Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Johanna hielt verständnislos inne. Was war das? An wen, für wen, von wem waren diese Liebesbeteuerungen?
Wieder fortfahrend fand sie stets wieder diese wahnwitzigen Liebesschwüre, diese Stelldicheins mit Mahnungen zur Vorsicht, und stets zum Schluss die fünf Worte: »Verbrenne vor allem diese Zeilen!«
Endlich öffnete sie ein nichtssagendes Billet, eine einfache Zusage zu einem Diner, aber mit derselben Handschrift und »Paul d’Ennemare« unterzeichnet. Es war derselbe, den der Baron immer »mein guter alter Paul« nannte, wenn er von ihm sprach, und dessen Gattin die intimste Freundin der Baronin gewesen war.
Johanna’s Zweifel wurden jetzt plötzlich zur vollen Gewissheit. Ihre Mutter hatte einen Liebhaber gehabt?
Und mit einem heftigen Ruck schleuderte sie diese schändlichen Papiere von sich wie ein giftiges Reptil, das sich an ihr emporgewunden hatte. Sie lief an’s Fenster und weinte bitterlich, wobei ein heftiges Schluchzen ihr die Kehle zuschnürte. Dann brach sie ganz vernichtet am Fuss der Fensterbrüstung nieder und verbarg ihr Gesicht in den Vorhängen, damit man ihre Seufzer nicht hörte. So weinte sie in tiefster Verzweiflung bitterlich vor sich hin.
Sie würde vielleicht die ganze Nacht so zugebracht haben, wenn nicht das Geräusch von Schritten im Zimmer nebenan sie mit einem Satze aufspringen lassen. War das etwa ihr Vater? Und alle diese Briefe lagen auf dem Bett und auf dem Fussboden zerstreut! Er brauchte nur einen derselben zu öffnen, um alles zu wissen! Er!
Sie stürzte vorwärts und raffte hastig alle diese gelben Papiere zusammen, die Briefe der Großeltern wie des Liebhabers, die, welche sie schon gelesen hatte und jene, die noch unberührt in der Schieblade lagen, um sie in den Kamin zu werfen. Dann nahm sie eine der brennenden Kerzen vom Tisch und entzündete den Papierstoss. Eine helle Flamme züngelte empor, und beleuchtete das Zimmer, das Bett und den Leichnam mit lebhaften auf- und abtanzendem Lichte, das mit schwarzen Umrissen auf dem weißen Vorhange hinter dem Bette das zitternde Profil des starren Antlitzes und die Linien des mächtigen Körpers unter den Betttüchern abzeichnete.
Als nur noch ein Häuflein Asche auf dem Boden des Kamins lag, kehrte sie zurück und setzte sich an’s offene Fenster, als wenn sie nicht mehr wagte in der Nähe der Toten zu sein. Das Gesicht in den Händen begann sie aufs Neue zu weinen.
»O, meine arme Mama, meine arme Mama!« seufzte sie unaufhörlich mit verzweiflungsvollem Klagelaut.
In dieser unglücklichen Stunde wurde ein gutes Teil der Kindesliebe in ihrem Herzen ausgelöscht. Die Kenntnis von dem Geheimnis ihrer Mutter wirkte wie ein kalter Wasserstrahl auf ihr Gemüt.
Als Julius später nochmals erschien, und sie aufforderte, doch etwas zu schlafen, sträubte sie sich nicht. Mit einem letzten Kuss auf die bleiche kalte Stirn der Toten verliess sie das Zimmer.
Der Baron kam am Abend des nächsten Tages; seine Tränen flossen unaufhaltsam.
Die Teilnahme am Begräbnisse war eine aussergewöhnliche und mit hoher Befriedigung sah Julius, dass von dem ganzen Adel der Umgegend kein einziger fehlte. Die Marquise de Coutelier hatte sogar Johanna wiederholt umarmt und geküsst.
Tante Lison, die gleichfalls gekommen war, blieb mit Gilbert während der Feierlichkeit bei Johanna. »Mein armes, teures Herz« sagte die Gräfin immer wieder unter Küssen und Tränen zu der völlig gebrochenen Tochter.
Als der Graf vom Begräbnisse zurückkehrte, weinte er, als habe er seine eigene Mutter zur Ruhe gebettet.
*
X.
Traurige Tage waren es, die diesem Ereignisse folgten; doppelt traurig für Johanna, die unter den Erinnerungen der letzten Nacht bei der toten Mutter entsetzlich litt. Dazu erkrankte Paul; und wenn er auch wieder genas, so verfolgte sie doch stets der Gedanke, dass er ihr einmal durch den Tod entrissen werden könnte. In ihrem Herzen erwachte die Sehnsucht nach einem zweiten Kinde; aber sie lebte von Julius getrennt, seitdem sie Kenntnis von seiner abermaligen Untreue hatte. Und doch wuchs ihre Sehnsucht von Tag zu Tag.
Ihr Vater war wieder abgereist; die Mutter tot. Wem sollte sie sich anvertrauen? Endlich beschloss sie sich dem Abbé Picot in der Beichte ihren Wunsch zu bekennen. Der wackere Mann hörte sie mit einem gewissen Erstaunen an, das nur zu begreiflich war. wenn er an die Gewohnheiten und die rücksichtslose Sinnlichkeit seiner ländlichen Beichtkinder dachte. Aber er war doch zartfühlend geblieben, inmitten dieser Naturkinder und sagte ihr tröstend zum Abschied: »Verlassen Sie sich auf mich; ich werde mit Julius reden.« Und wenige Tage darauf lebten sie wieder vereint, wie in der ersten Zeit.
Aber Julius übte seine Pflichten nur halb aus; seine Sorge, dass Johanna abermals Mutter würde, konnte er schliesslich vor dieser selbst nicht verhehlen. Vergeblich verdoppelte sie ihre Zärtlichkeit um ihn zu verleiten, seine Selbstbeherrschung aufzugeben. Er blieb indessen stets zurückhaltend und wusste jeden Erfolg ihres ehelichen Zusammenlebens zu vermeiden.
Da beschloss sie, unfähig ihr heftiges Verlangen nach einem Kinde länger zu bemeistern, abermals Abbé Picot aufzusuchen. Er wusste Rat. »Es gibt nur ein Mittel, liebes Kind«; sagte er nach einigem Besinnen. »Sie bringen ihm die Überzeugung bei, dass Sie sich abermals Mutter fühlen. Dann wird er seine Vorsicht vergessen.« Johanna errötete; aber er wusste ihre Zweifel zu zerstreuen. »Die Kirche kann die Zurückhaltung des Gatten nicht billigen; Sie haben ein Recht, ihn zu seiner Pflicht zurückzuführen.«
Julius ließ sich wirklich täuschen. Einmal überzeugt, verlor er die lange bewährte Selbstbeherrschung und Johanna sah sich nach Verlauf eines Monats am Ziel ihrer Wünsche. Von da an schloss sie abends ihre Türe und gelobte aus Dankbarkeit dem Himmel eine ewige Keuschheit.
Gegen Ende des Monats kam der gute Abbé Picot und stellte seinen Nachfolger, СКАЧАТЬ