Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Der Bruder hatte nichts einzuwenden als sie ihm deshalb schrieb und nahm es auf sich, die ganze Gesellschaft für eine Nacht unterzubringen. So führte denn der Eilzug am Samstag Morgen um acht Uhr Madame und die Ihrigen in einem Wagenabteil zweiter Klasse von dannen.
Bis Beuzeville fuhren sie allein und schackerten zusammen wie die Elstern; hier aber stieg ein Paar ein. Der Mann, ein alter Landmann in blauer Blouse mit Umschlagkragen, breiten an den Faustgelenken zusammengeschnürten und mit kleiner weißer Stickerei verzierten Ärmeln, auf dem Kopfe einen hohen altmodischen Hut, dessen fuchsiges Haar ganz borstig schien, trug in der einen Hand einen ungeheuren grünen Regenschirm und in der anderen einen mächtigen Korb, aus dem die bestürzten Köpfe dreier Enten herauslugten. Die Frau in ihrer steifen ländlichen Tracht hatte mit ihrer Nase wie ein Schnabel das Aussehen einer Henne. Sie setzte sich ihrem Manne gegenüber und rührte sich nicht; offenbar fühlte sie sich in so hübscher Gesellschaft ausserordentlich verlegen.
Und in der Tat wirkte die Farbenpracht, die sich in diesem Wagenabteil entwickelte, geradezu blendend. Madame trug sich blau, von oben bis unten in blauer Seide, und darüber einen grellroten blendenden Shawl aus falschem französischen Kaschmir. Fernande erstickte fast in einer schottischen Robe, deren Taille nur unter Aufbietung aller Kräfte von ihren Gefährtinnen zugeschnürt war und nun ihre straffen Körperformen in zweifacher Wölbung hervortreten ließ. Dieselben wogten unter der Kleidung hin und her, als beständen sie aus einer flüssigen Masse.
Raphaele trug zu ihrer federgeschmückten Frisur, die das Aussehen eines Vogelnestes hatte, ein goldgesticktes Lila-Kostüm und einigen orientalischen Schmuck, der sehr gut zu ihrer jüdischen Physiognomie passte.
Rosa la Rosse, hatte die Farbe ihres Namens für ihre, mit breiten Volants versehene Robe gewählt; sie sah aus wie ein zu starkes Kind, wie ein fettleibiger Zwerg ungefähr. Die beiden »Feuerspritzen« schienen ihren seltsamen Aufputz aus alten Fenstervorhängen ausgesucht zu haben, die mit ihrem Rankenwerk an das Restaurant erinnerten.
Sobald die Damen sich nicht mehr allein im Coupé befanden, nahmen sie eine sehr gemessene Miene an und sprachen nur noch von ernsten Dingen, um einen guten Eindruck zu machen. Aber in Bolbec erschien noch ein Herr mit blondem Kotelettenbart, Ringen an den Fingern und einer goldenen Kette auf der Weste, der verschiedene in Wachstuch gehüllte Packete auf das Netz über ihm legte. Sein Äusseres ließ auf einen witzigen und gutmütigen Menschen schliessen. Er grüsste beim Einsteigen und fragte mit leichten Lächeln: »Die Damen wechseln wohl die Garnison?« Diese Frage setzte die kleine Gesellschaft in eine peinliche Verlegenheit, nur Madame bewahrte ihre Fassung und entgegnete spitzig, um die Ehre ihres Korps zu retten: »Sie könnten wohl höflicher sein.« Er entschuldigte sich: »Bitte sehr um Verzeihung, ich wollte sagen: das Kloster.« Madame fand entweder sogleich keine Antwort, oder sie mochte auch seine Rechtfertigung für hinreichend halten, denn sie neigte würdevoll das Haupt und schwieg. Hierauf begann der Herr, welcher zwischen Rosa und dem alten Landmann Platz genommen hatte, den drei Enten, deren Köpfe aus dem großen Korbe hervorschauten, mit den Augen zuzuzwinkern. Und als er merkte, dass er schon die Aufmerksamkeit der Reisegesellschaft auf sich zog, kitzelte er die armen Tiere unterm Schnabel und hielt ihnen dabei scherzhafte Anreden, um die Zuhörer zum Lachen zu bringen: »Wir haben unsere nette kleine Pfütze verlassen! Aan! Aan! Aan! -- um die kleine nette Bratpfanne kennen zu lernen! Aan! Aan! Aan!« Die unglücklichen Tiere verdrehten den Hals, um den unwillkommenen Liebkosungen zu entgehen und machten verzweifelte Anstrengungen, sich aus ihrem Gefängnis zu befreien. Dann stiessen endlich alle drei ein lautes Wehegeschrei aus: »Aan! Aan! Aan!« Die ganze Damengesellschaft brach in lautes Gelächter aus. Sie beugten sich vor und drängten sich um besser zu sehen; es war ja auch zu närrisch mit diesen Enten. Der Herr verdoppelte seine Liebenswürdigkeit, seinen Witz und seine Neckereien.
Rosa wollte sich beteiligen und indem sie sich über die Knie ihres Nachbarn herüberbeugte, küsste sie die drei Tiere auf den Schnabel. Nun wollte natürlich jede andere es ebenso machen und der Herr ließ sie sich auf seine Knie setzen, schaukelte und kneipte sie; dann duzte er sie plötzlich.
Die beiden Landleute waren noch erstaunter, wie ihre Vögel; sie rollten die Augen wie besessen, wagten aber kein Wort zu sagen, und kein Lächeln, kein Zucken stahl sich über ihre runzeligen Gesichter.
Der Herr, seines Zeichens Geschäftsreisender, bot jetzt zum Scherz den Damen Hosenträger an, und öffnete eines der Packete, das er aus dem Netz nahm. In Wirklichkeit enthielt es Strumpfbänder.
Da gab es welche in blauer, in rosa, in roter, violetter, grauer und rosenroter Seide, mit Metallverschluss, aus zwei vergoldeten, sich küssenden Amors hergestellt. Die Mädchen jauchzten vor Vergnügen und prüften die Muster, ganz hingerissen von der Neugierde, die jede Frau beim Anblick eines Toilettegegenstandes empfindet. Sie winkten sich mit den Augen, flüsterten sich einzelne Worte ins Ohr und Madame betastete mit Wohlgefallen ein paar orangenfarbene Strumpfbänder, die viel breiter und ansehnlicher als die übrigen waren; richtige echte Strumpfbänder für eine »Madame.«
Der Herr sah wartend zu; eine neue Idee war in ihm aufgetaucht. »Vorwärts, meine Kätzchen,« sagte er, »nun probiert sie an.« Das gab ein lautes Geschrei; sie pressten ihre Röcke zwischen den Knien, als befürchteten sie einen Gewaltstreich. Er wartete indessen ruhig den richtigen Augenblick ab: »Ihr wollt nicht, gut, dann kann ich wieder einpacken,« Schliesslich sagte er: »Ich biete denjenigen ein Paar zur Auswahl an, die sie hier anprobieren.« Aber sie gingen nicht darauf ein, und hielten sich sehr würdevoll zurück. Die beiden »Feuerspritzen« indess machten ein so betrübtes Gesicht, СКАЧАТЬ