldige Rückkehr in Aussicht. Aber er kam nicht.
Ein ganzes Jahr verging.
Plötzlich erfuhr man, er sei in London und habe unter der Firma »Paul Delamare & Cie.« ein Dampfschiff-Unternehmen begründet. »Der Weg zum Reichtum liegt jetzt vor mir«, schrieb er. »In kurzer Zeit seht ihr mich als Millionär wieder.«
Drei Monate später war die Firma »Delamare« bankerott; das Defizit betrug zweihundertfünfunddreissigtausend Francs. Der Baron nahm die letzten Hypotheken auf Peuples und die beiden Pachthöfe auf. Eines Abends fand man ihn tot vor dem Schreibtische sitzen; ein Schlaganfall hatte seinem Leben ein Ende gemacht. Tante Lison folgte ihm nach kurzer Zeit ins Grab. Johanna stand nun ganz allein.
Ein Trost wurde ihr allerdings in dieser Zeit. Rosalie erschien plötzlich auf dem СКАЧАТЬ