Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
isbn:
Und dann machte ich einige Zeit später einen Versuch: Ich zeigte ihr meine Taschenuhr. Sie nahm sie und sah sie lange an. Dann schrie sie plötzlich auf eine furchtbare Art, als wenn der Anblick dieses kleinen Gegenstandes mit einem Male das bereits einschlummernde Gedächtnis wieder aufgeweckt hätte.
Sie ist jetzt mager, so mager, dass man von Mitleid bewegt wird; ihre Augen sind hohl und funkelnd. Und sie geht ohne Unterlass hin und her, wie ein wildes Tier im Käfig.
Ich habe die Fenster vergittern, mit hohen Laden versehen und die Stühle am Boden befestigen lassen, um zu verhindern, dass sie auf die Strasse schaut, ob er wiederkomme.
Ach die armen Eltern! Was für ein Leben müssen sie führen!
Wir hatten inzwischen den Hügel erreicht und der Doktor wandte sich mit den Worten um:
»Sehen Sie, hier haben Sie Riom vor sich.«
Die Stadt hatte das finstere Aussehen aller alten Städte. Nach hinten zu breitete sich unabsehbar eine grüne, waldige, mit zahlreichen Dörfern und Städten übersäete Ebene aus; der blaue Dunst, in dem sie gebadet war, bildete einen wunderbaren Hintergrund.
Der Doktor begann mir die verschiedenen Orte der Reihe nach zu nennen und mir die Geschichte jedes einzelnen zu erzählen.
Aber ich hörte nicht recht zu; ich dachte nur an die Wahnsinnige, die mir immer vor Augen stand. Sie schien mir wie ein trauriger Geist über der ganzen weiten Gegend zu schweben.
Und plötzlich unterbrach ich den Erzähler mit der unvermittelten Frage:
»Und was ist aus ihm, dem Ehemann, geworden?«
»Er lebt in Royat von der Pension, die ihm ausgezahlt wird. Er ist glücklich und amüsiert sich«, antwortete etwas überrascht mein Freund nach einigem Zögern.
Als wir beide, traurig und schweigsam, langsamen Schrittes heimkehrten, fuhr plötzlich ein englisches Dog-Kart, von rückwärts kommend, in sausendem Tempo an uns vorüber.
»Das ist er!« sagte der Doktor, meinen Arm ergreifend.
Ich sah nur einen grauen Filzhut, schief auf einem Ohre sitzend, über zwei breiten Schultern, in einer Staubwolke verschwinden.
*
I.
Da das Wetter sehr schön war, so hatten die Bauersleute schneller als sonst gegessen und waren aufs Feld gegangen.
Rose, das Dienstmädchen, blieb ganz allein in der großen Küche zurück, auf deren Herd noch einige Kohlen in der Asche unter dem vollen Wasserkessel glimmten. Sie goss hin und wieder etwas von diesem Wasser in einen Zuber und wusch langsam ihre Schüsseln auf; während sie zuweilen einen Blick auf die zwei hellen Vierecke warf, welche die Sonne durch das Fenster auf dem länglichen Tische bildete, und in denen sich deutlich die schadhaften Stellen der Scheiben abhoben.
Drei kecke Hühner suchten unter den Stühlen nach Brotkrumen; durch die halboffene Tür drang die laue Luft des Stalles und der Dunst des Hühnerhofs, auf welchem die Hähne in der warmen Mittagssonne munter krähten.
Als das Mädchen seine Arbeit beendet, den Tisch abgewischt, den Herd versorgt und die Teller auf dem hohen Gestell hinten neben der einförmig tickenden hölzernen Uhr geordnet hatte, seufzte sie auf; denn sie fühlte sich niedergeschlagen und bedrückt, ohne recht zu wissen warum. Sie schaute die geschwärzten Kalkwände an, die verrauchten Balken der Decke, von welchen Spinnennetze, Bücklinge und Zwiebelbündel herunterhingen; dann setzte sie sich nieder, angewidert von den verschiedenen Ausdünstungen, welche die Tageshitze und das Sonnenlicht aus dem Boden hervorbrachten, auf dem schon so Mancherlei seit so langer Zeit eingetrocknet war. Hierin mischte sich noch der scharfe Geruch der Milch, die in dem kühlen Raume nebenan zum Gerinnen aufgestellt war. Rose wollte sich eigentlich jetzt an eine Näharbeit setzen, aber es fehlte ihr die rechte Lust dazu und sie ging vor die Haustüre, um etwas frische Luft zu schöpfen.
Als sie ins Freie trat und von der Sonne beschienen wurde, ging ihr ordentlich das Herz auf, und sie fühlte im ganzen Körper ein eigentümliches Behagen.
Aus dem Düngerhaufen vor der Türe stieg fortwährend ein leichter Rauch empor, und die Hühner tummelten sich vergnügt auf demselben herum, legten sich auf die Seite und scharrten hin und wieder mit einem Fusse nach Würmern. Der stolze Hahn stand mitten unter ihnen. Jeden Augenblick wählte er sich eines seiner Hühner aus, um die er mit lockendem Tone herumbalzte. Das Tier erhob sich nachlässig und empfing ihn, ruhig die Füsse ausstreckend und sich auf den Flügeln stützend. Dann schüttelte es die Federn, aus denen eine Menge Staub herumflog, und machte sich’s von Neuem auf dem Dünger bequem, während der Hahn laut krähend seinen Triumph verkündete. Von sämtlichen Höfen der Nachbarschaft antworteten die Hähne, als wollten sie sich gegenseitig zum Liebeswettkampfe herausfordern.
Mechanisch schaute das junge Mädchen dem Treiben der Hühner zu, und als es dann die Augen aufschlug, war es wie geblendet von dem Anblick der blühenden Obstbäume, die wie beschneit aussahen.
Plötzlich machte ein junges Huhn in tollem Übermut einige Luftsprünge und rannte dann mehrmals an dem mit Bäumen bepflanzten Graben auf und ab; dann blieb es stehen, wandte den Kopf und schien sich sehr zu verwundern, dass es allein war.
Auch sie spürte Lust herumzulaufen, sich Bewegung zu machen und dabei hätte sie sich gleichzeitig doch ebensogern niedergelegt, hätte die Glieder gestreckt und sich in der lauen Luft ausgeruht. Noch unentschlossen ging sie einige Schritte und machte, von einem tierischen Behaglichkeitsgefühl beseelt, die Augen zu; dann begab sie sich langsam in den Hühnerstall, um nach СКАЧАТЬ