Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Die beiden Damen, ganz aufgelöst, rührten sich kaum und man hörte deutlich im Innern des Wagens den lauten Herzschlag der Baronin.
Beim Diner war Julius liebenswürdiger wie gewöhnlich, als ob nichts vorgefallen wäre. Johanna, ihr Vater und Madame Adelaïde, die in ihrer Gutmütigkeit schnell vergassen und froh waren, ihn so liebenswürdig zu sehen, stimmten seiner heiteren Laune zu, wie bei Jemandem, der sich auf der Besserung befindet. Als Johanna wieder auf die Brisevilles zu sprechen kam, stimmte ihr Mann selbst in ihre Scherze ein; aber er fügte dann schnell hinzu: »Ganz egal, vornehme Allüren haben sie doch.«
Man machte keine weiteren Besuche, da jedes fürchtete, die Szene mit Marius könnte sich wiederholen. Man beschloss nur, zum Neujahrstage den Nachbarn Karten zu schicken und für den Besuch die ersten warmen Tage des nächsten Frühlings abzuwarten.
Weihnachten kam heran. Man hatte den Pfarrer, den Maire und dessen Frau zum Diner eingeladen und bat sie für Neujahr abermals zu demselben. Dies waren die einzigen Zerstreuungen, welche die Einförmigkeit der Tage unterbrachen.
Papa und Mütterchen wollten Peuples am 9. Januar verlassen. Johanna hätte sie gern noch zurückgehalten, aber Julius schien dafür weniger eingenommen zu sein. Der Baron, der die immer mehr zunehmende Kälte seines Schwiegersohnes bemerkte, ließ einen Postwagen von Rouen kommen.
Am letzten Tage vor ihrer Abreise, als man mit dem Packen fertig war, beschlossen Johanna und ihr Vater bei dem klaren Frostwetter einen Spaziergang nach Yport zu machen, wo sie seit ihrer Rückkehr von Corsika nicht mehr gewesen waren.
Sie kamen durch das Gehölz, wo sie an ihrem Hochzeitstage mit Julius gewesen war. Damals war sie ganz aufgegangen in den, dessen Gefährtin sie fürs ganze Leben sein sollte; in diesem Holze hatte sie seine ersten Zärtlichkeiten empfangen, hatte im ersten Liebesschauer gezittert, hatte jenen Sinnesgenuss vorausgefühlt, den sie in Wirklichkeit erst in dem romantischen Ota-Tale, dort an der Quelle kosten sollte, als ihre Küsse sich unter dem Wasser vermengten.
Jetzt gab es kein Laub mehr, keine sprossenden Kräuter; man hörte nur noch das Knarren der Äste und jenen trockenen Ton, den die entlaubten Zweige im Winter von sich geben.
Sie kamen in das Dörfchen. Die öden stillen Strassen dufteten nach Meeresluft, nach Seegras und Fischen. Die großen lohfarbenen Netze, die vor den Häusern hingen oder auf dem Boden ausgebreitet waren, trockneten noch wie sonst an der Luft. Das graue kalte Meer mit seinen ewig grollenden Schaumwogen begann zu sinken; schon lagen nach Fekamp zu die grünlichen Felsen am Fuss der Küste entblöst. Die großen umgestülpten Kähne längs des Strandes sahen wie mächtige tote Fische aus. Der Abend brach herein. Die Fischer kamen in Gruppen heran, schwerfällig in ihren großen Wasserstiefeln dahinschreitend, den Kopf mit einem Wolltuch verhüllt, eine Branntweinflasche in der einen Hand und in der anderen die Bootslaterne. Lange umstanden sie ihre umgestülpten Fahrzeuge, rückten sie dann zurecht und luden mit echt normännischer Langsamkeit ihre Netze, ihre Bojen, ein dickes Brot, einen Topf Butter und die Branntweinflasche ein. Dann schoben sie die Barke ans Wasser, die mit großem Geräusch über den Kies rollte, den Schaum aufspritzen ließ und auf den Wogen schwamm. Einige Augenblicke tanzte sie hin und her, dann breitete sie wie ein Vogel ihre großen braunen Flügel aus und allmählich verschwand ihr kleines Licht an der Spitze des Mastbaumes im Dunkel der Nacht.
Die starkknochigen Fischerfrauen, deren dürre Beine unter den kurzen Röcken hervorsahen, kehrten, als der letzte Fischer abgefahren war, in das öde Dorf zurück und erfüllten mit ihren kreischenden Stimmen die stille Ruhe der Nacht.
Schweigend betrachteten der Baron und Johanna die Ausfahrt dieser Leute, welche sie jede Nacht unternahmen und bei der sie jedes Mal ihr Leben aufs Spiel setzten, um nicht vor Hunger zu sterben. Und doch ging es ihnen so schlecht, dass sie niemals ein Stück Fleisch auf dem Tische sahen.
»Das ist schrecklich und schön zugleich«, sagte der Baron mit einem begeisterten Blick auf den Ozean. »Dieses Meer mit seiner Finsternis, auf dem so Mancher sein Leben lässt. Großartig, nicht wahr, Johanna?«
»Aber doch noch nichts gegen das Mittelländische Meer«, sagte sie mit kühlem Lächeln.
»Das Mittelländische Meer?« sagte ihr Vater fast entrüstet. »Was ist das? Öl, Zuckerwasser, blaues Wasser in einem Waschbecken. Sieh nur dieses hier, wie schrecklich es ist mit seinen Schaumwellen. Und denke nur an alle diese Leute, die dadrauf hinausgefahren sind und die niemals zurückkehren.«
»Nun ja, wie Du meinst«, sagte Johanna mit einem Seufzer. Aber dieses Wort »Mittelländisches Meer«, das ihr auf die Lippen gekommen war, hatte aufs neue ihr Herz getroffen, und sie in Gedanken wieder in jene Gegenden versetzt, die alle ihre Träume erfüllten.
Vater und Tochter kehrten nicht wieder durch das Gehölz zurück, sie benutzten die Landstrasse und stiegen langsam die Küste hinan, das Herz voll Traurigkeit ob der bevorstehenden Trennung.
Zuweilen, während sie den Gräben des Pachthofes entlang gingen, schlug ihnen der Geruch von zerquetschten Äpfeln, dieser eigentümliche Dunst von frischem Cider ins Gesicht, der zu dieser Zeit über der ganzen Normandie zu lagern scheint. Dazwischen mengte sich ein kräftiger Stalldunst, jener gesunde warme Dunst, wie er aus dem Kuhstall hervordringt. Im Hintergrunde des Hofes zeigte ein kleines erleuchtetes Fenster die Stelle an, wo das Wohnhaus stand.
Johanna kam es vor, als ob ihr Herz sich erweitere und unsichtbare Dinge umfasse. Diese einzelnen Lichter, die in der Gegend ringsum verstreut waren, schienen ihr das getreue Abbild der Einsamkeit jener Wesen, die stets für sich leben, stets von allem getrennt sind, und die alles von jenen abzieht, welche sie lieben würden.
»Das Leben ist nicht immer schön«, sagte sie hierauf in resigniertem Tone.
»Was kann man machen, Kindchen?« seufzte der Baron, »wir können es nicht ändern.«
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